Hintergrund

Warum du auch im «besten Netz» mit dem Smartphone manchmal kein Netz hast

Die Schweiz hat eines der besten Mobilfunknetze der Welt. Trotzdem geht manchmal nichts mehr. Woran das liegt, habe ich mit Mobilfunk-Experte Jean-Claude Frick besprochen.

Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Immer, wenn unser Team von digitec connect eine Aktion vorstellt, gibt es Kommentare zur Qualität des Netzes. Alle geben dann unter dem Beitrag zum Besten, wo es Empfang gibt – und vor allem wo nicht. Auch Jean-Claude Frick, Telekom-Experte beim Vergleichsdienst Comparis, kennt diese Anekdoten. Er beschäftigt sich beruflich mit der Netzqualität. Dabei ist er oft unterwegs und online und kann etwas Licht ins Dunkel bringen.

Hallo, Jean-Claude, schön, dass ich Dich erreiche. Bist Du unterwegs?
Jean-Claude Frick: Ausnahmsweise nicht. Ich bin im Homeoffice und in meinem WLAN. FaceTime sollte also ungestört laufen für unser Gespräch.

Du würdest das Gespräch also lieber nicht unterwegs führen wollen?
Es würde wohl schon klappen. Vor allem, wenn ich zum Beispiel an einem Ort bin, mich also nicht bewege und nicht zu viele Menschen um mich herum sind.

**Das sind ja einige Einschränkungen … **
Zugegeben, das klingt jetzt schlimmer, als es ist. Wir haben in der Schweiz eines der besten Mobilfunknetze der Welt. Aber auch hier gibt es eben Situationen, in denen das an die Grenzen stösst.

Bleiben wir kurz bei einem «der besten Mobilfunknetze» der Welt, wie Du sagst. Wie wird so etwas festgestellt?
Für Deutschland, Österreich und die Schweiz sind die jährlichen Tests zur Netzqualität von «Connect» so etwas wie der Goldstandard. So genau und akribisch vermisst das sonst niemand. Wenn man sich die Ergebnisse im Detail anschaut, schafft die Swisscom als Sieger in der Schweiz 970 von 1000 maximal möglichen Punkten. In Deutschland kommt die Telekom als Primus auf 952 Punkte.

Wie sieht es bei den zweit- und drittplatzierten Netzbetreibern aus?
Hier wird deutlich, dass die Schweiz mit Sunrise und Salt zwei Anbieter hat, die fast auf Augenhöhe liegen mit der Swisscom. Mit 959 Punkten wäre Sunrise zum Beispiel in Deutschland besser als der Sieger Telekom. Und Sunrise läge in Österreich gleichauf mit dem Sieger Magenta.

Jammern die Menschen in der Schweiz also auf hohem Niveau?
Das kann man schon sagen, ja. Ich bin auch hin und wieder in Deutschland unterwegs und sehe dann das «E» auf dem Display fürs Edge-Netz. So etwas kennen wir in der Schweiz ja fast nicht mehr. Hier haben wir fast überall mindestens 4G zur Verfügung. Besonders bei Sunrise und der Swisscom gibt es auf den Karten mit der Netzabdeckung kaum mehr graue Flächen, also solche, in denen kein Netz zur Verfügung steht.

Woher kommen dann Aussetzer und gefühlt ewige Ladezeiten?
Hier ist das Problem weniger die Abdeckung, die im Test von «Connect» im Fokus steht. Wenn jemand mit seinem Smartphone surft und eine Seite ewig lädt oder der Netflix-Stream stockt, liegt das oft an der Überlastung des Netzes. Da sind dann zum Beispiel schlicht zu viele Menschen in einer Funkzelle und die Kapazität reicht nicht mehr für alle.

