
Hintergrund
Microsoft Teams vs. Privatsphäre: Das Damoklesschwert ist neu violett
von Dominik Bärlocher
Microsoft Viva soll das Intranet deiner Firma ersetzen. Mit dem Intranet in der Cloud kommen aber neue Bedenken für die Privatsphäre, denn Viva überwacht die Arbeiter systematisch.
Drei Minuten und sechzehn Sekunden lang ist der Werbespot. Und er ist voll mit Vegan-Yoga-Geschwafel, das so klingt, wie ein Bürobetrieb im wirklichen Leben sicher nicht klingt. Kitschige Dialoge, wenige Informationen. Der Grund, weshalb ich mir ein Video antue, in der eine junge Frau sich offen über Extra-Arbeit freut: Microsoft hat jüngst die Angewohnheit, die Datenanalyse über die Privatsphäre seiner Nutzer zu stellen. Darum sind die Ankündigungen des Windows-Konzerns immer einen scharfen Blick wert.
Bei Microsoft Viva, dem neuen Kommunikations- und Interaktions-Tool soll das anders sein. Soll. Denn mit Details hält sich der Konzern noch bedeckt, selbst wenn Viva bereits ausgerollt sei.
Viva könnte ein Alptraum für deine Privatsphäre als Mitarbeiter sein. Und bisher tut Microsoft recht wenig, solche Befürchtungen zu entkräften.
Microsoft Viva ist ein Portal für Unternehmen. Sowohl für Angestellte wie auch für die Chefs, die «in diesen schwierigen Zeiten», in denen «vieles isch grad echli anders» gilt, auch noch irgendwie den Überblick über die Angestellten haben müssen. Daher mal eine kurze Übersicht, was denn Viva eigentlich ist und tun soll, abseits von Marketing-Blabla.
Viva hat eine Art Newsfeed, der dir wichtige Informationen aus dem Unternehmen anzeigt. Wenn wir das Beispiel von digitec nehmen: In meinem Newsfeed wären dann wohl wichtige Pressekonferenzen und Events wie der Apple Launch vermerkt, oder wenn CEO Florian Teuteberg zum Jahresabschluss informiert. Auch sollen da wichtige Gesprächs-Threads auftauchen, damit du möglichst nichts im Unternehmen verpasst.
Ein Dashboard kann für alle Rollen im Unternehmen konfiguriert werden, damit alle wichtigen Informationen und Aufgaben pro Rolle auftauchen. Sprich: Mitarbeiter im digitec-Shop bekommen einen Schicht-Kalender angezeigt, während ich als Journalist einen Vorschlag zur Entspannung erhalte. Denn jeder Chef weiss, was er an uns hat. Ich frage mich, ob fünf Minuten Spasszeit so gegen 14 Uhr eingeplant werden kann. Die Entspannungskachel ist bei den Shop-Mitarbeitern nicht auf der ersten Kachel, sondern der dritten.
«Insights» ist ein weiteres, für die operative Arbeit gedachtes Dashboard. Es zeigt Weiterbildungsmöglichkeiten an, erinnert dich gegen Ende des Tages an offene Tasks und sucht dir im Kalender Zeit für «Focus Work». «Focus Work» ist übrigens Microsofts Vorstoss gegen die grässliche Flut an Notifications und die Meeting-Inflation. Damit sollst du die Chance bekommen, ausnahmsweise mal produktiv zu sein. Ungeachtet der Tatsache, dass Microsoft selbst Schuld an einem Teil der Flut an Notifications ist.
Und meditieren soll ich laut Insights auch noch. Liebes Microsoft, ersetz doch bitte «meditieren» mit «Kaffee» und ich kann mich damit anfreunden. Warum muss Bürokultur in Grossunternehmen immer so Etepetete-Bullshit sein? Ich habe im Alltag schon genug Quatsch, der mich stresst. Da brauche ich nicht noch Federkohl dazu.
