

Sony Alpha 7R IV: Das Pixelmonster im Test

Ich hatte Gelegenheit, die Sony Alpha 7R IV auszuprobieren. Dass die Kamera gut ist, steht ausser Frage – aber ist der sehr hohe Preis auch gerechtfertigt?
Die Sony A7R IV ist da – weniger als zwei Jahre nach der Markteinführung der A7R III. Das Vorgängermodell ist weiterhin erhältlich und das zu einem vergleichsweise moderaten Preis.
Bedienung und Ergonomie
Auf Produktbildern fällt es kaum auf – doch der Handgriff der A7R IV ist deutlich besser, als ich es von anderen Sony-Vollformatkameras kenne. Insbesondere bei der Sony A7 III ist der Griff etwas zu klein geraten, hier fühlt sich das viel griffiger an.
Ansonsten sind die Bedienung und die Ergonomie im üblichen Sony-Stil gehalten. Drei frei konfigurierbare Buttons, der praktische Fn-Schnellzugriff und der 8-Weg-Joystick zum Steuern des Fokusfelds machen die Bedienung leicht. Typisch für Sony ist allerdings auch, dass die Menüs auf Deutsch mit seltsamen Abkürzungen verwirren.
Bei der Sony A7R IV hat sowohl das Modusrad als auch das Rad für die Belichtungskorrektur eine Sperre, die versehentliches Verstellen blockiert. Das Modusrad lässt sich nur drehen, wenn gleichzeitig der Knopf auf dem Rad gedrückt ist. Etwas anders funktioniert die Sperre bei der Belichtungskorrektur: Durch Drücken und Loslassen wird die Arretierung gelöst, danach kannst du frei drehen. Erneutes Drücken sperrt das Rad wieder. Das finde ich sinnvoll, denn anders als beim Modusrad brauche ich hier oft mehrere Anläufe, bis ich die richtige Einstellung gefunden habe.
Der Bildschirm lässt sich herausklappen und nach oben und unten drehen, nicht aber zur Seite. Auch das ist Sony-typisch. Das Display ist berührungsempfindlich.

Was mich schon länger stört bei der Bedienung von Sony: Es gibt keinen Mechanismus, um die ISO-Automatik nur ein- oder auszuschalten, ohne durch sämtliche ISO-Werte scrollen zu müssen. Eine Kleinigkeit – es wäre aber auch eine Kleinigkeit, das mal zu verbessern.
Das Gehäuse wirkt, als könntest du damit Nägel einschlagen. Würde ich aber aufgrund des Preises der Kamera nicht machen.
Die Sache mit der Auflösung
Das markanteste Feature der A7R IV ist ihre Auflösung: ungefähr 61 Megapixel oder genau 9504×6363 Pixel gross wird ein Bild. Die Auflösung ist damit höher als bei der Mittelformatkamera Fujifilm GFX 50.
Zur Illustration: Da, wo der Pfeil ist auf dem Bild, sehe ich in der Vergrösserung problemlos, ob die Ampeln auf Rot oder Grün stehen.


Die hohe Auflösung führt zu hohen Datenmengen. RAW-Bilder sind 60 MB gross, JPEGs teilweise über 20 MB. Bei einer Session mit mehreren Hundert Fotos dauert der Import sehr lange. Lightroom ist bei mir manchmal arg überfordert und braucht über zehn Sekunden, nur um in ein Bild reinzuzoomen.
Um die 61 Megapixel voll zu nutzen, brauchst du ein Objektiv, das genügend scharf ist. Das GM 16-35mm erfüllt diesen Anspruch auf jeden Fall. Aber was ist mit einem günstigeren, wie zum Beispiel dem Tamron 28-75mm?
Im Direktvergleich sehe ich einen Unterschied – das Tamron kommt wohl nicht ganz auf die geforderte Schärfe. Aber fast. Ich denke, dass auch günstigere Objektive als das GM 16-35mm genügend Auflösung liefern. Hier ein stark vergrösserter Ausschnitt (annähernd 100 Prozent).


Natürlich muss die Aufnahme auch optimal sein. Das scheint mir im Alltag das grössere Problem. Jeder kleinste Verwackler, jede kleinste Bewegungsunschärfe wird sichtbar. Du siehst es auch sofort, wenn du nicht genug abgeblendet hast und die Ränder deshalb nicht ganz scharf sind.
Und natürlich verliert das Bild auch an Schärfe, wenn wenig Licht vorhanden ist.
Bildrauschen
Du hast wahrscheinlich schon gelesen, dass Kameras mit hoher Auflösung stärker rauschen. Denn die einzelnen Pixel sind kleiner und damit weniger lichtempfindlich. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.
Ein Bild vergrössert anschauen, heisst meistens: 100-Prozent-Ansicht. In dieser Ansicht entspricht ein Pixel des Bildschirms einem Pixel des Fotos. Die Sony-Kameras schalten standardmässig auf diese Vergrösserung, wenn du die Lupentaste drückst.
Vergleichst du die 100-Prozent-Ansicht zweier Sensoren, rauscht die 60-Megapixel-Kamera tatsächlich viel stärker als bei einer vergleichbaren Kamera mit 20 Megapixeln.
Allerdings ist dieser Vergleich nicht praxisnah. Praxisnah ist, wie das Bild im Endergebnis ausschaut – so wie du es dann betrachtest. Angenommen, du willst deine Fotos auf einem UHD-Fernseher (3840×2160 Pixel, also ungefähr 8 Megapixel, zeigen: Dann werden 60 Megapixel stärker herunterskaliert als 20 Megapixel. Und beim Herunterskalieren kann das Bildrauschen zu einem grossen Teil «herausgerechnet» werden.
Dieses Bild wurde mit 12800 ISO aufgenommen. So stark verkleinert wie auf unserer Webseite rauscht da überhaupt nichts.

In starker Vergrösserung ist das Rauschen hingegen deutlich sichtbar. So sieht die RAW-Datei mit den Lightroom-Standardeinstellungen aus:

Und so das von der Kamera produzierte JPEG.

Auf Instagram verschwindet das Rauschen nur, wenn ich das Foto vorher mit Photoshop selbst verkleinere. Lade ich es in voller Grösse hoch, kommt es nicht gut. Das liegt wohl daran, dass Instagram die Bilder zu stark nachschärft.
Wie stark die A7R IV genau rauscht, können nur Labormessungen ermitteln. Das überlasse ich den Leuten von dpreview.com und DXOMark.
240 Megapixel (Pixel shift)
Mit Hilfe von Pixel Shifting erreicht die Kamera sogar 240 Megapixel. Sie macht dabei 16 Aufnahmen hintereinander und verschiebt den Sensor jeweils um einen halben Pixel. Anschliessend werden diese Aufnahmen zusammengerechnet. Für die Aufnahmen brauchst du ein Stativ, und das Motiv darf sich kein bisschen bewegen. Ausserdem musst du die Software «Imaging Edge» von Sony auf deinem Mac oder PC installieren. Sie erstellt aus den Einzelbildern das Riesenbild; die Kamera selbst kann das nicht.
Für Aussenaufnahmen wirst du das kaum je brauchen können, denn kaum eine Szenerie ist komplett bewegungslos. Den einzig sinnvollen Anwendungsbereich sehe ich bei der Produktfotografie im Studio.
Ich habe im Studio das Mischpult fotografiert: Normal, Pixel Shift mit 4 Aufnahmen und Pixel Shift mit 16 Aufnahmen. Mit 4 Aufnahmen erhöht sich die Auflösung nicht, aber das Bild soll schärfer werden.

Die normale Aufnahme ist mit dem hochwertigen Objektiv bereits sehr scharf; dennoch erhöht Pixel Shift mit 4 Bildern die Schärfe und den Kontrast noch etwas.


Die aus 16 Bildern zusammengesetzte Aufnahme ist hingegen eine Enttäuschung. Sie liefert nicht wesentlich mehr Schärfe und Details als das normale Foto und ist – zumindest in meinem Versuch – sogar weniger gut als die Aufnahme, die nur aus 4 Bildern zusammengesetzt wird.


