
Hintergrund
Warum ich langweilige Filme mag
von David Lee
Schräge Filme in schrägen Kinos schauen: Ich liebe es. Im Moment geht das zwar nicht, aber es gibt einen Schweizer Streaming-Dienst für alternatives Kino: Filmingo. Hier der Test.
Natürlich gibt es schon mehr als genug Streaming-Anbieter: Netflix, Amazon, Apple, Disney und wie sie alle heissen. Doch die bekanntesten richten ihr Angebot voll auf den Massengeschmack aus. Schliesslich geht es darum, möglichst viel Umsatz zu machen. Was auf der Strecke bleibt, sind die Filme abseits des Mainstreams. Diese manchmal schrägen, fremden und sperrigen Filme, die so ganz anders sind als das, was du aus Hollywood kennst.
Die Filme also, die in den Arthouse-Kinos laufen. Oder bis vor kurzem gelaufen sind. Ich habe eine Schwäche für solche Filme, die oft langsam und in gewisser Weise langweilig sind.
Der Schweizer Streaming-Dienst Filmingo deckt die Bedürfnisse einer Minderheit ab. Hollywood-Blockbuster gibts dort keine, Serien auch nicht. Betrieben wird die Plattform vom Filmverleiher Trigon-Film, dessen Filme hauptsächlich aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa stammen. Sie bilden – bis jetzt – den grössten Teil der Sammlung. Aber auch andere Filmverleiher wie Look Now oder Filmcoopi steuern Filme bei.
Die Mehrzahl der Produktionen sind Spielfilme, aber auch Fans von Dokumentarfilmen kommen auf ihre Kosten. Viele Dokfilme stammen aus der Schweiz. Manche Filme sind auch in Deutschland abspielbar, manche weltweit, doch grundsätzlich ist der Dienst nur in der Schweiz und in Liechtenstein ohne Einschränkungen nutzbar.
Normalerweise werden auf der Streaming-Plattform nur Filme gezeigt, die schon vor mindestens vier Monate im Kino gestartet sind. Das hat mit den Filmrechten zu tun. In der jetzigen Situation, wo die Kinos geschlossen sind, finden sich aber auch Premieren.
Wenn du nicht ein langjähriger Arthouse-Junkie bist, wirst du die meisten Filme nicht kennen. Ich kannte nur gerade «Panzerkreuzer Potemkin», den japanischen Klassiker «Rashomon», den grossartigen Streifen «Toni Erdmann», sowie den einen oder anderen Film von Aki Kaurismäki, von dem nicht weniger als 17 Filme zu sehen sind. Ein Freund hat mir «Cold War» empfohlen und unter meiner Ode an langweilige Filme empfiehlt User springen «Solaris» in der Version von 1972.
Filmingo wird grundsätzlich mit dem Webbrowser genutzt. Für Android und iOS gibt es zwar Apps, aber die sind weniger gut als die Bedienung im Browser und meiner Meinung nach überflüssig. In der Android-App gibt es bei einem einmal gestarteten Film keinen Button, um wieder herauszukommen. Auf dem iPad hatte ich einmal das Problem, dass der Film in der App nur in einer reduzierten Auflösung abgespielt wurde, während es im Browser problemlos klappte. Beim zweiten Mal klappte es auch in der App.
Spezielle Apps für Smart-TVs hat Filmingo nicht. Du kannst versuchen, Filme im Browser des TVs abzuspielen. Wir haben es bei einem LG-Fernseher ausprobiert, das hat bestens geklappt, auch die Untertitel funktionierten. Aber es soll nach wie vor TV-Webbrowser geben, die für einen solchen Fall zu limitiert sind. Filmingo empfiehlt in dieser Situation die üblichen Workarounds: Übertragung von einem Laptop per HDMI oder drahtloses Streaming. Dafür eignet sich Apple TV oder Google Chromecast.
Die Synchronisierung des Accounts über verschiedene Geräte funktioniert perfekt. Es scheint keine Limite zu geben, auf wie vielen Geräten du eingeloggt sein kannst. Das liesse sich ausnützen, um einen Account mehrfach zu verwenden. Aber bedenke: Trigon-Film ist kein geldgieriger Riesenkonzern wie Disney, sondern eine Stiftung, die nicht profitorientiert arbeitet. Zudem fällt durch die Kinoschliessungen ein Grossteil der Einnahmen weg.
Am ersten Samstagabend, an dem alle Ausgangsmöglichkeiten geschlossen waren (21. März), gab es zur Prime Time Probleme – die Server waren offensichtich überlastet. Am zweiten Samstagabend sowie zu allen anderen Zeiten flutschte das Streaming problemlos. Die Filme können leider nicht im Voraus heruntergeladen werden, um allfällige Engpässe abends um acht Uhr zu umgehen.
