
Meinung
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von Carolin Teufelberger
Chemielehrer Walter White erkrankt an Krebs und baut ein Meth-Imperium auf, damit die Familie nach seinem Tod ausgesorgt hat. «Breaking Bad» berührt, verwundert und fasziniert. Was macht die Serie auch zwölf Jahre später noch so verdammt gut?
Vom Tellerwäscher zum Millionär: der klassische amerikanische Traum. Nur, dass hier der Tellerwäscher Chemie an einer High School unterrichtet und zum Kopf eines Methamphetamin-Rings wird. Was gleich bleibt, sind die Millionen – und davon sind viele im Spiel. «Breaking Bad» ist weltbekannt, ein Klassiker und wegweisend für die Geschichte des bewegten Bildes.
Spoilerwarnung: Falls du die Serie noch nicht gesehen hast, liest du ab hier auf eigene Gefahr weiter.Walter White (Bryan Cranston), ein Highschool-Chemielehrer, sieht sich nach einer düsteren Krebsdiagnose – verbunden mit teuren OPs und Chemotherapien – dem finanziellen Ruin ausgeliefert. Um sich und vor allem die Familie nach seinem Tod über Wasser halten zu können, steigt er ins Drogen-Business ein. Von der Beschaffung der Rohstoffe über rivalisierende Gangs bis hin zur Lagerung einer Riesenmenge Bargeld: Es ist kein leichtes Unterfangen, dem sich Walter stellt. Nur, damit sich die Familie nach seinem Ableben keine finanziellen Sorgen mehr machen muss. Der Kampf mit sich selbst, eine ahnungslose Familie oder der drohende Tod durch die Krebserkrankung im Stadium IIIA sind nur einige der Hürden, die er im Alltag meistern muss.
Ein Versuch, herauszufinden, wieso mich die Serie nicht mehr loslässt, obwohl ich sie zwölf Jahre zu spät gesehen habe. Und wie sich deswegen mein ganzes Serienuniversum verändert hat.
Der Einstieg in eine Serie kann so unterschiedlich sein wie deren Handlung. Viele Mehrteiler beginnen mitten in den Geschehnissen, holen dann vieles in Rückblicken nach und zeigen in den letzten Folgen, wie das Ganze ausgeht. «La Casa de Papel» oder «Lost», zum Beispiel. Einige – mir kommt spontan «Blacklist» in den Sinn – lassen Fragen offen, bei anderen – beispielsweise «Dark» – weiss ich nicht, wo auf der Zeitachse sich die Geschichte gerade abspielt. Nur wenige greifen auf die klassische lineare Erzählmethode zurück.
Zum Beispiel «Breaking Bad».
Die Serie beginnt am Anfang und endet am Ende. Als Zuschauer erlebe ich Walter White hautnah. Ich lerne ihn als verwirrten Chemielehrer kennen und als besorgten Familienvater lieben. Ich leide mit, als er kurz nach seinem Geburtstag seine Krebsdiagnose erfährt. Ich bin dabei, als ihm sein Schwager Hank vom leichten Geld im Meth Business erzählt. Ich versuche, ihm mit Jesse und dessen Drogenentzug zu helfen. Und ich weine, als mit der Serie auch meine Reise an Walts Seite zu Ende geht.
Ich hasse es, wenn ich erst ein halbes Jahr später erfahre, weshalb der zwielichtige Typ genau an jener Strassenecke gestanden hat. Das war wohl das Problem, als ich mich das erste Mal an die Serie gewagt habe. Ich schaute vor ungefähr zehn Jahren eine Folge aus der dritten Staffel. Nach knapp 50 Minuten hatte ich keine Ahnung, was ich da eben gesehen habe. Das war's für mich mit Walter White und Co. Hätte ich Producer Vince Gilligan doch damals eine zweite Chance gegeben. Denn heute weiss ich, dass er bei «Breaking Bad» alles richtig gemacht hat.
Weshalb bin ich zwölf Jahre zu spät auf dieses Juwel gestossen? Vielleicht, weil es nicht nach den ersten zwei Folgen unzählige Fragen offen lässt, was zu jener Zeit das Mass aller Dinge war. War die Serie zu uncool für damalige Verhältnisse? Oder war ich zu uncool für die Serie? Ich weiss es nicht. Heute aber ist mir klar, dass «Breaking Bad» und Cranston alias Walter «Heisenberg» White das Beste sind, was ich je gesehen habe.
Hal aus «Malcolm Mittendrin» – niemals hätte ich mir vorstellen können, Bryan Cranston in einer anderen Rolle zu sehen. Der schusselige Familienvater, der unter dem Pantoffel seiner Frau steht und mit den Dummheiten seiner drei verrückten Kids zu kämpfen hat. Cranston war für mich Malcolms Vater, und das sollte er immer bleiben. Dann habe ich «Breaking Bad» gesehen und Heisenberg hat alles auf den Kopf gestellt. Nach fünf intensiven Staffeln mit Walter White weiss ich nicht mehr, was ich glauben soll: Ist Bryan Cranston Walter White oder ist Walter White Bryan Cranston? Keine Spur mehr von Hal.