Bei der Sony A7R IV ist nur das Verfahren mit den 16 Aufnahmen neu. Den Pixel Shift mit 4 Aufnahmen beherrschte der Vorgänger auch schon.
Um das ganze selbst zu inspizieren, benutze den Download der drei Testbilder.
Dynamik
Die Kamera kommt sehr gut mit starken Helligkeitsunterschieden zurecht. Diese entstehen zum Beispiel im harten Sonnenlicht.

Mit aufgehellten Tiefen und abgedunkelten Lichtern werden die Strukturen gut sichtbar.

Das Coole daran ist, dass ich im RAW-Konverter auch bei extremen Situationen nicht extrem korrigieren muss. Das heisst, ich muss weder die Lichter voll abdunkeln noch die Tiefen voll aufhellen. So kann ich den künstlichen HDR-Look vermeiden, der normalerweise bei solchen Korrekturen entsteht.

Das obige Bild zeigt die Aufnahme nach der automatischen Tonwertkorrektur in Lightroom. Diese bringt folgende Werte: Belichtung +0.73, Kontrast +6, Lichter -77, Tiefen +49, Weiss +11, Schwarz -17.
Geschwindigkeit
Trotz ihrer hohen Auflösung schafft die Kamera eine Geschwindigkeit von 10 Bildern pro Sekunde und ist damit für Sport und Action zu gebrauchen. Während des Serienfeuers gibt es kein Blackout im Sucher der Autofokus wird laufend nachgeführt.
Es war für mich problemlos möglich, Fabian Doerig beim Skaten zu fotografieren und dabei den optimalen Moment zu erwischen. Dank dem ausgezeichneten Autofokus brauchte ich mir auch keine Sorgen um die Schärfe zu machen.


Der Pufferspeicher der Kamera ist riesig. Trotz der grossen Files kann die Cam über 100 RAW-Fotos in Serie aufnehmen, bevor der Puffer voll ist. Danach dauert es allerdings auch einige Zeit, bis er wieder leer ist. Das heisst, nach einem langen Serienfeuer kann es nicht sofort im gleichen Stil weitergehen.
Video
Unser Video Producer Manuel Wenk hat mit der Kamera einen Bündner Jäger für eine Galaxus-Reportage begleitet. Die Aufnahmen im schwachen Licht der Hütte und in der Dämmerung zeigen kaum Rauschen. Wie oben beschrieben: Durch Reduzierung von 60 Megapixel auf 8 Megapixel (4K-Video) wird das Rauschen herausgerechnet und auch allfällige Unschärfen verschwinden. Die Aufnahmen sind selbst bei schwierigem Licht absolut scharf. Auch die Hell-Dunkel-Unterschiede bewältigt die Kamera im Videomodus genausogut wie bei Fotos.
Manu hat auch das neue digitale Mikrofon Sony ECM-B1M eingesetzt, das bislang nur an der A7R IV tatsächlich digital funktioniert. Dessen Tonqualität ist hervorragend. Beeindruckend finde ich, wie die Stimmen und die Umgebungsgeräusche gleichermassen klar herauskommen. Laut Manu ist das zwar auch mit diesem Mic nur in einer ruhigen Umgebung möglich, aber ich bin trotzdem beeindruckt vom Resultat.
Fazit: Kamera super, Preis-Leistungs-Verhältnis weniger
Ja, das ist eine super Kamera. Wer immer den neusten heissen Scheiss haben will, ohne Rücksicht auf den Preis, ist hier zweifellos richtig. Allen anderen würde ich aber dringend empfehlen, auch die günstigeren Alternativen anzuschauen. Der Vorgänger Sony A7R III kann auch schon 10 Bilder pro Sekunde schiessen, beherrscht Pixel Shift mit 4 Aufnahmen und 42 Megapixel sind auch nicht grad wenig. Selbst die noch günstigere Sony A7 III bietet 10 Bilder pro Sekunde, 2 Kartenslots, Anschlüsse für Kopfhörer, Mikrofon und Studioblitz und einen hervorragenden Autofokus. Und wenn Sport und Action dein Ding ist, gibt es auch noch die Sony Alpha 9, zu der Sony vermutlich bald ein Nachfolgemodell herausbringt.


Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.