
Kritik
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von Kevin Hofer
«Blue Prince» ist die erste grosse Game-Überraschung 2025 und heimst Bestnote nach Bestnote ein. Zu Recht! Das Roguelike-Puzzle-Game ist so faszinierend, dass ich an kaum was anderes denken kann.
Mittlerweile ist meine Photoshop-Datei blueprince.psd auf stattliche 60 Megabyte angewachsen. Zwanzig Megapixel Screenshot-Ausschnitte, Textfragmente, Linien und viele Fragezeichen. Alles wertvolle Notizen, die ich zum Lösen der Rätsel in «Blue Prince» benötige. Das eigentliche Ziel des Spiels habe ich schon längst erreicht. Trotzdem kehre ich immer wieder zurück ins Mount Holly Mansion, um die vielen Rätsel des Hauses zu lösen.
Aber von Anfang an. Ich schlüpfe in die Rolle von Simon P. Jones und habe von meinem verstorbenen Onkel die Schlüssel zu seinem Anwesen mit 45 Zimmern geerbt. Das Haus gehört mir, allerdings nur unter einer Bedingung. Ich muss innerhalb eines Tages das mysteriöse 46. Zimmer finden. Die Krux dabei: Jeden Tag gestaltet sich die Villa wieder neu. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Kein Zimmer bleibt am gleichen Ort.
Auf einer Blaupause (auf Englisch «Blueprint», womit sich auch der Titel erklärt) von fünf Feldern Breite und neun Feldern Höhe muss ich die Zimmer so anordnen, dass ich irgendwie zum Ziel komme. Gelingt mir das nicht, beginne ich von neuem. Das erste Zimmer ist dabei immer der Eingang, von wo drei Türen nach Westen, Norden und Osten weggehen. Ausserdem ist auf der gegenüberliegenden Seite die mysteriöse «Antichamber». Öffne ich eine Türe, erhalte ich eine zufällige Auswahl aus drei möglichen Räumen, die sich dahinter befinden können. Für einen dieser drei möglichen Räume muss ich mich entscheiden. Das kann zum Beispiel ein Gang sein, ein Schlafzimmer, ein Salon oder auch ein Garten. Das Prinzip erinnert mich etwas an das Brettspiel «Das verrückte Labyrinth» aus meiner Kindheit. Gehe ich falsch vor, baue ich mir Sackgassen und versperre mir so die Möglichkeit, weitere Räume hinzuzufügen.
In den Zimmern selbst löse ich Rätsel, sammle Gegenstände oder öffne weitere Türen. So entsteht während jedem Spieltag eine neue Villa. Dabei darf ich nicht ewig in der Villa herumirren. Betrete ich ein Zimmer, tickt mein Schrittzähler von 50 herunter. Bei null Schritten bin ich gezwungen, einen neuen Tag anzufangen und damit eine neue Villa zu bauen.
Tag für Tag betrete ich neue Räume, finde neue Kombinationen, die das Überleben einfacher gestalten und erfinde neue Strategien, um möglichst tief in die Geschichte des Hauses einzutauchen und schlussendlich das mysteriöse Zimmer 46 zu finden. Notizen, Karten oder Bilder kann ich dabei nichtmitnehmen oder irgendwie speichern, weshalb Notizen ausserhalb des Spiels unerlässlich sind. Als ich mein Photoshop-File nach einem Absturz mal nicht mehr öffnen konnte, hatte ich eine Existenzkrise – zum Glück konnte ich es wiederherstellen.
Dabei ist «Blue Prince» eigentlich ein sehr gemächliches Spiel. Ausser den schon angetönten Schritten gibt es kein Zeitlimit in den Räumen. Ich kann nach Belieben erkunden und dabei so oft neu anfangen, wie ich will. Das ist mein einziger Kritikpunkt: Zu Beginn des Spiels hat es etwas zu lange gedauert, bis ich einen echten Fortschritt gespürt habe. Vieles ist nämlich vom Zufall abhängig. Ich muss die richtigen Räume in der richtigen Reihenfolge ziehen, sonst bin ich zurück auf Feld eins. Bis ich gemerkt habe, dass dieses Scheitern ein Grundprinzip des Spiels ist und ich auch Räume platzieren sollte, die mir keine Vorteile verschaffen, hat sich alles etwas repetitiv angefühlt. Aber dann hat es «Klick» gemacht. Seither will ich immer wieder zurück nach Mount Holly Mansion.
Was «Blue Prince» so faszinierend macht, ist die schier endlose Abwechslung. Jeden Tag entdecke ich im Spiel neue Zusammenhänge und Details, erhalte neue Informationen zu anderen Räumen oder entdecke gar ganz neue Räume, die mich wieder vor neue Rätsel stellen.
Damit unterscheidet sich «Blue Prince» fundamental von anderen Rätselgames, die meistens sehr linear ablaufen. «Chants of Senaar» oder «Loreley and the Laser Eye» haben mich im letzten Jahr mit ihren mysteriösen Welten begeistert, bloss war das ewige Hin- und Herrennen auf Dauer ermüdend. Dem schafft «Blue Prince» Abhilfe, da ich mir meine Räume strategisch zurechtlegen und immer ein Auge auf die spärlichen Ressourcen halten muss. Neben den Schritten gibt es noch Schlüssel, mit denen ich Räume aufschliessen kann und Diamanten, die besonders wertvolle oder seltene Räume freischalten. Ausserdem kann ich mit Goldmünzen Dinge wie eine Schaufel, einen Metalldetektor oder Turnschuhe kaufen, die ich wiederum zum Lösen von Rätseln brauche. Was sicher nie passiert ist, dass ich von allen Ressourcen genug habe. Das macht jeden Raum immer wieder aufs Neue spannend, auch wenn ich ihn schon dutzendfach betreten habe.
Diese Verbindung von Strategie und Rätseln ist einzigartig. Habe ich keinen Bock auf Logikrätsel, versuche ich mit geschickter Taktik und etwas Glück zum Ziel zu kommen. Meistens ist sowieso der Weg das Ziel. Und immer dann, wenn mich «Blue Prince» besonders fordert oder gar überfordert, finde ich wieder eine neue Fährte, die ich verfolge. Zum Glück habe ich mir zur vorherigen Fährte Screenshots und Notizen in meinem File gemacht. Wetten, dass ich diese Infos bald brauche?
«Blue Prince» ist für PC, Mac, PlayStation 5 und Xbox Series erhältlich und im Gamepass spielbar. Das Spiel wurde mir von Raw Fury zu Testzwecken für den PC zur Verfügung gestellt.
Pro
Contra
Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell.