
Timekettle WT2 Plus: Faszinierende Übersetzungskopfhörer, aber gefährlich?

Die Timekettle WT2 Plus übersetzen aus 20 Sprachen in jede andere Sprache. Live. Sie sind ein wirklich spannendes Stück Technologie, aber werfen eine Menge Fragen auf.
Ein Kopfhörer, der jede Sprache in jede Sprache übersetzt. Das verspricht der chinesische Hersteller Timekettle Technologies mit dem WT2 Plus. Die In-Ear-Kopfhörer erinnern etwas an die AirPods von Apple. Das Case ist eine Art Schale, die du in der Mitte wie ein Ei aufbrichst.

Das Design aus dem Studio Innozen Design] ist laut Website Timekettles mit dem IF Design Award ausgezeichnet worden. Die Design-Jury spricht sich für das Schlichte des Geräts aus. Gut, wenn du dich von den AirPods inspirieren lässt, dann kommt «schlicht» automatisch. Etwas China-Pomp, also die kitschig-auffällige Überbetonung einzelner Elemente, findest du trotzdem: Wenn du die WT2 Plus lädst, dann blinken die ins Case eingelassenen Buchstaben W und T wie wild. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Aber das ist eigentlich nur so lange relevant, bis der Akku geladen ist und die Übersetzung losgehen kann. Und dann natürlich das Experiment, wie das Gerät in die Knie gezwungen werden kann. Suchen wir uns also Leute, die einer Fremdsprache mächtig sind, mit der die WT2 nicht klarkommen
Risiko für die Privatsphäre: Deine Worte in die Cloud
Die WT2 Plus funktionieren eigentlich aus Nutzersicht ganz einfach:
- Das Mikrofon in den Ohrsteckern zeichnet die Stimme des Sprechers auf.
- Die Aufnahme wird in die Cloud geschickt.
- Die Aufnahme wird übersetzt. Die WT2 Plus können über 20 Sprachen und etliche Dialekte
- Die Kopfhörer oder die Lautsprecher geben die Übersetzung aus.
Das ist genauso simpel aber heikel, was die sicherheitstechnische Seite des Ganzen betrifft. Weder die Packungsbeilage noch die Website Timekettles sagt, in welchen Rechtsraum deine Daten übertragen werden und wer unter welchen Umständen Zugriff auf diese erhält.

Der Grund, weshalb ich das hier gesondert erwähne, ist, dass sich die WT2 Plus für Gespräche in einem Business-Kontext anbieten. Gespräche, die nicht zwingend an die Öffentlichkeit dringen müssen. Theoretisch zumindest ist es möglich, dass ein Konkurrent sich mit Timekettle als «Agent» oder «Contractor» verbandelt und dann Zugriff auf deine Daten erhält. Sollte dem nicht so sein, so tut sich Timekettle keinen Gefallen damit, nicht explizit festzustellen, dass es konkrete Informationen aus deinen Gesprächen nie an Dritte verkaufen wird.
Ferner ist nicht ganz klar, welche Daten wo in welcher Form gespeichert werden und welche Rechte an den Daten wohin fliessen. Auch hier: Timekettle tut sich keinen Gefallen damit, das nicht irgendwo explizit zu definieren.
Ein kleiner Disclaimer hier: Ich sage nicht, dass Timekettle die Daten an jeden verkauft oder Schindluder damit treibt. Ich sage lediglich, dass die theoretische Möglichkeit zum Schindluder besteht und ein Mangel an öffentlichen Informationen herrscht.
Denn nicht jedes Gespräch ist eine freundliche Plauderei auf der Strasse oder eine Bestellung im Restaurant.
Die App im Detail
Eigentlich, so vermute ich, braucht es die Hardware nicht zwingend. Die Hardware der Headphones ist möglicherweise nur da, um die Soundqualität des Mikrofons zu standardisieren. Wenn sich Timekettle auf die On Board Microphones eines Smartphones verlassen würde, dann wären da zu viele Variablen, die die Soundqualität beeinflussen könnten. Dennoch: Die Hauptfunktionalität des WT2-Plus-Systems ist in einer App (Android und Apple iOS) oder der Cloud.
Die App hat drei Modi:
- Auto Mode: Die Headphones hören immer zu und übersetzen selbständig live
- Touch Mode: Die Headphones hören nur zu, wenn du eine Kontaktfläche an der Seite drückst. Die Übersetzung beginnt, sobald du loslässt.
- Speak Mode: Der zu Übersetzende trägt einen oder beide In-Ears, drückt einen Knopf auf der App und spricht. Wenn er den Knopf loslässt, beginnt die Übersetzung, die über den Lautsprecher des Smartphones ausgegeben wird.
Im Speak Mode ist es nicht zwingend notwendig, die Kopfhörer in die Ohren zu stecken. In einem kleinen, stillen Raum ist es möglich, die WT2 Plus auf den Tisch zu legen und zu sprechen. Der Auto Mode ist recht scharf und übersetzt manchmal auch Sätze, die in der anderen Sprache gesprochen werden. Die Resultate sind höchst amüsant. Touch Mode ist eine gesunde Mischung aus beidem, hat aber Verzögerungen in der Konversation.

