
Hintergrund
Play Suisse: «Zu siebzehnt gegen Netflix»
von Luca Fontana
Die SRG hat den Weg ins Streaming-Geschäft gefunden. Play Suisse, so der Name der App, will aber nicht das Netflix der Schweiz sein. Eher ein Hub für Schweizer Dokus, TV- und Kinofilme. Gratis. Ich teste.
Play Suisse, der neue Streamingdienst der SRG, ist da. Gerade rechtzeitig zum, nun ja, Slowdown. Einen besseren Zeitpunkt hätte sich das grösste Medienhaus der Schweiz kaum wünschen können. Glück im Unglück, sozusagen.
Obwohl, und das sagt Bakel Walden, Mitglied der SRG-Geschäftsleitung und verantwortlich für «Play Suisse», ohne Slowdown hätte es das Genfer Filmfestival gegeben. Das Genfer Filmfestival wiederum wäre das perfekte Sprungbrett gewesen, um den neuen Streamingdienst medial zu lancieren. So aber mache man nun das Beste aus der Situation.
Was Play Suisse genau ist? Sicher keine schweizer Netflix-Kopie. Play Suisse kennt nämlich kein Abo-Modell. Und auch keine exklusiven Inhalte. Sogenannte «Originals», wie sie bei Netflix, Prime und Co. heissen. Stattdessen setzt Play Suisse auf möglichst allen zugänglichen Inhalten. Hauptsächlich Schweizer Dokus, TV- und Kinofilme. Auch – und das ist Bakel Walden ganz wichtig – über sämtliche Sprachbarrieren hinaus.
Schauen wir uns das an.
Oben habe ich vom «Hub für Schweizer Dokus, TV- und Kinofilme» gesprochen. Konkret heisst das… nun… nichts sonderlich Konkretes. Nicht mal die SRG hat im Detail definiert, welche oder wieviele Filme, Serien und Dokus aktuell auf Play Suisse zu sehen sind.
Ein Beispiel: Aktuell feiert die SRG-Serie «Frieden» Premiere auf der App. Auch das 2016er Doku-Drama «Gotthard» ist zu finden. Dafür aber suchen Fans der 2019 abgesetzten Kultserie «Der Bestatter» vergeblich nach Mike Müller. Nicht alle SRG-Produktionen scheinen also auf der App zu sein. Ob sich das noch ändert?
Sicher ist, dass Play Suisse keine Konkurrenz zum Kino sein will. Im Gegenteil. Play Suisse ist kein Solo-Projekt der SRG, sondern ist in enger Zusammenarbeit mit Schweizer Filmschaffenden entstanden. Darum sollen Schweizer Kinofilme auch weiterhin zuerst ins Kino kommen und anschliessend die übliche Auswertungskette durchlaufen. Also erst mal auf Blu-Ray und DVD erscheinen, dann linear im Fernsehen und erst zum Schluss auf Play Suisse.
Für die Schweizer Kino- und Fernsehlandschaft ist sowas Neuland. Aber den Filmemachern gibt Play Suisse eine grosse Bühne, die das Nischenprodukt Schweizer Film sonst kaum hätte. Besonders jetzt nicht, in Zeiten der Pandemie und des kaum besuchten Kinos. Zudem dürfte einiges an Geld, das die SRG in Streaming-Rechte investiert, zurück in die Branche fliessen. Die SRG als Förderin des Schweizer Filmschaffens? Vielleicht.
Danebst will Play Suisse auch Eigen- und mit anderen privaten Medienhäusern entstandenen Koproduktionen zeigen. Filme, Dokus – ganz viele Dokus – aber auch TV-Serien. Und all das gratis und ohne Werbung. Online-Werbung darf die SRG ja sowieso nicht machen.
So weit klingt der Plan gut. Den Erstkontakt mit der Realität überlebt er aber nicht. Stattdessen zerschellt Play Suisse nach etwa fünf Minuten an sich selbst.
Play Suisse ist sowohl in Googles Play Store als auch in Apples App Store zu finden. Einloggen kannst du dich entweder mit einem bereits bestehenden SRF-Login oder mit deinem Apple-, Facebook-, Google- oder Twitter-Account. Weil Play Suisse gratis ist, brauchst du nirgends deine Kreditkarten-Infos zu hinterlegen. Stellt sich die Frage: Wozu dann überhaupt einen Account?
Verfügbar ist die App aktuell aber bloss auf folgenden Geräten:
Eine Swisscom-blue-TV-App sei in Arbeit. Genauso wie Google-Chromecast-Unterstützung. Trotzdem: Insgesamt sind das arg begrenzte Möglichkeiten, Play Suisse unkompliziert auf möglichst vielen Geräten zu benutzen. Immerhin kann noch via Webbrowser auf Play Suisse zugegriffen werden.