Eines muss dir bewusst sein: Microsoft Viva «Insights» liefert deinem Chef Daten über deine Performance und wie viel du arbeitest. Das klingt bekannt. Der Microsoft Productivity Score, der mittlerweile angepasst ist, damit er dich nicht mehr ganz so gut ausspioniert, wollte bei seiner Einführung deinem Chef Daten aller Art übermitteln, damit er oder sie deine Performance besser analysieren kann.
Viva Insights liefert deinen Vorgesetzten ähnliche Daten. Aber, so verspricht Microsoft, nur unter folgenden Bedingungen:
Damit soll die Privatsphäre der Mitarbeiter geschützt sein. Stimmt so nicht ganz. Denn jeder Manager kennt sein Team. So als Personen. Daher ist die Diskussion hier in den Metadaten zu führen. Sprich: Wenn dein Manager die Daten aus Insights mit anderen Daten kombiniert, wie schlimm kann das werden?
Ein vereinfachtes Beispiel unter der Annahme, dass da ein Wert ist, der die Produktivität in Prozent ausgibt: In einem Team aus fünf Leuten, ist die Produktivität auf erschreckenden 45%. Dann geht ein Teammitglied in die Ferien. Eine Person geht in die Ferien und dann ist die Produktivität auf 50% gestiegen. Was sagt das aus? Da braucht ein Chef keine personalisierte Daten.
Daher: «Insights» ist nicht nur wegen dem Yoga-Vegan-Quark eine schlechte Idee, gegen die du dich stellen solltest. Da hilft auch die automatisierte Erkennung von Burnout-Risiken nicht. Diese soll anhand von «Wie oft arbeiten deine Mitarbeiter nach der regulären Arbeitszeit noch?» erkennen, wann dein Team vor dem mentalen Kollaps steht.
Burnout-Risiko-Erkennung klingt gut. Analyse der Performance auf Zahlenbasis weniger. Das sieht auch das Schweizer Recht so, womit Microsoft Viva auf dünnem Eis steht. Oder dickem. Kommt auf die Argumentation im rechtlichen Kontext an, denn das Schweizer Recht ist recht vage, wenn es darum geht, was erlaubt ist und aus welchen Gründen.
Das Schweizerische Obligationenrecht (OR) schreibt in Artikel 328 vor:
Der Arbeitgeber hat im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen.
OR 328b widerspricht dem Schutz der Persönlichkeit, je nach Argumentation teilweise:
Der Arbeitgeber darf Daten über den Arbeitnehmer nur bearbeiten, soweit sie dessen Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sind.
Im Falle Microsoft Viva kann argumentiert werden, dass der Arbeitgeber keine Daten seines Mitarbeiters bearbeitet. Microsoft Viva tut das. Wenn du also Mitarbeiter bei Digitec Galaxus AG bist, dann analysiert die juristische Person Digitec Galaxus AG deine Daten nicht. Sie sammelt sie zwar, aber die Bearbeitung macht Microsoft.
Das Datenschutzgesetz (DSG) gibt in DSG 4.3 einen klaren Rahmen vor, in dem Personendaten bearbeitet werden dürfen:
Personendaten dürfen nur zu dem Zweck bearbeitet werden, der bei der Beschaffung angegeben wurde, aus den Umständen ersichtlich oder gesetzlich vorgesehen ist.
Ist für die Bearbeitung von Personendaten die Einwilligung der betroffenen Person erforderlich, so ist diese Einwilligung erst gültig, wenn sie nach angemessener Information freiwillig erfolgt. Bei der Bearbeitung von besonders schützenswerten Personendaten oder Persönlichkeitsprofilen muss die Einwilligung zudem ausdrücklich erfolgen.
Der ist easy. Beim Einstellungsgespräch und im Arbeitsvertrag heisst es: «Deine Arbeits- und Nutzerdaten werden zu Qualitäts- und Performance-Zwecken anonymisiert analysiert». Wer sagt da schon «Nein», wenn Ende Monat ein Lohn auf dich wartet?
