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Spielfilme auf Vinyl: Die Geschichte eines Flops

David Lee
11.10.2021

Den Film «Back to the Future» gab es auf Vinyl. Nein, nicht den Soundtrack. Den Film. Die Zukunft der Videoschallplatte war allerdings im Moment ihres Erscheinens bereits vorbei.

Du hast noch nie was von CED gehört? Kein Wunder. Das Ding war ein gigantischer Flop. In Europa war es nur einige Monate auf dem Markt. Was in einem ungünstigen Verhältnis zur Entwicklungsdauer steht: Von der Idee bis zur Marktreife verstrichen 17 Jahre.

CED steht für Capacitance Electronic Disc. Das ist eine Scheibe, die nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert wie die Schallplatte. Sie spielt aber statt Ton ein Video ab. Eine Videoplatte also.

Für das Unternehmen, das sie entwickelt hatte, bedeutete CED das Ende.

Die Ausgangslage

Die Geschichte reicht zurück bis in die 1960er-Jahre. Schallplatten sind in den Sixties sehr beliebt und verbreitet. Auch wer nicht auf Rosen gebettet ist, kann so Musik kaufen und hören. Gleichzeitig steht zumindest in den USA bereits in den meisten Haushalten ein Fernseher. Filme für den heimischen Fernseher gibt es aber nirgendwo zu kaufen. Es liegt daher nahe, das Prinzip der Schallplatte auf Video anzuwenden.

Der amerikanische Elektronikkonzern RCA startet 1964 mit der Entwicklung einer solchen Videoplatte. Allzu viele Ressourcen verwendet er dafür aber nicht; anfangs arbeiten nur gerade vier Leute an dem Projekt. Dabei ist die Sache technisch anspruchsvoll: Um das Schallplattenprinzip für Videos zu nutzen, muss viel mehr Information übertragen werden. Das erfordert eine Bandbreite, die mindestens 150 Mal höher ist als wenn nur Ton erklingen soll.

Die technischen Probleme

Um die nötige Informationsdichte hinzukriegen, muss eine Videoplatte viel schneller laufen als eine Schallplatte und die Rillen müssen viel kleiner sein. Das macht die Sache fehleranfällig: Platten nutzen sich mit der Zeit ab. Je kleiner die Rille, desto grösser dieses Problem. Der Tonabnehmer springt sehr leicht aus der Rille und die Scheibe wird unspielbar. RCA verpasst daher den Platten eine dünne Silikonschicht, die als Gleitmittel dient.

1973, fast neun Jahre nach dem Start der Entwicklung, hat RCA einen ersten Prototypen fertig. Diese Disk kann nur 10 Minuten Video speichern. Das ist viel zu wenig. Schliesslich will man Spielfilme von über einer Stunde Länge auf Vinyl pressen.

Der Prototyp von 1973. Quelle: cedmagic.com
Der Prototyp von 1973. Quelle: cedmagic.com

Zu diesem Zeitpunkt müssen bereits wesentlich mehr als vier Leute am Projekt gearbeitet haben. Denn die ganze Entwicklung der CED soll RCA 600 Millionen Dollar gekostet haben.

In Europa wird ein ähnliches Entwicklungsprojekt bereits 1970 fertig. Die «Television Disc», kurz TED, kommt auf den Markt. Doch sie hat ungefähr die gleichen Probleme wie der erste Prototyp von RCA. Die Spielzeit ist viel zu kurz, die Platten zu empfindlich. Die TED verschwindet nach kurzer Zeit wieder.

Derweil bastelt RCA weiter. Die Rillen müssen noch kleiner werden. Der Konzern werkelt im Folgenden an einer Platte herum, die nicht ausschliesslich aus Polyvinylchlorid (PVC) besteht wie eine normale Schallplatte, sondern durch Karbonfasern verstärkt wird. Diese sind leitfähig – das ist nötig, da die Abtastung bei der CED anders funktioniert als bei einer Schallplatte. Und schliesslich müssen die Scheiben in einer Kunststoffbox eingeschlossen werden, da bereits kleinste Staubkörnchen die Platte unspielbar machen würden. Die Platte wird zusammen mit der Box in den Player geschoben, der die Platte für den Betrieb herausnimmt und vor dem Auswerfen wieder darin verstaut. Der Benutzer kommt nie mit der Platte selbst in Berührung.

Selbst mit diesem Schutzmechanismus ist die CED immer noch sehr anfällig für Störungen durch Schmutz und Abnutzung.

Videoplatten sind wesentlich komplexer als Schallplatten. Etwas hat die CED aber bis zum Schluss mit der Schallplatte gemeinsam: Sie muss in der Hälfte auf die B-Seite gedreht werden. Nur dass das mit der Plastikbox bei der CED echt umständlich ist.

Wer zu spät kommt, den bestraft die VHS

Trotz der offensichtlichen Schwierigkeiten gibt RCA nicht auf. Und RCA schafft es auch: Die CED gelangt zur Marktreife. Allerdings erst 1981, und das ist viel zu spät.

