
Produkttest
Shadow-PC im Test: Streamen statt aufrüsten
von Kevin Hofer
Statt eines teuren Gamer-PCs reicht der alte Laptop und eine schnelle Internetleitung. Die Rechenleistung kommt aus der Cloud. Auch Nvidia setzt auf Game Streaming. Wie das genau funktioniert und was der Dienst taugt, verrat ich euch jetzt.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Microsoft, Sony und Co. davon ausgehen, dass Games in Zukunft übers Internet gestreamt werden. Kein Wunder, wird die Technik doch bereits erfolgreich eingesetzt. Sony streamt via Playstation Now hunderte von Spielen ohne dass eine Installation nötig ist. Nintendo hat kürzlich «Assassin's Creed Odyssey» angekündigt, das ausschliesslich als Cloud-Version laufen wird – vorerst nur in Japan. Während sich Sony jedoch primär auf ältere Titel konzentriert und Nintendo erst den kleinen Zeh ins Wasser hält, setzt Nvidia auf das volle Programm. Mit Geforce Now lassen sich theoretisch alle PC-Spiele aus der Steam-, Uplay- und Blizzard-Bibliothek spielen. Ein ähnliches Angebot liefert übrigens auch der französischen Dienst Shadow, den Kollege Kevin Hofer kürzlich getestet hat.
Um Geforce Now zu nutzen, musst du lediglich die App für Windows, Mac oder Nvidia Shield (Android TV) installieren und schon kannst du deine Games streamen. Anders als bei Shadow kannst du keine eigene Software installieren. Du startest ein gewünschtes Spiel entweder direkt oder du startest erst Steam und wählst dort einen Titel aus – genauso als würdest du an deinem PC Steam im Big Picture Mode benutzen. Savegames etc. werden weiterhin via Steam synchronisiert. Nvidia unterstützt offiziell mehrere hundert Titel und garantiert, dass die aktuell 20 populärsten Spiele ebenfalls spielbar sein werden. Wird ein Spiel nicht offiziell unterstützt, musst du es erst manuell downloaden (und jedes mal, wenn du Geforce Now wieder benutzt). Danach kannst du aber direkt loslegen. Nvidia spricht von 30 Sekunden vom Starten der App bis du spielen kannst. Und da die Updates auf Serverseite stattfinden, wirst du auch nie warten müssen, bis die Gigabytegrossen Updates geladen und installiert sind. Da freut sich der Kevin.
Ich hab den Dienst auf meinem Android TV über die letzten Jahren immer mal wieder ausprobiert. Seit kurzem ist nun auch die PC-Version als Beta verfügbar ist. Während es an der Bildqualität nichts auszusetzen gibt (4K, 60 fps, keine Bildartefakte) bleibt die Achillesverse der Inputlag. Die Verzögerung bei der Eingabe – besonders mit der Maus – ist mir einfach zu hoch. Shooter sind damit nur sehr eingeschränkt spielbar. Weniger reaktionsintensive Spiele funktionieren problemlos, auch wenn selbst ein «Jurassic World Evolution» für mich nicht gleich viel Spass macht, wenn die Maus nicht absolut präzise reagiert. Ein Teil ist sicherlich der schlechten Reaktionsgeschwindigkeit von Fernsehern zuzuschreiben, aber da das Problem auch an meinem PC auftritt, lässt es sich nicht nur damit erklären.
Nvidia erklärt mir bei einer Konferenzschaltung, dass die Nähe zum Datencenter sicherlich Abhilfe schafft. In Frankfurt am Main gäbe es Kunden, die 4K problemlos geniessen können. «Wichtig ist auch, dass die Internetleitung keine hohe Fluktuation aufweise», sagt Nvidia. Der Ping sei ebenfalls extrem wichtig.
