
Hintergrund
NewPipe: Das bessere YouTube für Android
von Dominik Bärlocher
Google hat genug von der schwedischen Konkurrenz aus dem Hause Spotify: Youtube Music ist neu auch in der Schweiz erhältlich. Ein Blick auf den neuen Service und ein Vergleich mit dem Platzhirsch Spotify.
Eine Pressemitteilung informiert darüber, dass Youtube Music (Android und Apple iOS) neu in der Schweiz erhältlich ist. Damit ist klar, dass der amerikanische Suchgigant dem schwedischen Musikgiganten Spotify den Kampf ansagt.
Zeit, die App etwas genauer anzusehen. Vor allem auch aus dem Grund, dass du jetzt drei Monate lang gratis Youtube Music Premium bekommst. So quasi um dich anzufixen.
Das erste Hindernis bei Youtube Music Premium kommt in der Sekunde, in der du das Premium-Probeabo lösen willst. Denn bereits dort verlangt die App nach deiner Kreditkarte, bucht aber nichts ab. Das heisst, dass du deinem Account bereits eine Kreditkarte hinterlegst, aber die bleibt vorerst als Datensatz in deinem Account liegen.
In drei Monaten dann wird dir dann monatlich 12.90 CHF belastet, denn so teuer ist das Abo für das Premium-Angebot. Spotify kostet übrigens 12.95 CHF pro Monat. Eine Premium-Musik-App ist ein Luxus, den ich mir gönne, bin aktuell einigermassen glücklicher Spotify-Nutzer, denn ich will meine Musik auch lokal speichern können und Werbung nervt mich praktisch in jeder Form. Das ist mir einige Fränkli wert.
Da ich zum aktuellen Zeitpunkt keine Lust habe, dauerhaft Youtube Music Premium User zu bleiben, habe ich mir mal einen Reminder auf den 1. Februar 2019 gesetzt um die Mitgliedschaft dann wieder zu kündigen. Vielleicht bleibe ich ja bei Youtube Music, aber ich will da nicht reinfallen. Wenn du also neugierig bist, wie ich, dann mach dir doch einen Reminder in den Kalender.
Jetzt, da ich der Abofalle entkommen bin, kann ich mit dem Premium-Musikgenuss beginnen. Die App selbst sieht vertraut aus, wie Youtube halt so aussieht. Aber anstelle der neuesten Videos, die ich ansehen könnte – natürlich von Computern für mich zusammengestellt – sehe ich generische Playlists. Diese, so hoffe ich, werden sich auf meinen Musikgeschmack anpassen, denn mit «Energetic Pop Wake-Up» oder «Today's Happy Pop» bin ich echt nicht zu begeistern. Aufwachen ist nicht so meins und als zynischer alter Journalist kann mich Happy Pop mal.
Da fällt mir einer der grössten User Interface Sünden auf. Wenn ich einen Song oder Künstler suchen muss, dann muss ich oben auf die Lupe klicken.
Damit verstösst die App gegen eine der Usability-Richtlinien, an die sich Google selbst in anderen Apps hält. Insbesondere Google Tasks fällt da positiv auf, denn dort sind alle Bedienelemente im unteren Drittel des Bildschirms untergebracht. Denn wenn du dein Smartphone bequem in den Händen hältst, dann kommst du mit dem Daumen deiner haltenden Hand locker im unteren Drittel an Bedienelemente heran. Im mittleren Drittel geht das knapp noch, aber wenn du oben greifen willst, dann musst du umgreifen. Bei einer Musik-App ist das noch nerviger als in einer Checklisten-App.
Denn sobald du umgegriffen und die Lupe gedrückt hast, musst du wieder umgreifen um zu tippen. Super nervig.
Spotify hat hier die Nase definitiv vorn, denn ihre Suche ist unten untergebracht. Aber wenn du auf die Lupe klickst, dann kommt neu so ein komischer Bildschirm, der dir irgendwelchen Quark empfehlen will. Bis vor einem Update aber konntest du doppelt auf die Lupe klicken und dann hat sich die Tastatur deines Phones aktiviert und du konntest direkt lostippen. Neu muss ich oben ins Suchfeld tippen, um die Tastatur und das Suchfeld zu aktivieren.
Vom Angebot her, soweit ich das mit meinem Musikgeschmack sehe, unterscheiden sich die beiden Streaming Services auf den ersten Blick nicht gross. Sogar relativ unbekannte und obskure Bands wie die chinesische Punkband The Noname oder der indische Rapper und Aktivist Raoul Kerr sind mit ihren Alben vertreten. Schön, aber ich sehe nicht so recht, weshalb ich jetzt Spotify links liegen lassen und zu Youtube Music wechseln soll.
Ich drücke auf «Play», Raoul Kerrs «Ballad of the Warrior Poet» erklingt. Qualität ist okay, ich meine aber, dass das irgendwie dumpf klingt. Ein Blick in die Settings der App zeigt: Da kann ich mehr rausholen und die Musikqualität sowohl bei mobilem Datenverbrauch wie auch WLAN-Anbindung auf «Always High» stellen.
Die Einstellungen der App aber beissen sich visuell stark mit dem Rest der App, die standardmässig in einem angenehmen Schwarzton daherkommt. Nicht Amoled-Schwarz, denn das würde tatsächlich im Kontext von Screen-Technologien Sinn ergeben. Aber das geht bei Googles Night Modes offensichtlich durch's Band nicht. Unter «Advanced» kannst du «Stats for Nerds» aktivieren. Was die Funktion tut, ist mir aber nicht klar. Visuell macht das keinen Unterschied in der App und ich bin weder nerdiger noch mehr verstatistikt.
