Hintergrund

Warum werden Kameras immer teurer?

David Lee
1.6.2021

Wer die Kamera-News verfolgt, befasst sich vorwiegend mit Geräten wie der Sony Alpha 1, die fast 8000 Franken kostet. Bedeutet das auch, dass alle anderen Kameras teurer werden? Ein Blick auf die Entwicklung der letzten Jahre.

Werden Kameras tatsächlich oder nur gefühlt immer teurer? Gemäss dem Schweizer Marktforscher GfK ist der Durchschnittspreis einer Kamera von 442 Franken im Januar 2013 auf 946 Franken im Januar 2021 gestiegen. So gesehen ist die Lage eindeutig. Der Preis einer Kamera ist im Lauf der Jahre stark gestiegen.

Allerdings sieht eine Durchschnittskamera heute auch ganz anders aus als 2013. Es ist kein kompakter Billigknipser, sondern eine Systemkamera mit ernsthaften Features. Kleine und günstige Kameras mit mittelmässiger Leistung sind vor dem Hintergrund immer besserer Smartphones zusehends weniger gefragt. Der Anteil der High-End-Kameras am Markt ist heute viel grösser als früher.

Gleiches mit Gleichem vergleichen

Richard Butler von dpreview.com hat sich die langjährige Entwicklung der Kamerapreise angeschaut. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass man nur Kameras innerhalb des gleichen Segments miteinander vergleichen sollte. Und da kann der Autor keine generelle Preiserhöhung feststellen. Beispiel Mitteklasse-APS-C-Kameras: Sony hat die Preise im mittleren Segment seit 2010 leicht angehoben, Nikon dagegen hat sie etwas gesenkt. Fujifilm ist bei der X-E-Reihe auch mit den Preisen runter. Auch bei den Vollformatkameras sieht die Preisentwicklung sehr stabil aus.

Das ganze bezieht sich auf den US-Markt und ist nicht eins zu eins mit der hiesigen Situation vergleichbar. Insbesondere nicht bei den konkreten Beispielen. Doch die Hauptaussage stimmt im grossen Ganzen auch für die Schweiz: Die Preise erhöhen sich hauptsächlich, weil der Trend immer mehr Richtung High-End geht.

Dazu ein Beispiel mit Schweizer Preisen (UVP). Ich nehme die verschiedenen Generationen der Canon EOS 5D. Diese Modellserie gibt es schon lange und ist seit der 2. Generation in ihrer Ausrichtung gleich geblieben: Ein Pro-Gerät mit starker Videofunktion.

  • Canon EOS 5D Mark II (2008): 4098.–
  • Canon EOS 5D Mark III (2012): 3998.–
  • Canon EOS 5D Mark IV (2016): 4019.–
  • Canon EOS R5 (2020): 4479.–

Die Preise sind immer etwa gleich, mit einer leichten Erhöhung bei der R5. Diese ist allerdings auch nur bedingt mit den Vorgängern vergleichbar, weil sie auf dem spiegellosen System basiert.

Hersteller pushen High-End

Werden also Kameras bloss teurer, weil die Kunden bessere Geräte wollen? So einfach ist es nicht. Es liegt nicht nur an den Kunden, dass High-End dominiert, sondern auch an den Herstellern. Die Nachfrage bestimmt das Angebot, aber das Angebot bestimmt auch mit, was am Ende gekauft wird.

Beispiel Sensorgrösse: Viele Hobbyfotografen sind auf das Vollformat umgestiegen, obwohl sie das eigentlich gar nicht vorhatten. Einfach, weil dort die viel spannenderen Neuheiten erscheinen. Die Hersteller, die sowohl Vollformat als auch APS-C anbieten, behandeln das kleinere Format seit vielen Jahren stiefmütterlich. Fujifilm versucht sogar, das Mittelformat massentauglich zu machen. Eine solche Kamera ist dann zwar für eine Mittelformatkamera günstig, aber eben immer noch viel teurer als der Durchschnitt.

Es ist ganz klar: Die Hersteller pushen den High-End-Markt. Der Hintergrund dieser Entwicklung ist ein stark schrumpfender Markt. Im Januar 2013 wurden laut GfK etwa 47 500 Kameras in der Schweiz verkauft. Im Januar 2021 waren es noch 9000. Durch die schrumpfenden Stückzahlen sind die Hersteller gezwungen, höhere Margen zu erzielen. Das klappt am ehesten mit High-End-Produkten. Dort ist der Markt auch nie wirklich gesättigt. Wer das Beste haben will, braucht ständig etwas Neues. Bei der nicht ganz so anspruchsvollen Kundschaft tut es auch eine fünfjährige Kamera noch.

Der Durchschnittspreis von 946 Franken aus dem Jahr 2021 ist recht tief, verglichen mit den Preisen der Topmodelle. Das bedeutet nichts anderes, als dass selbst in der reichen Schweiz die meisten Leute eben keine Topmodelle kaufen.

Wenn du mal den Wechsel auf ein grösseres Format gemacht hast, brauchst du neue und teurere Objektive. Generell sind auch sie teurer geworden. Ein Objektiv ging laut GfK im Januar 2013 für durchschnittlich 440 Franken über den Ladentisch. Im Januar 2021 waren es 863 Franken. Auch hier liegt die Preiserhöhung hauptsächlich daran, dass die Anbieter auf den High-End-Markt fokussieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die spiegellosen Systeme alle mehr oder weniger neu sind und es deshalb keine alten günstigen Objektive gibt. In der Spiegelreflexwelt war das anders. Darauf weist Richard Butler in seinem Beitrag hin und nennt als Extrembeispiel das 50mm-Objektiv fürs Canon-Spiegelreflexsystem. Es stammt aus dem Jahr 1990.

Günstige Alternativen

Im günstigen Segment erscheinen weniger neue Kameras als früher. Es gibt aber trotzdem eine gute Auswahl an günstigen Kameras, weil die Hersteller dazu übergegangen sind, ältere Modelle noch sehr lange weiter anzubieten. Diese Kameras sind zwar technisch nicht mehr auf dem neusten Stand, haben aber gegenüber einer neuen Einsteigerkamera Vorteile: Sie sind tendenziell besser verarbeitet und haben mehr Einstellungsmöglichkeiten. Zudem werden auch bei neuen günstigen Kameras ältere Komponenten verbaut – du kaufst da also auch nicht neuste Technologie.

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Auch in Zukunft werden vermutlich die günstigen Kameras ältere, ehemals recht teure Kameras sein. Das ist offenbar die Lösung der Hersteller für das Problem der immer tieferen Stückzahlen. Indem sie die Lebenszyklen verlängern, können sie die Kameras dennoch in wirtschaftlichen Stückzahlen produzieren.

Kameras sind die neuen Desktop-PCs

Kameras machen eine ähnliche Entwicklung durch, wie sie Desktop-PCs bereits hinter sich haben. Die waren auch einmal günstige Massenware. Als aber Notebooks immer günstiger und leistungsfähiger wurden, wurden die Desktop-PCs teurer. Sie richten sich heute an eine spezialisierte, anspruchsvolle Zielgruppe und werden in geringeren Stückzahlen hergestellt. Beides führt zu höheren Preisen.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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