
Kritik
«The Amateur»: erstaunlich abgeklärt für einen «Hobby-Spion»
von Patrick Vogt
Wäre der Film «65» ein Gericht, dann eines, das trotz guter Zutaten zu fad geraten ist. Schuld daran ist eine viel zu langweilige und öde Story, die nicht halb so fesselnd ist, wie sie sein will.
Hirn raus. Popcorn rein. Geniessen. Es gibt sie, diese Filme, die einzig – und wirklich nur einzig – nach dieser Devise funktionieren. Meist verrät sie schon das Marketing. Oder die ersten Trailer. Die «Fast & Furious»-Reihe kommt mir in den Sinn. Oder «Plane» mit Gerard Butler in der Hauptrolle, ein jüngeres Beispiel. Bei «65» war ich mir nicht sicher.
Produziert wurde der Film mit dem Zahlennamen nämlich von Horror-Legende Sam Raimi. Und geschrieben wurde er von denselben Autoren, die auch «A Quiet Place» geschrieben haben – Scott Beck und Bryan Woods. Das geht als Qualitätssiegel durch, denn der stille Horror-Streifen aus dem Jahr 2018 ist clever. Dazu kommt ein Trailer, der überhaupt nicht so dümmlich wirkt, wie er’s bei den meisten Popcorn-Filmen oft tut.
93 Minuten später – so lange dauert der Film – bin ich schlauer: Hätte ich doch nur nichts erwartet. Aber vermutlich wäre ich auch dann enttäuscht worden.
Mills (Adam Driver) will eigentlich nicht weg. Aber seine schwerkranke Tochter (Chloe Coleman) benötigt eine Behandlung, die sich der Astronaut und Raumschiff-Pilot nur dann leisten kann, wenn er sich auf eine zweijährige Forschungsmission begibt.
Auf dem Rückweg kommt es zur verhängnisvollen Kollision mit einem Asteroiden-Gürtel, der nicht kartografiert war. Mills und sein Raumschiff voller Forscherinnen und Forscher stürzen auf einen geheimnisvollen Planet ab. Überlebende? Nur er. Und ein Kind. Koa (Ariana Greenblatt). Was die beiden nicht wissen: Der Planet ist die Erde, und ihre Geschichte spielt vor 65 Millionen Jahren.
Für Mills und Koa beginnt ein Kampf um Leben und Tod. Denn die Rettungskapsel, welche die beiden zurück in den Orbit der Erde schiessen könnte, befindet sich in einem beim Absturz abgebrochenen Teil des Raumschiffs. Der ist mehrere Tagesmärsche von ihnen entfernt, und eine ganze Reihe prähistorischer Ungeheuer haben es auf sie abgesehen.
Mach nicht denselben Fehler wie ich. Schliess nicht vom Trailer auf den Film. Denn «65» ist schlichtweg kein «A Quiet Place» mit Dinosauriern. Dabei wäre die Prämisse fast gleich: In beiden Filmen stellen mysteriöse Monster eine tödliche Bedrohung dar, der die Figuren auszuweichen versuchen, während sie möglichst unerkannt von A nach B reisen. Aber wo «A Quiet Place» mit seiner drückenden Atmosphäre und den wenigen, dafür geradezu verstörenden Bildern die drohende Gefahr nachhaltig in unser Bewusstsein brennt, ist «65» einfach nicht brutal oder gruselig genug. Im Gegenteil. «65» ist vorhersehbar und dämlich.
Hätte ich nicht nachgeschaut, hätte ich auf eine Altersfreigabe von 12 Jahren getippt, so mau und unaufgeregt ist «65». Sogar während seiner kurzen 93 Minuten vermochte er mich zu langweilen. Dass der Möchtegern-Abklatsch von «A Quiet Place» trotzdem ein FSK 16 bekommen hat, ist für mich der grösste Plottwist des Films.
Versteh mich nicht falsch: Brutalität und Gewalt um ihrer selbst Willen ist nicht das, was mir hier fehlt. Aber es sind nun mal Stilmittel, die mir als Zuschauendem den Horror suggerieren, den die Figuren in der Story erleben. Dabei ist «65» durchaus solide inszeniert. Die Erde vor 65 Millionen Jahren sieht üppig und prähistorisch aus. Das Dino-Design erfrischend anders – der Versuchung, «Jurassic Park» oder «Jurassic World» nachzuahmen, widerstehen die Macherinnen und Macher gekonnt. Das rechne ich ihnen hoch an. Und auch die Computereffekte lassen nichts zu wünschen übrig. Handwerklich gibt’s nicht viel zu meckern.
