
Hintergrund
«House of the Dragon»: Das neue Intro – was bedeutet es?
von Luca Fontana
«Star Wars Episode III» ist am Schluss besser als «Lord of the Rings». Fakt. Zeit, einen Blick auf die letzten Minuten eines Films zu werfen – dem Ende.
«Ich kenne die Zukunft nicht. Aber ich werde den Menschen das zeigen, was ihr nicht wollt, dass sie es sehen – eine Welt ohne euch.»
Neo legt den Hörer auf. Er blickt zum Himmel. Dann fliegt er in Superman-Manier aus dem Bild. Überblende auf Schwarz. Aus den Boxen dröhnt «Rage Against the Machine». Der Abspann rollt. Ein Millionenpublikum will Teil Zwei sehen – jetzt.
Das perfekte Filmende ist kein Produkt des Zufalls; es lässt sich konstruieren. Und zwar so, dass das Publikum nach mehr lechzt.
Auf den kommenden Absätzen wird es Spoiler geben zu:
Ein zu langes Ende fordert die Geduld heraus. Was aufkommt, ist Ending Fatigue. Der fehlende Spannungsbogen macht es beinahe unmöglich, das Interesse lange nach Auflösung des Hauptplots aufrecht zu halten.
«Lord of the Rings: The Return of the King» ist ein Film mit Ending Fatigue. Um Mittelerde zu retten, muss Frodo (Elijah Wood) den Ring der Macht zerstören, in dem er ihn in die Lava des Mount Doom wirft. Das passiert im Director's Cut nach etwa drei Stunden und 34 Minuten. Dann folgen 15 Minuten, in der die wichtigsten Nebenhandlungen aufgelöst werden:
Das perfekte Ende. Eigentlich. Stattdessen fängt der Film neu an. Frodo hat eine unheilbare Verletzung und muss Mittelerde deswegen verlassen. Er bricht zu einem Ort auf, der die elbische Version des Himmels sein soll. Per Schiff. Vorher verabschiedet er sich am Hafen von seinen Freunden. Das Ganze dauert etwa 15 Minuten. Eine Ewigkeit. Dann folgt noch eine Szene, in der Sam nach Hause zurückkehrt. Endlich rollen die Credits, etwa 27 Minuten und 50 Sekunden, nachdem Frodo den Ring in die Lava geworfen hat.
Von der Auflösung des Hauptplots bis zum Abspann sollte es nicht mehr als zehn Minuten dauern. Dazu muss die Geschichte so strukturiert sein, dass das Publikum fühlt, wann ihr Ende naht. Beim Abschluss der Ring-Saga ist das nicht der Fall. «Too many endings, man», soll Schauspiellegende Jack Nicholson, als er den Kinosaal frühzeitig verliess, einst zu Frodo-Darsteller Elijah Wood gesagt haben. Er muss es wissen.
Der Abschluss der Harry-Potter-Reihe macht es besser. Lord Voldemort (Ralph Fiennes) wird von Harry Potter (Daniel Radcliffe) nach einer Stunde und 50 Minuten im Duell besiegt. Dann folgt eine Szene an der King’s Cross Station in London. Sie spielt 19 Jahre später. Harry, seine Freunde, ihre Kinder – alles ist gut. Der Abspann rollt 8 Minuten und 10 Sekunden, nachdem Voldemort ins Gras gebissen hat.
Ein unerwartetes Ende ist kein Muss, aber eine effektive Technik, um das Publikum über das Verlassen des Kinosaals hinaus mit dem Film zu beschäftigen. Das kann auf zwei Arten geschehen:
Laut Henry Boseley – er betreibt einen Filmblog auf YouTube, The Closer Look – hat «The Usual Suspects» einer der intelligentesten Momente des Hollywood-Kinos.
Im Polizeiverhör schildert Roger «Verbal» Kint (Kevin Spacey) den Hergang eines Bombenanschlags mit 27 Toten. Er selbst beteuert seine Unschuld. Seine motorischen Einschränkungen schliessen ihn als Tatverdächtigen aus. Der leitende Inspektor glaubt ihm. Verbal wird entlassen. Während er den Gehweg entlang Richtung Freiheit hinkt, dann aber mit jedem weiteren Schritt normaler läuft, wird klar: Verbal ist gar nicht gehbehindert. Er hat alle getäuscht. Auch das Publikum. In Wahrheit ist er der Täter.
Roger «Verbal» Kint: «Der grösste Trick, den der Teufel je abgezogen hat, ist, die Welt glauben zu lassen, dass es ihn gar nicht gibt. Und einfach so... ist er weg.»
Ähnlich wirkungsvoll ist es, den Film mit einer Frage, auf die das Publikum eine Antwort finden muss, zu enden. Etwa, ob Dominick Cobb (Leonardo DiCaprio) in «Inception» endlich sein Happy End gefunden hat oder noch träumt. Oder was Hannibal Lecter (Anthony Hopkins), Serienmörder und Kannibale, in «The Silence of the Lambs» meint, als er Sekunden vor dem Abspann einen alten Freund zum Essen treffen will.
Filme tragen mehr als eine Handlung. Meistens. Das Problem besteht darin, sie zum richtigen Zeitpunkt zu beenden. Dabei ist die emotionale Wirkung aufs Publikum grösser, wenn mehrere Handlungsstränge gleichzeitig enden.
Zurück zu «Lord of the Rings: The Return of the King». Dort beendet Regisseur und Drehbuchautor Peter Jackson sämtliche Handlungsstränge nacheinander.
Das alles geschieht in einer knappen halben Stunde. Die unnötigen Zeitlupen strecken zusätzlich.
Das geht besser. Zum Beispiel im von George Lucas geschriebenen «Star Wars: The Revenge of the Sith». Auch ein Abschluss einer Trilogie. Im Wesentlichen gibt es dort drei Plots:
Das Ende: Anakins Tod ist zugleich die Geburt Darth Vaders. Zeitgleich stirbt Padme, die kurz vorher die Zwillinge Luke und Leia zur Welt gebracht hat. Dann der Beginn des Baus der ultimativen Waffe des Bösens – des Todessterns. Er ist Symbolbild für Untergang der Republik und Aufstieg des Imperiums.
Das alles geschieht innert vier Minuten und 55 Sekunden.
Dem Publikum wird klar: Wir sind am Ende der Geschichte. Die emotionale Wirkung jeder einzelnen Plotauflösung ist gross, weil Lucas sie gleichzeitig beendet – nicht nacheinander und auf eine halbe Stunde gestreckt.
Im roten Licht des doppelten Sonnenuntergangs Tatooines blicken die Zieheltern von Luke Skywalker einer besseren Zukunft entgegen; einer neuen Hoffnung.
Dann folgt der Abspann. Keine Ending Fatigue.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»