Dann klicke ich mal auf den Song, um den «Currently Playing»-Bildschirm zu finden.
Auch hier hat Spotify die Nase vorn. Wenn ich bei den Schweden auf dem Album-Cover in eine Richtung wische, dann kommt das nächste Lied oder das vorherige Lied. Bei Youtube Music wird einfach der Bildschirm an den unteren Bildschirmrand minimiert und ich gelange zum vorherigen Bildschirm zurück. Wenn ich das Lied wechseln will, dann muss ich unten die Pfeiltasten verwenden. Das ist zwar wieder konsistent mit der Anordnung der Bedienelemente einer gut gemachten App, aber generell nicht wirklich intuitiv.
Noch verwirrender ist der Full-Screen-Modus. Was macht der eigentlich?
Auf dem Bildschirm passiert nichts, ausser dass da das Cover gross ist und die Bedienelemente sich ausblenden. Aha.
Apropos Bedienelemente: Das Dreipunktemenü neben jedem Song ist ziemlich clever. Anfangs wirken die zwei Optionen «Play Next» und «Add to Queue» identisch, doch sie sind eigentlich extrem nützlich.
Die Erklärung für die zwei Funktionen:
Da scheint Google echt an die Nutzer gedacht zu haben. Gratulation.
Wo Youtube Music auch punktet, ist der Vorgang des Suchens, also der Zeitraum, in dem du etwas ins Suchfeld eintippst. Denn Spotify hat eine eher wirre Suche, die dann und wann wieder die merkwürdigsten Dinge ausspuckt. Youtube Music aber kann sich auf das Suchwissen Googles verlassen.
Vor allem gefällt mir, dass da keine Live-Suche ist, die während dem Tippen bereits Resultate anzeigt. Denn diese straft jeden Tippfehler ab. Bei Youtube Music ist das weit weniger hektisch und weit intuitiver.
Dann gelangst du, vielleicht, auf den Hauptbildschirm deines gesuchten Künstlers. Dort wird dann klar, weshalb da ein Vollbildmodus ist und weshalb die App Youtube Music heisst. Du kannst in der Liste der Werke des Künstlers Musikvideos aussuchen und diese dann ansehen.
Das kann Spotify nicht. Wenn du auf Musikvideos stehst, dann ist die Wahl für dich wohl klar: Youtube Music. Aber wenn du wie ich während der Arbeit Musik hörst oder im Bus den Hügel hoch nach der Arbeit, dann ist das kein zwingender Grund zum Wechsel für dich. Dennoch, das Feature gefällt mir.
Wenn du dein Smartphone im Portrait-Modus hältst, dann siehst du einen Bildschirm, der das Video abspielt und dir auch noch die vom Song Screen bekannten Kontrollen gibt. Wenn du dein Phone in den Landscape-Modus drehst, dann kommt der Vollbildschirm zum Glänzen.
Der Unterschied zum normalen Youtube Youtube verschwimmt hier. Du kannst zwar nur Musikvideos ansehen, aber nicht andere Videos wie sagen wir mal einen Filmtrailer oder ein Video Essay, aber das ist okay, wenn du einfach nur Musik willst.
Beim weiteren herumspielen mit der App vermisse ich vor allem eines: Podcasts. Die sind in der App Google Podcasts (Android und keine bekannte Version für Apple iOS) untergebracht. Damit sind Videos, die nicht Musikvideos sind, nicht in der Youtube-App und Podcasts auch nicht. Sondern einfach nur Musik. Und Hörspiele auch.
Ich verstehe, weshalb sich Google für diesen Weg entschieden hat, finde aber doch, dass ich irgendwie keinen Bedarf an zwei Apps für Audio und zwei für Video habe. Drei, wenn du NewPipe zählen willst. Und Google Play Music. Irgendwie soll das auch noch reinpassen, aber die App soll bald in Youtube Music integriert werden.
Die grosse Konkurrenz Spotify beweist dass zwei User Interfaces einen Platz in einer App haben können. Denn Podcasts werden dort anders dargestellt als Songs und Alben. Das geht schon.
Zur App gibt es natürlich eine Browser app unter music.youtube.com. Das Interface ist spartanisch und spiegelt die Funktionen der App wider. Also gross etwas entdecken wirst du hier nicht.
Ein kleines Ding zum Schluss, das Spotify weit weniger nervig macht als Youtube Music. Natürlich kannst du im Pulldown Menu oben am Screen in der Notification Area ein Widget haben. Wenn du unter Spotify fertig Musik gehört hast, dann kannst du das Widget einfach zur Seite wischen. Bei Youtube Music ist das Ding extrem nervig und du kannst das Teil nur loswerden, indem du in der App die Musik abstellst und dann die App in den Hintergrund schickst.
Am Ende bleibt eine App, die so viel richtig macht, wie sie falsch macht. Vor allem leidet die einfache Nutzbarkeit bei Youtube Music und immer mal wieder kommst du an einen Prozess, der mehrere Klicks und/oder Wischbewegungen benötigt. Dies, obwohl die Konkurrenz das Problem schon lange wesentlich einfacher gelöst hat. Die Videofunktion ist zwar nett, aber in meinem Alltag nicht gerade etwas, das ich oft brauche.
Sollst du von Spotify her wechseln? Nein. Irgendwie bringt das nichts. Spotify hat nach wie vor die Nase vorn trotz des um 60 Rappen pro Jahr höheren Preises, denn vom Angebot der Songs her unterscheiden sich die zwei Services nicht wirklich. Ausser dass nur Spotify Podcasts hat, und nur Youtube Music Musikvideos.
So. Fertig. Ich hör mal etwas mehr Musik.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.