Aber wer benutzt schon den Webbrowser am Fernseher?
Das Pairen mit dem Android-9-Pie-basierten Philips OLED805 hat jedenfalls so funktioniert:
Fertig.
Das Pairing ist also kein Drama. Die App selbst aber schon. Zum Bedienen ist sie gar ein noch grösserer Brunz als Amazons Prime Video. Denn Play Suisse ist spektakulär mühsam und fummelig.
Nach dem Einloggen ist der erste Eindruck gar nicht mal so schlecht. Das Design sieht nach SRG aus. Rot dominiert. Die Schriften sind gross und gut lesbar. Alles super soweit. Auf dem Smartphone hat die App vier Tabs:
Der Tab «Entdecken» zeigt fünf vorgeschlagene Dokus, Filme oder Serien, die dir gefallen könnten. Gut möglich, dass ein Algorithmus à la Netflix je länger je mehr deine Sehgewohnheiten analysiert und zukünftig immer passendere Vorschläge bringt. So geradeheraus bestätigt hat das aber niemand beim SRG. Und selbst wenn; aktuell wird wohl keiner lange genug Play Suisse schauen damit der Eventuell-Algorithmus greifen könnte.
Unter dem Tab «Durchsuchen» wird’s schon konfuser. Da gibt’s zuerst mal inhaltlich sortierende Reiter wie «Play Suisse Neuheiten» oder «Weiterschauen». Oder auch «Unsere Serien-Tipps», wo eine Play-Suisse-Redaktion eine Best-Of von Was-auch-immer nach Welchen-Kriterien-auch-immer kuratiert.
Besser finde ich dann Reiter wie «Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg» oder «Natur pur». Da tauchen alle Serien, Filme und Dokus zum entsprechenden Thema auf. Das hat alles eine gewisse Logik. Gut so.
Okay. Bis hierhin komme ich klar. Diese Reiterstruktur ist spätestens seit Netflix etabliert. Dann aber wird’s unnötig kompliziert. Nebst den Reitern kann ich nämlich noch zusätzlich nach Kategorien und Unterkategorien stöbern. Und zwar in einem Untermenü, das sich am unteren Bildschirmrand über die Reiter selbst blendet. So, dass ich einen Teil der Reiter nicht mehr sehen kann. Erst, wenn ich runterswipe, verschwindet das Untermenü. Nicht praktisch.
Die Kategorien jedenfalls sind:
Bevor du zu passenden Vorschlägen kommst, musst du noch die Unterkategorie innerhalb der Kategorie auswählen. Unsinnigerweise sind die vier zur Auswahl stehenden Unterkategorien bei allen Kategorien dieselben:
Action bei Familie? Abenteuer bei Festival? Die Auswahl der Kategorien und Unterkategorien wirkt genauso wirr wie zufällig. «Berge» zum Beispiel. Warum nicht «Stadt», «Land» oder «Fluss»? Oder «Bauernhof»? Wo ist die Logik auf einmal hin? Der rote Faden? Und überhaupt! Wenn ich dann auf die verschiedenen Unterkategorien klicke, kommen die genau gleichen Inhalte, völlig egal, was über eine Oberkategorie eigentlich gewählt ist. «Action» unter «Familie» etwa führt mich genauso zum Actionthriller «Helvetica» – in dessen Beschrieb «das Programm wirkt verstörend und ist für Kinder nicht geeignet» steht, übrigens – wie «Action» unter «Festival».
Danke für garnichts, Sortierfunktion.
Da hätte ich lieber drei Kategorien à la Film, Serie und Doku. Dann die Unterkategorien Komödie, Drama, Familie, Action und Thriller. Das habe ich jetzt einfach mal so aus der Hüfte geschossen, ohne gross drüber nachzudenken, und scheint trotzdem durchdachter als diese Auswahl da oben. SRG, wenn ihr wollt, das dürft ihr gerne übernehmen.
Die anderen zwei Tabs sind schnell erklärt. Unter «Meine Liste» tauchen jene Serien auf, die du markiert hast, um sie später anzuschauen. Unter «Profil» dann kannst du auf deine Account-Einstellungen und Pairing-Möglichkeiten zugreifen.