Seit 1976 ist die VHS-Kassette in Japan auf den Markt. Der Launch der CED, auf 1977 geplant, verzögert sich weiter. Denn zu dem Zeitpunkt kann die Disk erst 30 Minuten Video speichern und ist nicht robust genug. Als 1981 endlich der erste CED-Player in die amerikanischen Läden kommt, ist auch im Heimmarkt von RCA, den USA, die Videokassette bereits voll etabliert.

RCA durchläuft während der langen Entwicklungszeit turbulente Phasen mit mehreren Führungswechseln. In den 1970er-Jahren hat das Unternehmen mit der immer stärkeren japanischen Konkurrenz zu kämpfen, zieht sich aus dem Grossrechner-Business zurück und legt einige weitere Flops hin. Etwa die erfolglose Gaming-Konsole Studio II. Der kostspielige Reinfall mit den CED versetzt dem eh schon angeschlagenen Konzern den K.O.-Schlag.

Das Unternehmen wird 1986 aufgelöst.

Hat RCA das Aufkommen der Videokassetten nicht kommen sehen? Doch. RCA verkauft sogar selbst im grossen Stil VHS-Geräte und Kassetten, die der Konzern in Japan herstellen lässt.

Warum zur Hölle hält RCA dann so verbissen an der Idee fest, dass es sich selbst ruiniert?

Der vermeintliche Vorteil

Die Überlegung hinter der CED-Zangengeburt: Die Entwicklung der Videoplatte ist zwar teuer, aber wenn es einmal geschafft ist, zahlt sich das aus. Denn PVC-Platten können gepresst und so in riesigen Stückzahlen günstig hergestellt werden. Magnetbänder dagegen müssen einzeln bespielt werden. Die Massenproduktion von Platten ist somit deutlich einfacher und günstiger. Ein Plattenspieler kann ebenfalls relativ günstig produziert werden; die Mechanik ist weniger komplex als die der Magnetband-Technologie.

Das beste ist womöglich der Preis. So bewirbt RCA den ersten CED-Player 1981. Quelle: Flickr/Lil_Zebra
Das beste ist womöglich der Preis. So bewirbt RCA den ersten CED-Player 1981. Quelle: Flickr/Lil_Zebra

Das stimmt auch. Sowohl die Abspielgeräte als auch die Platten kann RCA günstiger anbieten als das mit VHS möglich ist. Aber das ist nicht entscheidend. Denn die Leute nutzen Videokassetten anders.

Einerseits lassen sich auf Videokassetten TV-Sendungen aufzeichnen. Auch mehrmals auf das gleiche Band. Vor allem aber werden Filme meist gar nicht gekauft, sondern aus Videotheken ausgeliehen. Logisch: Die meisten Filme schaust du dir sowieso nur einmal an. Videotheken schiessen Anfang der 1980er-Jahre wie Pilze aus dem Boden. Durch diese Mehrfachnutzung einer Kassette müssen weniger Exemplare hergestellt werden und sie dürfen auch teurer sein.

VHD: Die Japaner perfektionieren den Flop

Nach diesem spektakulären Flop ist klar: Die Idee der Videoplatte ist einfach verrückt. Niemand würde so etwas nochmal probieren. Zwei Jahre später, 1983, bringt ein japanischer Konzern die VHD-Disk heraus: Eine Videoplatte aus karbonverstärktem Vinyl, die in einer Plastikbox eingeschlossen werden musste, weil sie so empfindlich war.

Das an sich ist schon merkwürdig genug. Noch merkwürdiger ist, dass es sich bei besagtem japanischen Konzern um JVC handelt. JVC ist der Konzern, der die VHS-Kassette erfolgreich im Markt etabliert hat. Also genau die Technologie, die der Videoplatte den Garaus machte.

VHD wird ebenfalls ein Flop. Wenn auch nicht ein so gigantischer Flop wie die CED. Technologisch ist VHD klar besser und bietet Features wie 3D-Filme und interaktive Filme: Du kannst Entscheidungen treffen und je nachdem geht die Story unterschiedlich weiter. Das ist möglich, weil die VHD direkt an eine andere Stelle springen kann.

Die japanische Industrie ist während der 1970er-Jahre sehr erfolgreich damit, Bestehendes zu kopieren – und gleichzeitig besser zu machen. Hier allerdings perfektionieren die Japaner eine Technologie, die zum Scheitern verurteilt ist.

1986 kommt die LaserDisc heraus. Die findet zwar auch keine riesige Verbreitung, weil sie sehr teuer ist, aber es ist die Technologie der Zukunft. Wie der Name sagt, werden die Informationen mit einem Laserstrahl ausgelesen. Dadurch gibt es keine mechanische Abnutzung wie bei einem Plattenspieler. Die LaserDisc folgt also dem gleichen Prinzip wie später die CD, die DVD und die Blu-ray.

Und damit zurück in die Zukunft, wo auch optische Speichermedien schon länger ausgedient haben.

  • Ratgeber

    Wer braucht eigentlich UHD Blu-rays?

    von Luca Fontana

Die komplette CED-Saga

Hier noch ein Videotipp, der zugleich eine Quellenangabe ist. Alec erzählt auf seinem Youtube-Kanal Technology Connections die Geschichte der CED und dem RCA-Konzern in aller Ausführlichkeit – und in einer Länge, die nicht auf eine CED-Seite gepasst hätte.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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