«Thor: Love and Thunder» – Hell, yeah!!
Erneut darf Kult-Regisseur und Drehbuchautor Taika Waititi für Marvel ran. Zum Glück. Denn «Thor: Love and Thunder» ist die herrlich skurrile frische Brise, die das Marvel’sche Filmuniversum gebraucht hat.
Eines vorweg: In dem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.
Es kommt selten vor, dass Pressevorführungen mehr als einen Tag vor der Kinopremiere stattfinden. Meist, um Leaks zu vermeiden. Vor allem, wenn die Verleiher genau wissen, wie mies ihr Film ist. Negative Presse soll so lange wie möglich hinausgezögert werden. Die würde sich nur schlecht auf die Vorverkäufe auswirken, wie etwa zuletzt bei Sonys «Morbius».
Marvel-Filme sind da keine Ausnahme. Allerdings nicht, weil Disney oder Marvel einen Flopp befürchteten. Bei ihnen geht’s um Geheimhaltung. Um Spoiler. Und dennoch: Die Pressevorführung zu «Thor: Love and Thunder» fand eine ganze Woche vor der Premiere statt. «Hier ist jemand verdammt selbstbewusst», dachte ich. Nachdem ich den Film gesehen habe, ist mir auch klar, wieso: «Thor: Love and Thunder» ist schlichtweg fantastisch. Lustig. Emotional. Und einfach nur schräg. Genau das, was ich mir von Kult-Regisseur und Drehbuchautor Taika Waititi erhofft habe.
Darum geht’s in «Thor: Love and Thunder»
Zuerst starb seine Mutter. Dann sein Vater. Dann sein Bruder. Mehrmals. Dann verliess ihn seine Freundin Jane Foster (Natalie Portman). Thor (Chris Hemsworth) mag zwar mit der Liebe abgeschlossen haben. Aber nicht mit dem Kämpfen. Das ist sein neues Zen. Sein Weg zur inneren Ruhe – redet er sich ein. So durchstreift er zusammen mit den Guardians of the Galaxy das Universum und hilft jenen in Not. Klassische Thor-Abenteuer, wie er selber zu sagen pflegt.
Zumindest, bis eine neue Bedrohung auf den Plan tritt: Gorr the God Butcher (Christian Bale), der es sich zur Aufgabe gemacht hat, sämtliche Götter im Universum zu vernichten, nachdem ihn seine eigenen in Stich gelassen haben. Gorrs nächstes Ziel? Die Erde. Dort, wo Thors Ex-Hammer Mjölnir eine neue würdige Trägerin gefunden hat – ausgerechnet Thor’s Ex-Freundin Jane Foster.
Taika Waititi: Gebt dem Mann einen Orden
Nicht immer gelingt es Marvel-Filmen, eine gute Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit zu finden. In letzter Zeit sogar fast nie. Vielmehr war Humor oft einfach nur dazu da, um die ernsten und emotionalen Momente zu durchbrechen. Ein Unding. Als ob Marvel dem jüngeren Publikum sowas wie, nunja, Gefühle nicht zutrauen würde.
Zeiten können sich ändern. Taika Waititi, der 46-jährige Regisseur aus Neuseeland, wegen seiner Überdrehtheit berüchtigt, ist nämlich ein Experte darin, Ernst und Witz in perfekter Balance zu verschmelzen. Das zeigte er schon in «Hunt for the Wilderpeople», «What We Do in the Shadows» und zuletzt im oscarnominierten «Jojo Rabbit», wo ein kleiner blonder Junge im Jahre 1945 – angeleitet von seinem imaginären Freund, Adolf Hitler – lernt, dass Juden wohl doch keine gehörnten, geschuppten und gedankenlesenden Monster sind, die kleine Arier wie ihn fressen.
Überhaupt: Marvel vertraut bereits zum zweiten Mal auf den durchgeknallten und talentierten Waititi. Das muss was heissen. Er war es schliesslich, der dem Marvel Cinematic Universe (MCU) bereits «Thor: Ragnarok» bescherte. Ursprünglich wäre er Chris Hemsworth’ letzter Film als nordischer Gott gewesen, mit Ausnahme von gelegentlichen Auftritten in «Avengers»-Filmen. Die Rolle reizte ihn nicht mehr. Dann tauchte Waititi auf.
«Sei mehr du selbst, sei witzig», sagte Waititi damals und setzte auf Hemsworth’ komödiantisches Talent, das er bisher nicht zeigen durfte. Darum war der bis dahin bierernste und stoische nordische Gott dem breiten Publikum nie so richtig zugänglich. Dazu änderte Waititi die Arbeitsweise am Set. In einem Interview sagte er, dass über 80 Prozent von «Thor: Ragnarok» improvisiert sei. Die Schauspielenden wüssten lediglich, wo die Szene anfing und wo sie aufzuhören hatte. Wie sie von Punkt A nach Punkt B gelangen, sei ihnen aber selber überlassen gewesen. Das ist alles andere als normal. Das ist…
Wie gesagt: durchgeknallt.