Eine derartige schauspielerische Leistung ist unmenschlich. Nichts, was Cranston sagt oder tut, wirkt überzeichnet, unnatürlich oder erzwungen. Ich glaube Walter White jedes Wort, jede Träne und jedes Husten. Ich weiss nicht, wie das geht, aber: Da ist nichts gespielt, das ist alles echt. Ich habe Joaquin Phoenix als Joker gesehen und sollte ihn nie mehr vergessen. Bis Walter White diese Erinnerung mit seinem hässlichen Pontiac Aztek plattgewalzt hat.
Es ist ein Schicksal, das ich niemandem wünsche: Kurz nach seinem Geburtstag erfährt Walter White, dass er Lungenkrebs im Stadium IIIA hat. Eine Operation und Chemotherapien sind notwendig, aber viel zu teuer für den Familienvater aus einfachen Verhältnissen. Sein Job als Chemielehrer an einer High School in Albuquerque, New Mexico, bringt ihm nicht genug ein, um seine Arztrechnungen zu zahlen und gleichzeitig für seine Familie zu sorgen. Durch Zufall erfährt er von Hank, seinem Schwager und DEA-Agenten, dass mit Meth viel Geld zu holen ist – bis der Knast ruft, betont der Mann von Skylers Schwester.
Als Walt bei einem Einsatz mitfahren darf und einen seiner Exschüler vom Tatort fliehen sieht, packt er die Chance und macht den ersten von vielen Schritten in eine Welt, die er bisher nur aus dem Fernsehen kannte. Ist es wirklich möglich, so verzweifelt zu sein, dass die Produktion von und der Handel mit Drogen der letzte Ausweg ist? Wenn ich Walter bei seinem Absturz nicht hautnah hätte begleiten können, hätte ich es nicht geglaubt.
Meine Emotionen erleben während der Serie eine Berg- und Talfahrt – genauso, wie es Walter ergeht. Ich fühle mit ihm, auch wenn ich mich niemals mit ihm identifizieren könnte. Ich bin am Boden zerstört, als der arme Kerl praktisch am Geburtstag von seiner unheilbaren Erkrankung erfährt. Und dies, obwohl ich zu dem Zeitpunkt bereits wusste, dass er sich als Meth-Produzent eine goldene Nase verdienen wird.
Wie schaffst du das, Cranston?
Es braucht unfassbar viel, all dies vor der Familie geheimzuhalten. Nicht, weil es illegal ist. Nicht, weil wegen seines kriminellen Status der Krebs plötzlich nur noch das Zweitgefährlichste in seinem Leben ist. Sondern weil die Familie jene Menschen sind, denen du alles anvertrauen kannst, in guten wie in schlechten Zeiten. Aber Walt entscheidet, alles alleine durchzustehen. Hasse ich ihn, als er seine Frau immer schlechter behandelt? Als er zugibt, mit Meth kochen weitergemacht zu haben, weil er der Beste war, und nicht, um seine Familie zu versorgen? Logisch. Aber ich verstehe ihn. Und ich verzeihe ihm.
Walter White ist mehr als die halbe Miete für «Breaking Bad». Doch die Serie ist nicht nur dank Cranston überragend. Auch Aaron Paul alias Jesse Pinkman spielt auf Weltklasseniveau. Ich habe nicht mitgezählt, wie viele Male ich den Typen am liebsten von seiner versifften Couch gezerrt, unter die kalte Dusche gestellt und «Get your shit together, man!» geschrien hätte.
Zu Beginn habe ich Mitleid: Er ist der arme Sack, den Walter White mit ins Verderben zieht. Er muss Walts Prügel einstecken und Dreck fressen. Doch je länger die Serie dauert, desto besser verstehe ich Walts strenge Führung. Auch als Mike Jesse unter seine Fittiche nimmt, muss Jesse leiden. Die beiden meinen es stets gut und handeln in Jesses Interesse. Nur hat der zugedröhnte Junkie davon nie auch nur die leiseste Ahnung. Unzählige Male erwische ich mich dabei, wie ich den Fernseher anschreie: «Warum, Jesse, warum nur?»
Aber auch Aaron Paul hat es geschafft, dass ich in der Schlussszene eine Freudenträne verdrücke, als er durch die Gitter in die Freiheit rast.
Nicht nur die beiden Hauptdarsteller wachsen in «Breaking Bad» über sich hinaus. Die Auftritte von Tuco Salamanca (Raymond Cruz) als durchgedrehter Gangboss? Unbezahlbar. Oder Tucos Onkel Héctor (Mark Margolis)? All die Besuchsszenen mit Gustavo Fring (Giancarlo Esposito) im Altersheim, als er sich im Polizeiverhör absichtlich in die Hosen macht? Unnachahmbar. Den Klang seiner Glocke werde ich so schnell nicht mehr los. Kein einziges Wort hat er im Rollstuhl gesprochen – doch das macht nichts. Denn ich habe ihm immer angesehen, was er sagen wollte.