Zwar gibt es einen Ultra-Streaming-Modus, der Framerates bis zu 120 fps ermöglichen soll, allerdings reduziert dieser die Grafikdetails soweit bis eine stabile Framerate erreicht wird. Kein Kompromiss, den ich eingehen würde. Auf ähnliche Weise erreichte Nvidia wohl auch die 60 fps bei 1280 x 720 Pixel mit einem Lag von gerade mal 16 ms. Das demonstrierte der Techkonzern kürzlich an einer Konferenz des Telekomanbieters AT&T in San Francisco und zwar über das Mobilfunknetz – 5G wohlgemerkt.
So oder so ist die Funktionalität von Geforce Now beeindruckend. Maximale Details, Auflösung bis 4K, HDR und das auf jedem Android-Fernseher oder popeligen Notebook.
Wenn du dich bei Geforce Now einloggst, wirst du mit dem nächsten Datenzentrum verbunden. Nvidia besitzt elf weltweit und vier davon in Europa. Das nächste für Schweizer User befindet sich in Frankfurt am Main. Die Nähe ist essentiell, wenn du möglichst verzögerungsfrei spielen willst. Im Datenzentrum wirst du mit einem Server verbunden, der mit einer Tesla P40 Grafikkarte ausgestattet ist. Dort wird für dich eine für Cloud Gaming optimierte virtuelle Umgebung gestartet mit Windows. Davon bekommst du aber nichts mit, da du die Spiele wie erwähnt entweder direkt oder via Steam etc. startest.
Die Leistung wird dir je nach Bedarf zugeteilt, erklärt mir Nvidia. «Wenn du Day of the Tentacle spielst, brauchst du keine 1080-Ti-Performance.» Für Spiele wie «PUBG» kriegst du dafür die ganze Power. Eine Session darf nicht länger als vier Stunden dauern, dann wirst du ausgeloggt. Der Grund ist einfach: «Es könnte sein, dass nur deine Katze vor dem PC hockt und du unnötig Leistung beziehst, die andere User brauchen könnten.» Willst du tatsächlich mal einen ganzen Nachmittag durchzocken, kannst du dich nach den vier Stunden aber direkt wieder einloggen.
Bezüglich Raytracing-Unterstützung wollte sich Nvidia nicht äussern.
Solange die Verzögerung bei Geforce Now spürbar ist, wird der Dienst für Hardcore-Gamer, denen präzise Maussteuerung wichtig ist, nicht in Frage kommen. Der Controller verzeiht da schon deutlich grössere Lags. Nvidia zielt aber ohnehin nicht primär auf Typen wie mich ab. «Weltweit gibt es eine Milliarde PCs, die nicht zum Gamen geeignet sind. Denen eröffnen wir mit Geforce Now völlig neue Möglichkeiten», sagt mir der Nvidia-Sprecher. Er ist überzeugt, dass im Streamen die Zukunft liegt. «Man kann nicht einfach nur zuschauen, man muss mitmachen. Es ist wie beim autonomen Autofahren.» Dass Nvidia sich als Hardware-Hersteller mit dem eigenen Dienst konkurrenzieren könnte, sei kein Thema. «GTX/RTX-Karten sind weiterhin die erste Wahl, wenn es nur das beste sein soll.» Wer aber keine Superkiste zu Hause stehen hat oder Mac-User ist, für den ist Streaming die sinnvollere Option. Nvidia ist überzeugt, dass sie den Punkt erreichen werden, an dem zwischen Streamen und direkt am PC zocken kein Unterschied mehr festzustellen ist. Und selbst wenn nicht, haben sie Lösungen für beides parat.
Da Geforce Now immer noch in der Beta ist, empfehle ich euch, es mal auszuprobieren (es gibt eine Warteliste). Es ist erstaunlich, wie weit die Technik in den letzten Jahren fortgeschritten ist. Ich kann es jedenfalls kaum abwarten, meine PC-Games ohne Qualitätsverlust auf einem beliebigen Gerät spielen zu können.
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.