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Googles Game-Streaming-Dienst heisst Stadia und könnte die Branche revolutionieren
von Philipp Rüegg
Das Rennen, um die Streaming-Zukunft von Games hat begonnen. Google hat mit Stadia als erstes die Hosen runtergelassen. Ob sie den längsten haben, ist aber noch völlig offen, denn die Konkurrenz ist grösser als du denkst.
Schon seit langem mehren sich die Vorzeichen, dass die nächste Konsolengeneration die letzte sein wird. Die Zukunft der Games gehört dem Streaming. Davon sind zumindest diverse Branchengrössen wie Microsoft-Chef Phil Spencer oder Ubisoft-CEO Yves Guillemot überzeugt. Das Potenzal ist riesig. Spieler müssten keine teuren Konsolen oder PCs mehr kaufen und könnten Spiele direkt auf ihr Endgerät streamen. Damit erschliesst sich nicht nur eine neue Kundschaft. Gamer aus allen Schichten profitieren potenziell von mehr Flexibilität und finanziellen Ersparnissen.
Es ist wenig verwunderlich, dass zahlreiche Mitstreiter um die Streaming-Vorherrschaft buhlen. Mit Stadia hat Google den Anfang gemacht. Microsoft hat bekannt gegeben, ebenfalls noch dieses Jahr nachzuziehen. Die beiden Tech-Konzerne sind aber längst nicht die einzigen, die ihr Gewicht in die Waagschale legen.
Google will Stadia noch dieses Jahr ausrollen. Der Dienst wird auf jedem Gerät mit Chrome verfügbar sein und bietet diverse interessante Annehmlichkeiten. Mit 4K, 60 fps, HDR und Surround Sound hat Google eine stolze Ansage gemacht. Wie auch der Rest der Konkurrenz muss sich Stadia aber erst behaupten. Zum Preismodell und den verfügbaren Spielen gibt es noch keine Infos. Durch die massive Serverinfrastruktur hat Google aber technisch die Nase vorn. Auf der anderen Seite hat Google noch wenig Erfahrungen aus erster Hand, was Games anbelangt. Vertrauen ist zumindest für die bestehenden Gamer kein unwesentlicher Punkt.
Microsoft hat bereits demonstriert, wie sich ein Xbox-One-Spiel wie «Forza Horizon 4» auf einem Android-Smartphone mit angeschlossenem Controller spielen lässt. Alles möglich, dank Streaming aus der xCloud. Microsoft hat mit dem Game Pass, der nach dem Netflix-Prinzip uneingeschränkten Zugriff auf eine grosse Zahl von Spielen ermöglicht, bereits wichtige Vorarbeit geleistet. Schon jetzt sind die meisten Microsoft-Titel auf dem PC und der Xbox One spielbar – mit Crosssave-Funktion. Microsoft besitzt zudem – anders als Google – eine beachtliche Spielebibliothek – inklusive älterer Titel aus der Xbox-360-Ära. Wenn all diese Games auf Smartphone, TV, PCs etc. streambar sind und als Teil eines etwas teureren Game Passes zu spielen sind, ist das ein verlockendes Angebot.
Hinweisen zufolge soll Microsoft die Ausweitung von Xbox Live auf Android, iOS und Switch planen. Mit der Integration von Achievements, Freundeslisten etc. wäre ein weiterer wichtiger Schritt getan, auf neuen Plattformen Fuss zu fassen. Da du zudem alle Spiele weiterhin auf deiner bestehenden Konsole oder dem PC spielen kannst, ist die Hemmschwelle, den Dienst auszuprobieren, enorm tief. So kann Microsoft zweispurig fahren und dich langsam an die Zukunft heranführen.
Um Sony ist es erstaunlich ruhig, was Cloud-Gaming anbelangt. Dabei haben sie sich bereits 2012 die Firma Gaikai unter den Nagel gerissen. Deren Geschäftsmodell war Cloud-Gaming. Mit Playstation Now kannst du Games aus der Cloud auf deine PS4 oder deinen PC streamen. Es sind zwar nie die aktuellsten Titel, aber mit Spielen wie «Prey», «Bloodborne» oder «The Last of Us» lässt sich die Auswahl dennoch sehen. Rund 600 Spiele sind in der Bibliothek. Sony befindet sich in einer komfortablen Situation. Ob sie allerdings die Serverinfrastruktur so einfach skalieren können wie Google, bleibt abzuwarten. Ich rechne damit, dass wir noch dieses Jahr mehr von Sonys Streaming-Plänen hören.
Seit einer gefühlten Ewigkeit ist Geforce Now in der Beta verfügbar. Der Dienst lässt sich gratis am PC, Mac oder Android TV ausprobieren und gibt dir Zugriff auf all deine Spiele aus Steam, Uplay, Battle.net oder Origin. Für PC-Spieler ist das aktuell die spannendste Lösung. Allerdings ist ungewiss, was für Pläne Nvidia mit dem Service hegt. Das Projekt könnte jederzeit eingestampft werden. Zwar arbeitet das Unternehmen am Ausbau der Datenzentren, aber sie verkaufen dir sicher auch weiterhin gerne Grafikkarten für über 1000 Franken. Da Geforce Now frei zugänglich ist (Beta-Zugang vorausgesetzt), kannst du dir selber ein Bild über die Performance machen. Um primär damit zu spielen, ist mir die Verzögerung definitiv noch zu hoch, um meinen PC in Rente zu schicken.
