Kritik

«Mad Heidi» ist ein Gaudi, das Laktoseintolerante diskriminiert

Livia Gamper
21.11.2022

Das Filmprojekt «Mad Heidi» kommt in die Kinos. Zwischen Humor, Horror und einer Neuinterpretation des Heimatfilms «Heidi» ist alles dabei – vor allem sehr viel Käse.

«Mad Heidi» beginnt mit einem Disclaimer: Bevor du den Film anschaust, sollst du dir einen Moment Zeit nehmen, um zu verstehen, wie er gemacht wurde. «Mad Heidi» ist nämlich kein Studioprojekt, sondern durch ein Crowdfunding von Filmfans auf der ganzen Welt entstanden. Insgesamt fünf Jahre dauerte die Realisierung der beiden Berner Regisseure Johannes Hartmann und Sandro Klopfenstein sowie des Basler Produzenten Valentin Greutert.

Auf ihrer Homepage schreiben die Filmemacher: «Am Film-Umsatz beteiligt sind 538 Menschen aus 19 Nationen.» Zwei Millionen Franken wurden so gesammelt. Die Produzenten schreiben weiter, dass sie unabhängig von Netflix oder Amazon produzieren wollten – nicht nur, weil sie ihr geistiges Eigentum nicht verkaufen wollten, sondern auch, weil sie möchten, dass auch Leute ohne Streaming-Abonnement den Film schauen können.

Rausgekommen ist eine Art von Komödie, bei der die Swissness nicht zu kurz kommt. Und auch Kunstblut und sonstige Horrordarstellungen gibt’s zur Genüge.

Darum geht’s in «Mad Heidi»

Mit Johanna Spyris «Heidi», dem Schweizer Kinderbuch und Heimatfilm, hat die neue Interpretation kaum etwas zu tun. «Mad Heidi» spielt in einer dystopischen Schweiz, die unter die faschistische Herrschaft des bösen Käse-Barons und Schweizer Präsidenten Meili (Caspar van Dien) und seine Käsetyrannen gefallen ist – der sogenannten «Switzerland's New Order». Während der irrsinnige Präsident Meili in diverse dubiose Käse-Machenschaften verstrickt ist und das ganze Land in Angst und Schrecken versetzt, scheut Kommandant Knorr (Max Rüdlinger) keine Gräueltaten, um die Schweiz in diesem Käsefaschismus zu behalten.

Es dauert nicht lange, bis sich Heidi (Alice Lucy) aus den idyllischen Alpen mit Kommandant Knorr anlegt. Denn dieser hat Geissenpeter (Kel Matsena) aufgrund der Herstellung illegaler Milchprodukte gleich selbst kaltblütig auf dem Dorfplatz hingerichtet – und später die Alphütte des liebenswerten Alpöhi und Grossvaters von Heidi (David Schofield) in die Luft gesprengt.

Kein Wunder, ist Heidi hässig.

Schweizer Humor und Klischees allgegenwärtig

Wenn es «Mad Heidi» an etwas nicht mangelt, dann an absurden Ideen, die einem sonst nur im Vollrausch kommen. So wird im ganzen Film englisch gesprochen. Jedoch nicht dieses Film-Englisch, das wir gewohnt sind, sondern eher «Schwenglisch»: der Schweizerdialekt ist unüberhörbar. «Danke Schatz, it smells delicious», heisst’s so zum Znacht in der Alphütte und erinnert auch daran, wie Schweizer Touristinnen und Touristen sich im Ausland mit der lokalen Bevölkerung versuchen zu verständigen.

Der Schweizer Präsident und Käse-Baron Meili (Caspar van Dien) sorgt für viel Swissness.
Der Schweizer Präsident und Käse-Baron Meili (Caspar van Dien) sorgt für viel Swissness.

Natürlich kommt auch das Schweizer Käse-Klischee nicht zu kurz. Das Milchprodukt ist allgegenwärtig und eigentlich der Aufhänger des gesamten Films. Zu Beginn gibt’s einen dramatisch und blutig endenden Aufmarsch gegen den Käsehersteller «Meili» – das Unternehmen gehört nämlich dem Schweizer Präsidenten. Der hat verfügt, dass Laktoseintolerante keinen Platz mehr im Käsefaschismus hätten. Um Menschen mit Verdauungsproblemen auszusieben, lässt er ihnen ein Käsestück in den Mund legen. Wer es nicht drinbehalten kann, wird hingerichtet oder stirbt sowieso an einer Käsevergiftung. So wird das bei den Käse-Nazis gemacht.

Neben Heidi, Geissenpeter und Alphöhi sind auch die weiteren Protagonisten der «Heidi»-Kinderbücher aus den 1880er-Jahren im Film vertreten. Klara, Fräulein Rottenmeier – alle sind dabei. Geissenpeter zum Beispiel wird von einer Person of Color gespielt. Das macht den Film beiläufig und ungezwungen divers. Ob die Filmemacher damit ein politisches Statement absetzen wollten, ist nicht klar – aber es passt zur herrlichen Willkürlichkeit des Rests des Streifens.