Woran scheitert «65» – abgesehen von der verpassten Brutalität – dann?
Das erste Problem ist, dass «65» kein Horror-Thriller mit Dinosauriern ist, wie es der Trailer suggeriert. Eher ein lauwarmer Sci-Fi-Actionfilm à la Will Smiths «After Earth». Das zweite, weit grössere Problem ist, dass dem von Adam Driver gespielten Mills ein Kind zur Seite gestellt wird. Das muss er den ganzen Film durch beschützen. Horror mit Kindern? Das trauen sich nur wenige Filme zu. Als ob’s das ungeschriebene Gesetz gäbe, dass Kindern in Filmen nichts Grausiges passieren darf. In «65» wirkt es tatsächlich so, als ob der Film deswegen mit angezogener Handbremse inszeniert worden wäre, um sich eine tiefere Altersfreigabe zu sichern (die’s dann nicht mal gab).
Und als ob das alles nicht genug wäre, kommt die irre dumme Entscheidung dazu, dass Mills und Koa, das Kind, nicht dieselbe Sprache sprechen. Storytechnisch soll das wohl einfach ein zusätzliches Hindernis auf ihrer Reise sein. In der Praxis schreibt sich das Drehbuch in eine unmögliche Ecke. Denn Mills verzweifelt fast daran, Koa in jeder zweiten Szene wild gestikulierend erklären zu wollen, was ihr Ziel ist. Der Plan. Die Regeln. Und ich verzweifle mit Mills! Es bremst den Film, statt ihn spannender zu machen. Ständig. Meine Augen rollen sich öfter, als es für einen derart kurzen Film angebracht wäre.
Dann will mir das Drehbuch auch noch weismachen, dass die beiden innert Tagen und ohne wirklich miteinander kommunizieren zu können eine innige Vater-Tochter-Beziehung entwickeln. Joel und Ellie aus «The Last of Us» brauchten dafür Monate. Aber okay, da hätte ich noch drüber hinwegsehen können. Wenn sie sich dann wenigstens nicht ständig wie einfältige Dummköpfe benehmen würden. Exemplarisch dafür ist eine Szene, in der Mills und Koa in eine Hunderte Meter tief reichende Höhle flüchten, um einem wütenden T-Rex-ähnlichen Dinosaurier zu entkommen. Am Ende der Höhle angelangt, verzweifeln die beiden, als ob es keinen anderen Ausgang mehr gäbe (rückwärts gehen, anyone?). Dann wollen sie sich den Weg mit Handgranaten freisprengen. In einer Höhle! Gute Idee … Warum kehren sie nicht einfach um, um zu sehen, ob der T-Rex Stunden später noch da ist, bevor sie so was Dummes wagen, wie sich höchstwahrscheinlich selbst unter Tonnen von Gestein zu vergraben!?
Solche haarsträubenden Beispiele gibt’s immer wieder. Würde sich der Film als Hommage an Monster-B-Movies aus den 1980ern vermarkten, wäre ich vielleicht verzeihender. Aber nochmals: Der Trailer verspricht mir einen intensiven Monster-Horror-Thriller. Er wirbt sogar damit, dass die Autoren von «A Quiet Place» mitwirken. Da steigt meine Erwartungshaltung. Selbst schuld, wenn sie masslos enttäuscht wird.
Viel zu sagen gibt’s nicht mehr. «65» will mehr sein, als er ist. Gruseliger und intensiver vor allem. Wenn aber letztlich aus Adam Drivers futuristischen Schrotflinte nur CGI-Schrot auf CGI-Monster prallt, das dann ein bisschen CGI-Blut durchs Bild spritzen lässt, ist das kein Horror. Kein echter Horror.
Hätte ich das Drehbuch zum Redigieren bekommen, hätte ich die Kinderfigur der Koa vermutlich ganz aus dem Film gestrichen. Stattdessen hätte ich Driver alleine auf die Pirsch geschickt. Bei mir wär’s nicht «A Quiet Place» mit Dinos, sondern «The Revenant» mit Dinos geworden. Stell’s dir vor. Wäre doch viel interessanter, oder nicht? Ich ruf mal meinen Agenten an.
«65» läuft ab dem 9. März 2023 im Kino. Laufzeit: 93 Minuten. Freigegeben ab 16 Jahren.
Titelfoto: Sony PicturesAbenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»