Genau darum ging Waititis Arbeitsmethode auf. «Ragnarok» fühlte sich anders an. Frischer. Als Publikum kann man die Freude und den Spass am Set förmlich spüren. Kein Wunder ist der Film bis dato nicht nur der am besten bewertete Film der Thor-Reihe, sondern der viertbestbewertete Film aller 27 MCU-Filme. Und Hemsworth war von Waititi so begeistert, dass er sagte, solange Waititi an Bord bliebe, würde er es auch tun.
Ein Versprechen, dass Hemsworth anlässlich der Premiere von «Thor: Love and Thunder» erneuerte.
Schräg, lustig, chaotisch
Du kannst dir also schon denken, was dich in «Thor: Love and Thunder» erwartet – nämlich jede Menge Waititi-Klamauk. Etwa Thor, der auf seiner Axt «Stormbreaker» wie auf einem Besen reitend in die Schlacht zieht. Gegen behaarte Alien mit Hühnerköpfen. Und gackernder Sprache. Dazu Sweet Child O' Mine von Guns N' Roses.
Herrlich.
Jep, «Love and Thunder» ist so richtig schräg. Trieft nur so vor Waititi’scher Extravaganza und setzt im Vergleich zu «Ragnarok» sogar noch einen drauf. Waititi liebt es, verrückte Ideen weiterzudenken und ad absurdum zu führen. Manchmal fühlt sich «Love and Thunder» tatsächlich wie eine Persiflage auf sich selber an. Wenn Thor etwa à la Jean-Claude Van Damme den Trick mit dem Spagat macht, um zwei Alienschiffe aufzuhalten. Solche Szenen werden nicht allen Zuschauern passen. Vor allem jenen nicht, die die Würde Thors, des mächtigen Gott des Donners, heilig ist.
Aber: Wenn ein Space-Wikinger in einem von gigantischen Ziegen gezogenen Boot auf einer Regenbogenbrücke durchs Weltraum düst – das kommt übrigens nicht von Waititi, sondern direkt aus der nordischen Mythologie –, da ist alles möglich. «Ich habe schon viele verrückte Filme in meinem Leben gemacht, aber das ist bestimmt der verrückteste», sagte Waititi bereits im Interview mit Onlinemagazin Movieweb. Kann ich bestätigen. Waititi, der ja auch das Drehbuch geschrieben hat, scheut nicht davor zurück, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Würde ich spoilern und hier aufzählen, was noch alles drin ist, kein Mensch würde mir glauben, das sowas funktionieren kann.
Nun, «Thor: Love and Thunder» funktioniert. Nicht nur inhaltlich. Auch visuell. Gerade anfangs ist da viel Hommage an den 1980er-Jahre-Zeichentrickfilm «He-Man». Und wenn Michael Giacchinos ohnehin schon rockige Filmmusik beinahe zu Gunsten der lizenzierten Songs in den Hintergrund rückt, stört das kaum. Denn der 1980er-Jahre-Metal, der hier alle paar Szenen die Leinwand rockt, passt wie Thors Hammer aufs Auge. Inklusive Metallica-Referenz.
Und dann wieder so: Wer schneidet hier Zwiebeln?
Waititi wäre aber nicht Waititi, wenn er zwischen all seinem Unfug – ich liebe, wie Waititi selbst in seiner Rolle als liebenswerter Nichtsnutz Korg uns Zuschauenden immer wieder die Handlung aus dem Off erklärt – nicht auch Zwiebeln schneiden würde. Nicht, dass «Love and Thunder» ein Melodrama wäre. Aber wo bliebe die Gravita eines Filmes, wenn der Film ausschliesslich auf Lacher auswäre?
Tatsächlich dreht sich die Handlung gar nicht wirklich um Thors Suche nach innerem Frieden oder irgend einem spirituellen Ich, das im Einklang mit Vergangenheit und Gegenwart ist. Viel eher um Liebe. Was sie bedeutet. Wie sie die Charaktere im Film beeinflusst. Wie sie heilen kann. Welche Leere sie hinterlässt, wenn sie nicht mehr da ist. Klingt kitschig. Ist es auch. Das ist besonders fürs Superhelden-Action-Genre ungewöhnlich. Aber es ist dem Genie des Regisseurs und seinen talentierten Schauspielern zu verdanken, dass das keine Sekunde lang stört. Denn immer dann, wenn der Film in Klamauk zu driften droht, kommen die für Waititi so typischen, emotionalen Momente, die mitten ins Herz treffen.
Hemsworths Thor zum Beispiel, der von der Liebe wegrennt, weil – seiner Erfahrung nach – alle, die er liebt, eher früher als später sterben. Obwohl Hemsworth zwar oft nur eine Floskel wie «es ist besser, den Schmerz danach zu fühlen, als nie etwas gefühlt zu haben» hinwirft, kann ich nicht anders, als mir hin und wieder eine Träne aus den Augen zu wischen.