Ohne gross Aufmerksamkeit zu Erregen, hat Nintendo ebenfalls erste Streaming-Versuche gestartet. So sind in Japan «Resident Evil 7» und «Assassin’s Creed Odyssey» auch auf der Switch verfügbar. Weil die portable Konsole dafür zu wenig Leistung bringt, wird das Spiel aus der Cloud gestreamt. Ob und wann diese Möglichkeit ausserhalb Japans angewendet wird, ist nicht bekannt. Nintendo gehört nicht unbedingt zu den Vorreitern bezüglich neuer Technologien, darum rechne ich dieses Jahr nicht mit einer Ankündigung. Nintendo wird aber garantiert ein wachsames Auge auf die Konkurrenz haben und sicherlich an eigenen Streaminglösungen arbeiten.
Im vergangenen Herbst hat EA verkündet, an einer Cloud-Lösung zu arbeiten. An Project Atlas sind laut CTO Ken Moss rund 1000 Mitarbeiter involviert. Man meint es offenbar ernst. Wie Microsoft hat auch EA bereits einige Vorarbeit geleistet. Mit Origin Access für PC, respektive EA Access für die Xbox One, besitzt EA einen Service, der dir für eine Monatsgebühr Zugriff auf eine Reihe Spiele gibt. Ausser den EA eigenen Titeln wie «Battlefield 5» ist das Angebot zwar noch nicht besonders attraktiv, aber die Basis ist vorhanden. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass andere Publisher wie Ubisoft oder Activision jemals ihre Spiele dort zur Verfügung stellen werden. Somit dürfte sich das Angebot neben einer handvoll EA-Games auf Third-Party-Spiele beschränken. Je nach Preis könnte das dennoch funktionieren. Wenn du auf der Suche nach dem Spotify für Games bist, wirst du hier aber nicht fündig.
Steam hat die mit Abstand grösste Spielebibliothek für PC, respektive Konsolengames. Valve wäre in einer starken Position, wenn sie ein Cloud-Projekt planen würden. Bereits möglich ist es, dass du mit dem Steam-Link-Böxchen oder der Steam-Link-App für Android und iOS Spiele von deinem PC über dein Netzwerk an das entsprechende Endgerät streamst.
Kürzlich hat Valve die Steam-Link-App um die Möglichkeit erweitert, auch ausserhalb deiner vier Wände zu streamen. Dein PC muss zwar immer noch eingeschaltet sein, aber du kannst nun auch übers Mobilfunknetz Games streamen. Der Vorteil dieser Variante ist, dass für dich keine zusätzlichen Kosten entstehen und du auf deine bestehenden Spiele zugreifen kannst. Der Nachteil ist, dass du weiterhin einen leistungsfähigen PC benötigst. Eine echte Streaming-Lösung bleibt also interessant – besonders wenn du dir vorstellst, dass Valve ein Netflix-ähnliches Abomodell schaffen würde. Da sich die «Half-Life»-Erfinder gerne verschlossen geben, existieren dazu nicht mal Gerüchte.
Als einer der weltweit grössten Anbieter von Cloud-Computing ist es nicht verwunderlich, dass Amazon ebenfalls Ambitionen im Game-Streaming hegt. Gerüchte dazu tauchen immer wieder auf. Mit dem Milliarden-Kauf von Twitch, dem Aufbau eigener Game-Studios und der Entwicklung der kostenlosen Game-Engine Lumberyard zeigt Amazon klar, in welche Richtung es gehen soll. Twitch ist dafür die ideale Plattform. Bereits jetzt können dort Games gekauft werden. Die Verflechtung von Shop, Video-Streaming und Game-Streaming ist naheliegend. Amazon ist in einer guten Position. Auch hier dürfte eine Ankündigung nicht mehr weit entfernt liegen.
Die offensichtlichsten Kandidaten haben wir abgehakt. Aber es gibt noch weitere potenzielle Mitstreiter. So soll auch die US-Shopping-Kette Walmart einen Streaming-Service planen. Ihr Kundensegment sind die Mittel- bis Wenig-Verdiener. Das spricht für das Netflix-Modell. Walmart gehört zu den erfolgreichsten Unternehmen der Welt. Ausserhalb der USA dürfte der Namen aber zu wenig Zugkraft haben, um potenzielle Gamer anzusprechen. Dennoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass Walmart tatsächlich ein eigenes Angebot lancieren wird.
Dann hat auch der US-Telekomkonzern Verizon Interesse am Game-Streaming-Markt gezeigt. Verizon Gaming wird bereits auf einem Nvidia Shield getestet und die Google-Play-Implementierung soll noch Ende Januar erfolgt sein. Über 135 Spiele seinen verfügbar. Mit der kommenden Einführung von 5G bietet sich die Kombination aus Handy- und Streaming-Abo für Telekomfirmen natürlich an.
Alles deutet daraufhin, dass die Zukunft dem Streaming gehört. Wie lange es tatsächlich dauern wird, bis die Leistung mit dem lokalen Zockerlebnis am PC oder der Konsole mithalten kann, ist unmöglich abzuschätzen. Erste Gehversuche werden wir noch dieses Jahr erleben. Viele Mitstreiter buhlen um unsere Aufmerksamkeit. Ich vermute, dass es wie beim Streaming im Film- und Serienbereich mehrere Anbieter geben wird, die nebeneinander existieren.
Vielleicht die beste Ausgangslage, um zumindest aktuelle Gamer abzuholen, hat Microsoft. Sie besitzen ein All-You-Can-Eat-Abomodell, verfügen über genug Spiele und setzen schon jetzt auf Plattform-Agnostik mit PC und Xbox One. Bestehende User können gefahrlos Streamingluft schnuppern und notfalls wieder auf die bewährte Konsole oder den Gamer-PC zurückwechseln. Die nächsten Monate und besonders die E3 werden auf alle Fälle spannend.
Was glaubt ihr? Welcher Anbieter hat die besten Chancen? Oder glaubt ihr, das Streaming-Konzept ist im vornherein zum Scheitern verurteilt?
Welcher Streaming-Dienst setzt sich durch?
Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.