Unvergessen bleibt auch Hank Schraders (Dean Norris) Auftritt von jenem Moment an, als er die üble Schiesserei auf dem Parkplatz überlebt. Wie er sich aufgibt, als er im Spitalbett realisiert, dass er wohl nie mehr richtig gehen wird. Als er, ein gestandener DEA Officer, begreift, dass sein Leben nie mehr so sein wird wie bisher und das Krankenhaus nicht mehr verlassen möchte. Als ihn seine Frau austrickst und nach Hause kriegt. Als er die Beförderung ausschlägt, die ihm Geld und Ruhm eingebracht hätte. All dies, weil ihm die Jagd nach dem ominösen Heisenberg keine Ruhe lässt. Sein Blick, als ihm klar wird, dass Walt derjenige ist, hinter dem er die ganze Zeit her war. Die Blicke, die die beiden in Hanks Garage tauschen – ich kriege Gänsehaut, wenn ich nur schon daran denke.
Nebst dem Cast sind es Kleinigkeiten, die «Breaking Bad» zum Unikat machen. Etwas Unscheinbares, das mich aber dennoch die ganze Serie hindurch beschäftigt hat, ist der Name von Walters Sohn (RJ Mitte). Welcher Vater tauft seinen Sohn Walter Junior? Sowas geht heute nicht und sowas ging auch vor zwölf Jahren nicht. Als sich der an infantiler Zerebralparese leidende Junge dann plötzlich Flynn nennt, weil sich sein Vater komisch verhält, wird mir alles klar. Vince Gilligan, du hinterhältiges Genie: Der Name ist ein Statement. Der Vater gibt der Familie seinen Nachnamen und wenn der Sohn sogar noch denselben Vornamen kriegt, dann gibt es keine Missverständnisse mehr, wer wohin gehört. Das zeigt sich erneut, als Walter Junior bei der Trennung seiner Eltern trotz Differenzen zum Vater hält. Kein Film und keine Serie haben es bisher geschafft, dass mich etwas so Simples wie ein Name derart aufwühlt.
In dieselbe Kategorie fällt der Lottoschein, den Walt in der fünften Staffel kauft. Das Geniale daran? Die Zahlen, die er spielt, sind Koordinaten, an denen er sieben Fässer gefüllt mit achtzig Millionen Dollar Cash in der Wüste vergraben hat. Ein Lottoschein mit falschen Zahlen. Eine Niete, die trotzdem zum grossen Geld führt. Es sind – im echten Leben – die Koordinaten der Albuquerque Film Studios.
Geflasht hat mich auch der Umgang mit der Kamera. Dabei geht es mir nicht um die Tatsache, dass mit analogem 35-mm-Film gedreht worden ist, was für eine TV-Serie sehr ungewöhnlich ist. Nein, ich spreche von der Kameraperspektive. Producer Gilligan versetzt den Zuschauer immer wieder in ein Objekt hinein. In einen Bottich des Labors, in welchen Gale Methylamin füllt. Unter die Erde, die Walter gerade dabei ist, umzugraben. Oder hinter die Tischplatte, auf der sich Jesse eine Linie reinzieht. Egal, aus welchem Gegenstand oder Ort gefilmt wird, es verleiht der Serie zusätzlichen Charme.
Ich schaue aufmerksamer hin, wenn ich einen schwarzbraunen Bildschirm vor mir habe, der sich plötzlich lichtet und ich merke, dass ich mich in einem Loch befinde, das Heisenberg aushebt. Würde Walt von vorne oder hinten gezeigt werden, wie er mit einer Schaufel gräbt, würde ich zwar dieselbe Aktion sehen, aber komplett anders fühlen. Ein Mann, der in der Wüste ein Loch gräbt, versus ich, wie ich in der Wüste von einem Mann ausgegraben werde. Ich erblicke das Tageslicht, bin direkt beteiligt, schaue dem Typen in die Augen und nicht nur über die Schulter. Ein kleiner, aber feiner Unterschied.
Die Moral der Geschichte? Das ist noch längst nicht alles. Es gibt nur ansatzweise wieder, wie unglaublich gut «Breaking Bad» ist. Mit Walter White und Co. ist es wie mit einem Eisberg: Neun Zehntel spielen sich unter der Oberfläche ab. Dennoch hat es gut getan, mir mit diesen Worten zumindest einen Teil des Gesehenen von der Seele zu schreiben. Du verstehst mich? Dann freue ich mich über einen Kommentar. Du verstehst mich nicht? Dann schau dir «Breaking Bad» an.
Teaserbild: TMDB.org/000000Wenn ich nicht gerade haufenweise Süsses futtere, triffst du mich in irgendeiner Turnhalle an: Ich spiele und coache leidenschaftlich gerne Unihockey. An Regentagen schraube ich an meinen selbst zusammengestellten PCs, Robotern oder sonstigem Elektro-Spielzeug, wobei die Musik mein stetiger Begleiter ist. Ohne hüglige Cyclocross-Touren und intensive Langlauf-Sessions könnte ich nur schwer leben.