Aber das Schweizer Recht geht davon aus, dass breite Überwachung für die Mitarbeiter in einem Unternehmen nicht gesund oder förderlich ist. Daher ist grundsätzlich unzulässig:
Genau deshalb dürfte die Analyse in Microsoft Viva rechtlich unzulässig sein. Auch wenn darüber diskutiert werden kann, ob Viva nun Spyware ist oder nicht, so ist die Überwachung definitiv systematisch.
Dazu sagt das Arbeitsgesetz (ArGV):
Überwachungs- und Kontrollsysteme, die das Verhalten der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz überwachen sollen, dürfen nicht eingesetzt werden.
Sind Überwachungs- oder Kontrollsysteme aus andern Gründen erforderlich, sind sie insbesondere so zu gestalten und anzuordnen, dass die Gesundheit und die Bewegungsfreiheit der Arbeitnehmer dadurch nicht beeinträchtigt werden.
Aber es gibt dann doch systematische Überwachung, die zulässig ist. Wenn sie zu Qualitätssicherungsgründen genutzt wird oder zur Messung der Anzahl produzierter Teile oder getätigter Anrufe in einem Callcenter.
Ein findiger Chef kann also argumentieren, dass die systematische Überwachung in Viva zur Qualitätssicherung notwendig ist und das eigene Unternehmen analysiert nichts. Microsoft analysiert.
Etwas zynischer: Ein Unternehmen wird sich die Fragen nach der Rechtmässigkeit der Datensammlung kaum stellen. Microsoft macht ein gutes Angebot, Viva sieht schick aus und «Schau mal, wie schön das animiert ist», und das ganze Wellness-Gefasel imponiert dann auch noch. Voilà, die Überwachung wird gutgeheissen.
Einer der besten Aspekte der modernen Arbeitskultur ist der Fokus auf Aus- und Weiterbildung. Microsoft Viva will auch dieses Bedürfnis abdecken. In Viva «Learning» kann dir dein Unternehmen Kurse und dergleichen anbieten, mit denen du deine Karriere voranbringen kannst.
Dann ist da noch Viva «Topics», eine «Art Wikipedia für dein Unternehmen». Okay. Noch ein Wiki. Für all die, die Microsoft Teams immer noch als violettes Skype verwenden: Jedes Team in Teams hat ein eigenes Wiki. Ist oben am Team ein Tab.
Damit hat ein Unternehmen jetzt, wenn die Wiki-Kultur früh in die Firma eingeführt wurde:
Übersichtlichkeit sieht anders aus. Microsoft täte gut daran, eine zentralisierte Lösung für Wiki-Inhalte zu schaffen. Diese Inhalte werden dann auf die Apps ausgespielt. Also Microsoft Wiki würde Inhalte speichern und sie würden in Teams und Viva ausgespielt werden. Denn mit all den Locations ergibt das so, wie Microsoft das präsentiert, wenig Sinn.
Aber: Aktuell ist Microsoft Viva noch recht vage. Microsoft hat noch keine technologischen Details und genaue Funktionsweisen bekannt gegeben, sondern auf recht oberflächlichem Niveau eine Produktvorstellung gemacht.
Microsoft lässt die User wissen, dass Viva noch nicht fertig ist. Es ist funktional und für Office-365-Nutzer bereits jetzt zugänglich, aber im Laufe des Jahres 2021 sollen noch Features dazukommen. Das lässt für mich nur einen Schluss zu: Viva ist eine Reaktion auf die Corona-Pandemie, die Marketing Departments übrigens nie beim Namen nennen wollen. Teams war als Ersatz für Skype gedacht und wurde dann mit ein paar neuen Features versehen. Das reicht aber noch nicht aus in einer Welt, in der man erkennt, dass die Besetzung ganzer Büro-Etagen ihre Jobs easy von überallher erledigen kann.
Es ist an den Chefetagen, diesem «neuen Normal» Rechnung zu tragen. Home Office ist hier, und es wird bleiben. Schon alleine deshalb, weil sich viele Menschen gar nicht mehr vorstellen können oder auch wollen, jeden Tag ins Büro zu gehen.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.