Die Suchfunktion ist sehr flink und zeigt schon während des Eintippens Treffer an. Einbezogen werden Filmtitel, Regisseur und das Land, in dem er gedreht wurde. Die Sammlung lässt sich nach Kategorien, Regionen und Filmverleih durchstöbern. Zudem gibt es kuratierte Listen: Regisseure und Kinos listen ihre Lieblingsfilme auf, mit einem Kommentar als Begründung.
Jederzeit kannst du Filme deiner persönlichen Merkliste hinzufügen oder sie wieder daraus entfernen.
Das einzige, was ich vermisse, ist eine Sortierung. Die Filme erscheinen in der Reihenfolge, in der sie auf Filmingo erschienen sind, das lässt sich nicht ändern. Bei der Merkliste erscheinen sie in der Reihenfolge, in der du sie hinzugefügt hast.
Wenn du keinen unlimitierten Zugang hast, möchtest du natürlich im Voraus beurteilen können, ob du einen Film wirklich sehen willst. Dazu gibt’s neben dem Trailer auch die Möglichkeit, fünf Minuten lang in den Film reinzuschauen. In diesen fünf Minuten – eigentlich sind es sechs – kannst du beliebige Stellen im Film abspielen. Die Zeit bleibt aber nicht stehen, wenn du den Film anhältst oder die Vorschau verlässt.
Nach dem Film kannst du einen Link an die E-Mail-Adresse eines Freundes oder einer Freundin verschicken. Diese Person kann den Film dann gratis anschauen. Dies ist jedoch stark beschränkt. Beim unlimitierten Zugang sind es fünf Filme pro Jahr.
Übrigens ist die gesamte Plattform komplett offen, also auch ohne Login durchsuchbar. Nur für das Anlegen einer eigenen Merkliste brauchst du logischerweise einen Account. Den kannst du auch anlegen, ohne irgend etwas zu kaufen.
Überhaupt gefällt mir, wie offen und klar die Website ist. Die Hilfeseite lässt kaum Fragen offen, erklärt zum Beispiel auch, wie die Kündigung abläuft. Ich erwähne das nur, weil es eine weit verbreitete Unsitte ist, nur dort Hilfe zu geben, wo es geschäftsfördernd ist. Wer schon einmal versucht hat, ein Social-Media-Profil zu löschen, weiss, wovon ich rede.
Ein Jahresabo für die unlimitierte Nutzung kostet 240 Franken, also 20 Franken pro Monat. Ein stolzer Preis, verglichen etwa mit Netflix (11.90), das eine weit grössere Auswahl bietet.
Filme kannst du auch einzeln mieten, zum Einheitspreis von 8 Franken. Auch das ist im direkten Vergleich eher teuer. Ein Film wie «Toni Erdmann» kostet bei Ex Libris 5.40 Franken zum Ausleihen.
Doch diese Vergleiche sind nur die halbe Wahrheit. Denn erstens findest du viele Filme auf Filmingo sonst nirgends. Da es dort neuerdings auch Premieren gibt, müsstest du den Preis mit einem Kinoeintritt vergleichen – und dafür ist er günstig. Zweitens: Die Filme, die ich direkt vergleichen kann, die also auch Ex Libris oder andere Anbieter haben, sind meist älteren Datums. Hier wirkt sich der Einheitspreis von Filmingo im Vergleich nachteilig aus. Bei vielen Anbietern kosten neuere Filme mehr. Beispiel: Joker (2019) auf Ex Libris kostet momentan 8.40 Franken. Und drittens: Die Miete gilt für fünf Tage, nicht nur für zwei wie bei Ex Libris oder HollyStar.
HollyStar bietet sämtliche Filme zum Preis von 4 Franken an – aber nur in Kombination mit einem Abo, für das du zusätzlich knapp 10 Franken zahlst. Ohne Abo liegt der Preis bei 8.40 Franken.
Neben dem unlimitierten Zugang gibt es zwei günstigere Abos, bei denen nur zwei respektive fünf Filme pro Monat inbegriffen sind. Sie kosten 90 beziehungsweise 150 Franken pro Jahr. Weitere Filme müssen für ebenfalls 8 Franken gekauft werden. Diese Abos lassen sich auch monatlich statt jährlich lösen, was aufs Jahr gerechnet teurer ist (9 und 15 Franken).
Filmingo ist kein Streaming-Dienst für jedermann. Aber eine Empfehlung für alle, die auf Filme abseits des Mainstreams stehen. Einen Gratismonat kriegst du zum Einstieg zwar nicht, aber die Plattform kannst du trotzdem risikolos ausprobieren. Denn das ganze Angebot ist offen ersichtlich. Filme können einzeln gemietet oder im Rahmen eines günstigen Monatsabos geschaut werden.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.