** Update 13.11.2020, 8.00 Uhr:**
Leser MöreJ weist korrekterweise darauf hin, dass durch Swipe nach rechts noch 19 weitere Kategorien auftauchen. Also alles von «Comedy» über «Krimi» bis hin zu «Sport». So korrekt sortiert scheint das aber noch immer nicht. MöreJ sagt nämlich auch, dass unter «Fiktion» die Serie «Frieden» auftaucht, die auf wahren Begebenheiten beruht.
Jetzt zur Bedienung.
Bis hierhin könnte mir ja noch einer vorwerfen, nicht so furchtbar spitzfindig zu sein. Vielleicht würde ich diesem Jemand sogar Recht geben. Bei der Bedienung hört der Spass aber auf.
Zu allererst: Die App ist unglaublich langsam. Jedesmal, wenn ich den Tab wechsle, vergehen fünf bis zehn Sekunden, bis sich die Seite neu aufgebaut hat. Hoch- und Runterswipen? Das geht. Mit einer halben Sekunde Verzögerung. Klingt nach wenig, fühlt sich aber ewig an.
Dazu hat die App Bugs. Zum Beispiel, wenn ich einen Inhalt zu «Meiner Liste» hinzufügen will. Ich klicke aufs Plus-Symbol, aber unter dem Meine-Liste-Reiter taucht nichts auf. Und wenn ich’s mit der Fummelei übertreibe, hat die App irgendwann auch einfach mal genug davon. Dann stürzt sie ab. So «lass mich in Ruhe und versuch’s später wieder»-mässig.
Auf Smart TVs ist’s nicht anders. Play Suisse schleppt sich dort genau so behämmert von einem Menü ins nächste wie auf meinem Smartphone. Ich konnte ja nicht mal anständig Vor- und Zurückspulen. Mit meiner Philips-Fernbedienung habe ich jedenfalls nur 10-Minuten-Schritte hingebracht. Jedesmal unterbrochen von einer mindestens 10 Sekündigen Verschnaufpause der App. Zum Mäusemelken.
Profile erstellen? Ich meine, falls ich andere Serien und Filme auf der App gucken will als etwaige Mitbewohner, Kinder, Freunde und Freundinnen oder Ehepartner? Nope. Soweit sind wir mit der Play Suisse noch nicht. Group Watch kannst du auch knicken. Zugegeben, das ist bei anderen Streaming-Diensten wie Netflix, Disney+ oder Amazon Prime Video auch erst kürzlich dazugekommen.
Irgendwie fühlt sich die ganze App unfertig an. Nicht «Kinderkrankheiten»-unfertig; die App gibt’s ja erst seit ein paar Tagen. Sondern so richtig grundlegend unfertig. Als ob da einfach ein Termin festgestanden hätte, und die SRG-Verantwortlichen einfach mal das rausgehauen haben, was halt grad da war.
Beim Film «Das Boot ist voll» zum Beispiel wollte ich die italienischen Untertitel einblenden. Ich kann tatsächlich im Untermenü des Films «Italienisch» als Untertitelsprache wählen, aber erscheinen tut nichts. Komisch, denke ich, und versuch’s mit «Französisch». Dort tauchen Untertitel auf – yay –, allerdings auf deutsch.
Verstehst du, was ich mit «unfertig» meine?
Play Suisse präsentiert und kuratiert Schweizer Filme-, Serien- und Dokus. Dank der engen Zusammenarbeit mit Filmschaffenden und Künstlern gibt das vielen schweizer Produktionen eine noch grössere Bühne und finanzielle Mittel, die durch Lizenzrechtvergabe zurück in die schweizer Filmbranche fliessen. Play Suisse als Förderer. Gute Idee.
Weniger gut ist aber die Umsetzung der App. Die ist so derart verkorkst, dass ich unmöglich von Kinderkrankheiten reden kann. Bis die App tatsächlich sowas ähnliches wie «brauchbar» ist, dürfte es noch Wochen, wenn nicht Monate, dauern. Schade. Denn für viele Zuschauer zählt der erste Eindruck. Wer jetzt schon kein Bock mehr auf Play Suisse hat, der wird die App ad acta legen und deren Existenz schon bald vergessen haben.
Da muss also schleunigst nachgebessert werden. Oder die SRG lässt die Sache ganz bleiben, wenn Play Suisse das Beste ist, das sie hinkriegen.
Das Review hat Wellen geschlagen. Genau genommen bis nach Leutschenbach und Genf. Dort, wo «Play Suisse» entwickelt wird. Denn kaum war das Play-Suisse-Review online, wurde ich schon von Pierre-Adrian Irlé kontaktiert, dem Projektleiter der App.
Das Interview dürft ihr euch – ich bin mal so eitel – nicht entgehen lassen :-).
Viel Spass!
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»