Produkttest

Comeback des Jahres – Was das Nokia 8 wirklich taugt

Luca Fontana
13.10.2017

Microsofts Rückzug aus der Handybranche war auch das Ende einer Ära für Nokia. Was kaum einer wusste: Kurz zuvor kaufte HMD Global die Nokia-Markenrechte. Nun bläst das finnische Unternehmen mit dem Nokia 8 zum Angriff. Ob das Comeback glückt?

Etwas mehr als drei Wochen ist es her, als mir Senior Editor Dominik Bärlocher das Nokia 8 zum Testen überreichte. Er weiss, das ich bisher nur iPhones benutzte. Salopp meinte er, ich solle mir die pure Android-Erfahrung geben – dass der Ausdruck «pur» nicht zufällig gewählt war, würde ich im Rahmen dieses Tests erfahren. Anfangs harzte der Umstieg. Einige Tricks, Kniffe und sonstige Schandtaten später läuft nun aber alles glatt. Und wie!

Schickes Design und der unfreiwillige Stabilitätstest

Eigentlich bin ich nicht dafür bekannt, Handys wie Junior Editorin Livia Gamper zu vernichten. Tatsächlich habe ich erfolgreich vier Smartphones und zwei Tablets ohne geringste Kratzspuren durch ihren relativ kurzen, etwa zweijährigen Lebenszyklus gebracht.

  • Produkttest

    Crosscall Trekker X3: Wie ich ein Handy zerstört habe in 10 Schritten (aus Versehen)

    von Livia Gamper

Ausgerechnet bei meinem Testobjekt riss die Serie. Natürlich. Wäre ja nicht lustig, wenn ich dem Produkt Management kein Pfui-Pfui zu beichten hätte. Was ist passiert? Das Handy ist mir aus der Hand geflutscht. Die unsanfte Landung auf Zürcher Strassenbelag forderte ein gerissenes Glas bei der rückseitigen Kameralinse und zwei recht derbe Flüche meinerseits.

Nokia 8 (64 GB, Tempered Blue, 5.30", Hybrid Dual SIM, 13 Mpx, 4G)
Smartphone

Nokia 8

64 GB, Tempered Blue, 5.30", Hybrid Dual SIM, 13 Mpx, 4G

Nokia 8 (64 GB, Stainless Steel, 5.30", Hybrid Dual SIM, 13 Mpx, 4G)
Smartphone

Nokia 8

64 GB, Stainless Steel, 5.30", Hybrid Dual SIM, 13 Mpx, 4G

Geschuldet ist dieser Unfall ganz offensichtlich nicht meiner Tollpatschigkeit (Vorsicht, Sarkasmus!). Um mein Gewissen zu beruhigen, gebe ich der sauberen Verarbeitung die Schuld. Soll heissen: Das Handy ist aus einem Aluminiumblock der 6000er-Klasse gefertigt, mit abgerundeten Ecken – schön dünn und angenehm leicht. Ein sogenanntes Unibody-Gehäuse eben. Das sieht zwar sehr edel aus, ohne Schutzhülle droht es aber ständig aus den Händen zu rutschen. Hätte das Nokia 8 ein bisschen dicker sein können? Ja, warum nicht. Es würde dadurch etwas besser in der Hand liegen.

Nichtsdestotrotz gibt's am Design kaum was zu meckern. Im Gegenteil, es überzeugt durch seine Schlichtheit. Das Display ist zwar nicht randlos – was momentan der letzte Schrei zu sein scheint – wirkt dank den abgerundeten Kanten aber so. Wenn mir das Handy nicht gerade zu Boden fällt, fühlt es sich richtig geschmeidig an. Das ist wenig überrachend, schliesslich handelt es sich beim Nokia 8 um ein Premium-Gerät.

Viel Leistung und das pure Betriebssystem

Zählen wir ein paar Hard-Facts auf:

  • CPU: Snapdragon-835 Prozessor von Qualcomm
  • Betriebssystem: Android 7.1.1 Nougat (Stock Android), ab Ende Oktober Android 8 Oreo
  • Interner Speicher: 64 GB Speicherplatz
  • Arbeitsspeicher: 4 GB RAM
  • 3,5-mm-Klinke für Kopfhörer
  • Fingerabdruck-Sensor zum Entsperren
  • Dual-SIM-Funktion auf Wunsch enthalten

Der Prozessor und die 4 GB Arbeitsspeicher sorgen für eine flotte Bedienung. Das Hin- und Herwischen geht gefühlt flüssig und ganz ohne Verzögerungen. Apps öffnen sich rasch und laden rassig. Auch CPU-Fresser wie Spotify oder Snapchat laden sich einen Zacken schneller auf als bei anderen Android-Geräten. Bei Snapchat konnte ich ganz locker zwischen den Filtern durchwischen – etwas, das ich vorher gar nicht kannte.

Dass das Ding so gut läuft, liegt auch daran, dass HMD Global bei seinen neuen Smartphones eine pure Version von Android, auch Stock Android genannt, verwendet. Wo andere Hersteller das Betriebssystem als Basis nehmen und ihr eigenes Gedöns (überflüssige, vorinstallierte Apps und Anpassungen der Benutzeroberfläche) drüberprogrammieren, nimmt HMD Global die Software so, wie sie von Google daherkommt. Die Firma verzichtet auf eigene, exklusive Funktionen, die sie bewerben könnte. Dafür gewinnt der Nutzer ein Betriebssystem, das praktisch ohne Macken auskommt.