Die Headphone-App-Kombination hört also zu, sendet die Daten irgendwo hin – welche Übersetzungsmaschine die WT2 Plus nutzen wird ebenfalls nirgends angegeben – und kommen innerhalb einer beeindruckend kurzer Zeit mit dem übersetzten Text zurück.
Vom Gesang einer Sprache
Die Qualität der Übersetzung ist überall dieselbe, aber sprachabhängig. In den allermeisten Fällen ist die Übersetzung zwischen überdurchschnittlich gut und bestimmt funktional zu nahezu perfekt. Mindestens Englisch, Spanisch, Französisch, Kroatisch, Russisch und Türkisch haben die WT2 Plus sehr gut im Griff. Hingegen: Bei dem in Indien gesprochenen Dialekt der tamilischen Sprache gehen die WT2 Plus in die Knie. Die Übersetzung, die von der Roboterstimme gesprochen wird, hat rein gar nichts mit dem zu tun, was mitgeteilt werden soll.
Eine Vermutung: Die Fähigkeit, dich zu verstehen und zu übersetzen, hängt unter anderem von der Melodie der Sprache ab, die übersetzt werden soll. Je definierter der Singsang der Sprache, desto einfacher die Übersetzung.
Ein Vergleich. Die russische Sprache klingt so:
Die Youtuberin Evelina Barry spricht über sich, Kultur und ihren Lebensweg. Da sind Zischlaute, definierte A- und E-Laute, harte Ts und gerollte Rs. Das ist für eine Software leicht, denn der Klang, den sie aufnimmt, lässt nur wenig Lücken zu.
Im Französischen werden oft Laute verschluckt, zum Beispiel das E am Ende, aber das Wort bleibt an und für sich gleich. Rein akustisch ist es egal, ob du von deinem Freund «Ami» sprichst, oder deiner Freundin «Amie». Allerhöchstens könnte die App dann – solltest du keinen geschlechtsspezifischen Deskriptor in den Satz einbauen – «Mein Freund Anne-Sophie» auswerfen. Aber wenn du statt «Mon amie Anne-Sophie fait des choses» den Satz «Mon amie Anne-Sophie, elle fait des choses» sagst, dann ist die App in der Lage, den geschlechtsspezifischen Deskriptor «elle» als Genus des ganzen Satzkonstrukts zu nehmen.
Dann Tamil, jetzt ohne Hindi-Einschlag:
Vor allem die Frikative – vereinfacht gesagt F-Laute – werden mal verschluckt, mal nicht. Das macht zwar eine eigene Melodie, führt aber dazu, dass eine Software einen weiteren Schritt der Abstraktion machen muss. Denn wenn ein Laut nicht ausgesprochen wird, dann könnte der da sein, muss aber nicht. Also muss die Software sich diesen Gedanken machen und das abfangen können. Da sie aber auch nicht weiss, wo der verschluckte Frikativ ist, könnte er theoretisch überall sein. Daher sucht die App wohl den Kontext und versucht dann die Löcher in ihrem Verständnis zu stopfen. Das Fehlerpotenzial bei diesem Vorgehen ist natürlich hoch.
Ein Gespräch mit der Welt, und allen, die deine Daten kaufen
Alles in allem aber sind die WT2 Plus eine faszinierende Technologie. Selbst, wenn du allenfalls deine Geheimnisse in die Cloud und zu «Agents» und «Contractors» sprichst, so funktionieren die Headphones erstaunlich gut. Die Welt fühlt sich etwas kleiner an, denn während dem Test habe ich mit einer Vietnamesin gesprochen, einer Russin und einem Tamilen aus Indien. Ist schon gut, ausser halt, dass ich nicht von der Sicherheit deiner Privatsphäre überzeugt sein kann.
So. Fertig. Hollywood-Schauspielerin Jodie Foster spricht übrigens absolut hervorragendes Französisch. Ist mir während der Recherche aufgefallen.



Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.