Hast Du ein Beispiel, wie sich das konkret äussert?
Typischerweise tritt so eine Überlastung bei Grossanlässen auf. Dann, wenn viele Menschen an einem Ort gleichzeitig das Netz beanspruchen. Aber auch beim Zugfahren. Ich pendle regelmässig zwischen Bern und Zürich. Mit mir zusammen fahren dann zum Beispiel 1000 Personen in so eine Funkzelle ein. Der eine schaut einen Film, die andere swipt sich durch TikTok – das sind in Summe schon gewaltige Datenmengen. Irgendwann reicht die Kapazität dann nicht mehr für alle. Besonders für diejenigen, die im Zug weiter hinten sitzen.

Zu viele Menschen für zu wenig Netz also?
Die Netzbetreiber wollen natürlich ihre Netze bestmöglich auslasten. In den vergangenen Jahren haben vor allem Sunrise und Swisscom Reseller (Anmerkung der Redaktion: wie digitec connect) in ihre Netze gelassen. Teilweise haben sie sogar eigene Günstig-Marken geschaffen, wie Sunrise mit Yallo und Swisscom mit Wingo. Wer also mit einem Wingo-Abo unterwegs ist, gehört im Prinzip weiterhin zur Swisscom-Kundschaft und nutzt das Swisscom-Netz. Hier finden letztlich Verschiebungen zu günstigeren Angeboten statt. Und natürlich verwenden die Menschen das Netz anders als früher. Ein Netflix-Stream braucht einfach mehr Volumen als das Empfangen von ein paar E-Mails.

Könnten Sunrise und Swisscom bei Überlastung die Kundinnen und Kunden mit Abos von einem Reseller früher blockieren, um das Netz für ihre Premium-Kundschaft freizuhalten?
Bei ihren eigenen Resellern wäre das technisch möglich. So könnte Swisscom die Wingo-Kundschaft de-priorisieren, wenn die Kapazität ans Limit kommt. Aber warum sollten sie das tun? Sie verdienen ja daran, wenn ihre eigenen Reseller erfolgreich sind.

Du sprichst von den «eigenen Resellern», bei denen das technisch möglich wäre. Was ist mit vollkommen eigenständigen Anbietern wie Quickline oder digitec connect? Könnten diese benachteiligt werden?
Nein, das ist gemäss Wettbewerbsrecht verboten. Im Prinzip hat also niemand einen Nachteil, wenn er oder sie nicht direkt bei Swisscom oder Sunrise ein Abo hat, sondern bei einem in der Regel günstigeren Reseller.

Als Experte fürs mobile Telefonieren kann Jean-Claude Frick sein Smartphone natürlich jederzeit gekonnt Fotografen vor die Linse halten.
Als Experte fürs mobile Telefonieren kann Jean-Claude Frick sein Smartphone natürlich jederzeit gekonnt Fotografen vor die Linse halten.
Quelle: privat

Könnte der Ausbau des 5G-Netzes das Problem der Überlastung beheben?
Ja, denn die Überlastung sehen wir hauptsächlich in den 4G-Netzen von Swisscom und Sunrise. Salt hat weniger Kunden und Kundinnen und deshalb weniger Probleme. 5G bietet höhere Kapazitäten, deshalb beginnen die Firmen, die Kundinnen und Kunden in diese Richtung zu shiften.

Aber verlangen teils happige Aufpreise dafür …
Weil der Ausbau natürlich Geld kostet. Es ist eine Abwägung zwischen dem Abschöpfen der Zahlungsbereitschaft, die heute schon unbedingt 5G wollen oder brauchen, und der Behebung des Problems der Überlastung. Ich rechne aber fest damit, dass 5G-Optionen künftig günstiger werden.

Du hast sicher schon ein Smartphone mit 5G, oder?
(lacht) Natürlich. Ich habe ja die Ausrede, dass ich das aus beruflichen Gründen haben muss.

Jean-Claude, danke für das Gespräch.

Disclaimer: Ich habe mit Jean-Claude Frick 2020 bei Comparis zusammengearbeitet. Dort ist er Experte für Telekommunikation. Ausserdem betreibt Jean-Claude einen Youtube-Kanal und ist Host des «Apfelfunk», einem Podcast zum Thema Apple.

Titelfoto: Martin Jungfer

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Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln. 


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