Geissenpeter wird von einer Person of Color gespielt – und das passt.
Geissenpeter wird von einer Person of Color gespielt – und das passt.

Dazu gibt’s im Film immer wieder die wunderschöne Schweizer Landschaft im Schnelldurchlauf zu sehen. Vom Matterhorn geht’s rasch nach Davos und einmal um die Ecke wieder in die Berner Innenstadt.

An Horror fehlt’s nicht

Ein Familienfilm ist «Mad Heidi» deswegen aber definitiv nicht: Es gibt gute Gründe, weshalb er erst ab 16 Jahren freigegeben ist. Einer davon ist, dass «Mad Heidi» zum Genre der Trash- und Splatterfilme gehört. Ein Trashfilm verstösst provokativ gegen Geschmack, Moral und bürgerlich-konservative Vorurteile und ist oft übertrieben brutal. Letzteres trifft auch auf Splatterfilme zu. Bei «Mad Heidi» kommt immerhin noch Action und Comedy dazu.

An Action fehlt's «Mad Heidi» auch nicht.
An Action fehlt's «Mad Heidi» auch nicht.

Dennoch muss ich ein paar Mal wegschauen, weil einfach zu viele Organe herumfliegen und herausspritzendes Blut zu sehen ist: In «Mad Heidi» werden Menschen mit Hellebarden zweigeteilt, mit Toblerone-Schokolade als Schlagstock zu Tode geprügelt und Schweizer Soldaten mit Armbinden, die an den zweiten Weltkrieg erinnern, schiessen mit Sturmgewehren wild um sich. Mal werden Gesichter zerfetzt. Mal Köpfe weggeschossen. Mal kriegt Heidi in einem KZ-ähnlichen Umerziehungslager ordentlich ihr Fett weg.

Damit nicht genug. Die Fondue-Folter ist allgegenwärtig. Anstatt mit Waterboarding zu foltern, wird heisses Fondue über die Opfer gegossen: Fondueboarding. Die Opfer verbrennen und ersticken gleichzeitig am flüssigen Käse. So funktioniert der «Trash» im «Trashfilm» nunmal.

Kommandant Knorr will alles brennen sehen.
Kommandant Knorr will alles brennen sehen.

Das war aber der Polizei offenbar zu viel: Ein Kader-Polizist wurde wegen seiner Mitarbeit am Film fristlos entlassen – ein solcher Horrofilm mit Nazi-Parodien zu produzieren, wäre nicht vereinbar mit der Polizisten-Position. Im Nachhinein wurde die Entlassung jedoch als unzulässig beurteilt.

Fazit: Viel Witz, aber nicht für alle

Heidi als hellebardeschwingenge Rächerin und Alpöhi als Partisanenkämpfer gegen das Regime der Käsefaschisten sind definitiv sehenswert. Mit einem Aber: «Mad Heidi» ist ein Gaudi, der Film ist aber definitiv nichts für zartbesaitete Seelen. Ein Trashfilm, wie er im Buche steht, mit Humor, der immer wieder mal gewollt die Grenzen von Sitte und Geschmack stösst; Nazi-Polemik ahoi. Dazu fliesst sehr viel Blut – wie das in einem Splatterfilm eben so ist.

Die Schweizer Armbinden erinnern an Kampfbinden aus dem zweiten Weltkrieg.
Die Schweizer Armbinden erinnern an Kampfbinden aus dem zweiten Weltkrieg.

Was auffällt, ist der überraschend hohe Produktionswert. Trashfilme haben es nämlich oft an sich, genauso schlecht auszusehen wie ihr Budget. Siehe «The Ring Thing». Die Bilder in «Mad Heidi» sind aber gar nicht übel. Besonders jene aus den Alpen sind wunderschön. Überhaupt habe ich fast nichts zu beanstanden: Die Schauspielerinnen und Schauspieler überzeugen und auch die Story hat im Grossen und Ganzen mehr Hand und Fuss, als ich erwartet hatte. Du siehst dem Film tatsächlich an, dass er von allen Beteiligten mit viel Liebe gemacht wurde – nur eben nicht für alle.

«Mad Heidi» ist ab dem 24. November 2022 in den Kinos zu sehen. Und wer nicht ins Kino will, kann den Streifen ab dem 8. Dezember direkt auf madheidi.com streamen – ganz ohne Abo.

Alle Bilder: © Swissploitation Films / madheidi.com

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Experimentieren und Neues entdecken gehört zu meinen Leidenschaften. Manchmal läuft dabei etwas nicht wie es soll und im schlimmsten Fall geht etwas kaputt. Ansonsten bin ich seriensüchtig und kann deshalb nicht mehr auf Netflix verzichten. Im Sommer findet man mich aber draussen an der Sonne – am See oder an einem Musikfestival. 


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