Christian Bales Gorr ist ein anderes Beispiel. Nerds warne ich jetzt schon vor: Seine Geschichte lehnt sich nur vage an die Comics an. Vor allem ist Gorr im Film kein Alien, das seit Jahrhunderten mächtige Wesen niedermetzelt und es darum selbst mit einem Gott wie Thor aufnehmen kann. Film-Gorr bekommt aber genau wie Comic-Gorr ein Artefakt in die Hände, das ihm unglaubliche Kräfte verleiht, weil es im Austausch am unsäglichen Schmerz zehren kann, den Gorr einst in einem früheren Leben erlitten hat.
Bale hat zwar nicht allzu viel Screentime – einer meiner sehr wenigen Kritikpunkte –, aber die wenige, die er bekommt, nutzt er vorzüglich. Den Wahnsinn in Gorr spiegelnd, wechselt Bale zwischen dem säuselnden Singsang eines Psychopathen in seinem Wahn und der tiefen, rauen Stimme eines Serienmörders, der klarstellt, dass er nicht beabsichtigt, Gefangene zu halten. Und wo Cate Blanchetts Hela im Vorgänger einfach nur vom Hass auf ihre Familie getrieben war, ist die Motivation Gorrs viel tragischer. Vor allem, wenn…
… nun, plötzlich bleibt einem das Lachen im Hals stecken, ehe der Film vorbei ist.
Reden wir über Natalie Portman
Natalie Portman. In «Thor: Ragnarok» fehlte sie mir. Ihre meist schrullige Jane Foster ist nicht nur sympathisch; sie und Hemsworth haben eine Leinwand-Chemie, die im ganzen MCU ihresgleichen sucht. Inhaltlich aber machte Portmans Fehlen Sinn (auch wenn es wohl eher vertraglich bedingt war, weil Portman keine Lust mehr hatte – noch etwas, das Waititi geändert hat): «Ragnarok» erzählte eine kosmische Geschichte über Superhelden, die durchs All fliegen. Jane Foster hingegen ist ein Erdling. Eine Forscherin. Eine Astrophysikerin. Noch. Denn – das nehmen die Trailer vorweg – MCU-Foster schlägt in «Love and Thunder» denselben Weg ein wie Comic-Foster: Sie wird zur Superheldin.
Kann Portman eine Superheldin spielen?
Sie kann. Einerseits bleibt sie ihrem Charakter treu: Mit beinahe kindlicher Freude entdeckt die einstige Forscherin ihre übernatürlichen Superhelden-Kräfte, die sie sogleich wissenschaftlich zu erklären versucht. Das ist witziger, als es auf Papier tönt. Portman spielt das perfekt. Andererseits darf sie ganz schön austeilen und dabei verzweifelt dumme Superheldensprüche durchprobieren, bis sie einen findet, der nicht ganz so stark zum Fremdschämen ist. Auch das ist witziger, als es auf Papier tönt.
So wirkt es kein bisschen unpassend, wenn sie und Hemsworth – beide als Thor – den Grossteil des Films auf ihren Schultern tragen. Tessa Thompson als aufmüpfige Valkyre und Taika Waititi als Korg ergänzen das Star-Ensemble, das ich hier bewusst nicht komplett aufzähle, um dir nicht die Überraschung zu verderben.
Fazit: Ein grossartiger, skurriler Spass
Man merkt, dass es Waititi wichtig war, nicht einfach ein zweites «Ragnarok» abzuliefern. Sicher, der Neuseeländer setzt bei allem, was «Ragnarok» bereits toll gemacht hat, einen drauf. Etwa beim Humor. Oder bei den Schauplätzen. Etwa bei diesem Ort, den «selbst die Farben» fürchten. Musste er ja. Wozu sonst eine Fortsetzung? Aber inmitten des ganzen Wahnsinns fühlt sich «Love and Thunder» tatsächlich auch reifer an, besonders zum Ende hin. Denn Waititi ist dann am besten, wenn sein exzentrischer Humor auf unerwartet emotionale Momente trifft.
Hat Waititi die hohen Erwartungen erfüllt? Und ob. Mehr noch. Er übertrifft sie sogar. Gerade jetzt, wo fast wöchentlich eine neue Marvel-Serie oder ein neuer Marvel-Film Premiere feiern, fühlt sich «Love and Thunder» wie die dringend benötigte Frische Brise an, die anno dazumal schon «Ragnarok» fürs MCU war. Für mich zumindest. Wer den Waititi-Humor schon früher nicht mochte, wird hier erst recht nicht glücklich.
Hier also mein Appell an Marvel: Führt die Regel ein, dass nur noch Waititi Marvel-Filme machen darf. Oder gebt dem Mann wenigstens einen Orden. Denn wenn du Schauspiel-Hochkaräter wie Hemsworth, Bale, Thompson, Portman und – eben – auch Waititi in einem Raum hast, die ungefilterten Schabernack treiben, kann das Produkt nicht anders, als zu begeistern.
«Thor: Love and Thunder» läuft ab dem 6. Juli im Kino. Laufzeit: 119 Minuten. Freigegeben ab zwölf Jahren.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»