Ein weiterer Vorteil: Schnellere Sicherheits- und Systemupdates als bei der Android-Konkurrenz. Das Systemupdate auf Android 8 Oreo wird schon Ende Oktober kommen, was deutlich früher als bei der Konkurrenz ist.

Viel Leistung in einem flachen Aluminumblock. Design meets Technik.

Der interne Speicher beträgt nur 64 GB – 48 GB, wenn man den für die Software reservierten Platz abzieht – ist aber via Micro-SD-Karte erweiterbar. Per Fingerabdruck kannst du den Bildschirm entsperren. Das hat bei mir bisher tadellos funktioniert. Eine Dual-SIM-Funktion zur gleichzeitigen Nutzung von zwei SIM-Karten wird dir auf Wunsch ebenfalls spendiert.

Tolle Kameras und herausragendes Display

Die Spezifikationen der Kamera können sich sehen lassen:

  • Zwei Rückkameras, Farbe und Monochrom
  • 13 Megapixel und Autofokus auch auf der Frontkamera
  • Zeiss-Optik sowohl bei Front- als auch Rückkamera
  • Fotos mit Tiefenschärfe dank der Dual-Kamera (Bokeh-Effekt)

Die Schwarzweissfunktion ist lässig. Damit macht man Fotos direkt in Schwarz-Weiss; das Drüberlegen eines Filters in einem Bearbeitungsprogramm entfällt. Das kommt der Bildqualität sichtlich zu Gute. Den Bokeh-Effekt konnte ich leider nicht testen, weil das Glas vor der zweiten Linse beim erwähnten Sturz auf den Asphalt zerbrach – saudoof!

Eine neue, ganz ausgefuchste Funktion ist das sogenannte «Bothie». Der Name leitet sich vom Selfie ab, und bedeutet, dass man gleichzeitig Front- und Rückkamera so aktivieren kann, dass man nicht nur sich selber knipst, sondern auch das, was sich vor der Kamera befindet. Funktioniert übrigens auch beim Video machen: An der Abschlussfeier meiner Freundin konnte ich nicht nur den feierlichen Moment der Diplomübergabe filmen, sondern auch meine stolzen, vor echten Männertränen glänzenden Äuglein. Schöne Sache!

Bothie: Aufnehmen, was sowohl vor als auch hinter der Kamera passiert – warum nicht?

Auch das QHD-Display weiss zu überzeugen. 3,7 Millionen Bildpunkte (2560×1440 Pixel) auf einer 16:9 Anzeige sorgen mit 554 Pixel pro Zoll für gestochen scharfe Bilder. Auf Wunsch kannst du das Display so hell einstellen, dass es dir die Augen aus dem Kopf brennt – glücklicherweise passt sich die Helligkeit automatisch an die Lichtverhältnisse an, wenn du die adaptive Helligkeitsfunktion vorher aktivierst. Das hat bei mir hervorragend funktioniert: Tagsüber ist das Bild klar und gut erkennbar, selbst bei hellsten Lichtverhältnissen. Abends dimmt das Bild automatisch genau so viel wie nötig, ohne dass ich das Gefühl hätte, mit einer Sonnenbrille aufs Bild zu starren. Grosses Kino!

Akkulaufzeit wie gewohnt

Wie immer bei mir kommt auch dieses Smartphone beim normalen Gebrauch nicht über einen Tag ohne Ladestation hinaus. Unter normalem Gebrauch verstehe ich morgens im Zug ein wenig rumdaddeln, «20 Minuten» lesen oder WhatsAppen. Das gleiche nochmals mittags und abends. Zwischendurch ein Selfie (pardon, Bothie) oder ein, zwei Videos. Gegen 21 Uhr abends zieht mich die Ladestation mindestens genauso stark an wie das Licht die Motte.

Zeitgemäss ist die Quick-Charge-Funktion, die das Handy innert gut 90 Minuten von 0 auf 100% bringt. Das ist mega praktisch, gerade wenn man nicht 24 Stunden und 7 Tage die Woche Stromzugriff hat. Weniger zeitgemäss ist das nicht vorhandene drahtlose Laden. Dafür hätte es eine Rückseite aus Glas oder Plastik gebraucht, die zudem auch handlicher gewesen wäre (ich bin immer noch davon überzeugt, dass ich kein Tollpatsch bin). Fairerweise muss aber festgehalten werden, dass eine solche Verbauung für ein Premium-Handy nicht üblich ist und einige potenzielle Kunden verprellt hätte.

Neue Massstäbe werden bei der Akkulaufzeit nicht gesetzt. Alte aber auch nicht unterschritten.

Fazit

Das Nokia 8 ist sicherlich kein Handy, das neue, revolutionäre Funktionen auspackt, die wir noch nicht gesehen haben. Es besitzt keine Gesichtserkennung, kein drahtloses Laden und kein randloses Display. Alles, was es kann, können die anderen eigentlich auch. Der Bokeh-Effekt hat sich längst rumgesprochen, auch der Fingerabdruck beim Entsperren ist keine Weltneuheit mehr. Was also macht das Nokia 8 aus?

Für mich ist es der Umstand, dass es das, was es kann, eben verdammt gut kann. Und verdammt schnell. Und das zu einem sehr attraktiven Preis, wenn du das Handy mit seinen Mitbewerbern vergleichst. Dazu kommt das zugegebenermassen schlichte, aber sehr schicke Design. Das Tüpfelchen auf dem «i» ist aber Stock Android: Die Benutzeroberfläche ist schnörkellos und kommt ohne überflüssigen Schischi aus.

Comeback geglückt? Comeback geglückt.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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