
Lootboxen und Microtransactions: Gift für Spiele oder notwendiges Übel?

Es ist das meistdiskutierte Thema der letzten Wochen: Lootboxen. Verantwortlich für einen der grössten Shitstorms der letzten Jahre in der Gamer-Szene ist kein unbeschriebenes Blatt: EA. Wie ist es so weit gekommen und was steht uns noch bevor?
Es hätte alles so gut kommen können. Nachdem das erste «Star Wars Battlefront» von EA zwar erfolgreich, aber hinter den Erwartungen der Fans zurückblieb, klangen die Versprechen für den zweiten Teil verheissungsvoll. Kein Season Pass mehr, eine richtige Singleplayer-Kampagne und mehr Spieltiefe. Doch statt die Stimmung für den kommenden «Star Wars VIII: The Last Jedi» anzuheizen, hat Publisher EA eine Lawine losgetreten, die ungeahnte Folgen haben könnte.
Grund der Entrüstung vieler Gamer war das Lootbox-System mit Pay-to-Win-Allüren und das in einem Vollpreisspiel. Statt, dass man Upgrades für seine Spielfiguren im Multiplayer freispielt, sammelt man Credits, um damit Lootboxen zu kaufen. Erst darin kriegt man zufällige Karten wie neue Charaktere, Waffen und Upgrades. Anfangs konnte man die Ingame-Währung noch für echtes Geld kaufen, bis EA wenige Stunden vor dem finalen Release den Stecker zog (vorläufig). Auch das Lootbox-System sowie die Kosten, um Figuren wie Luke Skywalker freizuschalten, wurden vor und nach dem Launch von «Battlefront 2» mehrmals angepasst. Immer geschmückt mit dem PR-Satz: «Wir hören auf die Gamer».

Der Auslöser für EAs Notbremse soll übrigens weniger die Flut von Hass-Mails von Fans als ein besorgter Anruf von Lizenz-Inhaber Disney, die gar keine Freude über die Schlammschlacht hatten, in die ihre wertvolle Marke gezogen wurde. Konkret soll Jimmy Pitaro, Vorstandsvorsitzender von Disney, bei EA geklingelt haben und Sofortmassnahmen verlangt haben. Aber es war schon zu spät, denn der Schaden war längst angerichtet. Schlimmer noch: Die Diskussion, ob Lootboxen Glückspiel sind, wurde angeheizt und zog plötzlich Kreise über die übliche Game-Szene hinaus.

Belgiens Justizminister Koen Geens fordert europaweite Massnahmen gegen die «gefährliche Vermischung von Videospielen mit Glückspielelemten». Auch US-Politiker sind auf das Thema aufmerksam geworden. Der hawaianische Kongressabgeordnete Chris Lee hat wenig freundliche Worte für «Battlefront 2» übrig: «Star Wars-geschmücktes Online-Casino, um Kinder zum Geldausgeben zu verführen». Vergleiche zum Zigarettenverkaufenden Joe Camel wurden gezogen. EA und auch Take Two halten dagegen. Bei letzteren weckt die Reaktion keine guten Vorahnungen für das kommende «Red Dead Redemption 2». Aber auch die britische Wettkommission hält den Glücksspielvorwurf für übertrieben, da Lootboxen nur in Spielen benutzt werden und nicht ausbezahlt werden können. Was in zweifacher Hinsicht zeigt, wie wenig Politiker von der Thematik verstehen. Nicht nur gibt es Lootboxen in Videospielen seit rund zehn Jahren und in anderen Bereichen noch viel länger, auch kann die Beute daraus durchaus zu Geld gemacht werden.
EA ist eigentlich ganz unschuldig...

An der jährlichen Credit-Suisse-Konferenz für Technologie, Medien und Telekom erklärte EA CFO Blake Jorgensen, dass der «Stars Wars»-Kanon Schuld sei, dass es keine kosmetischen Lootboxen gebe. Also Boxen, die Gegenstände enthalten, die das Aussehen der Spielfiguren verändern. Der Kanon beschreibt das Material und die Geschichte, die offiziell als Teil solcher fiktiven Universen anerkannt sind. Kosmetische Lootboxen gelten gemeinhin als am ehesten akzeptiert unter Gamern, da sie keine spielerischen Vorteile bieten. «Wenn du irgendwelche kosmetischen Dinge hinzufügst, könntest du den Kanon verletzen», so Jorgensen. «Darth Vader in weiss macht vermutlich wenig Sinn im Vergleich zu schwarz. Ganz zu Schweigen davon, dass du Darth Vader bestimmt nicht in Pink möchtest.» Disney beziehungsweise LucasFilms hält ein strenges Auge über jegliches Material, das zu «Star Wars» veröffentlicht wird. Es darf daher angenommen werden, dass Disney aktiv darüber gewacht hat, was in «Battlefront 2» vorkommen darf und was nicht. Ein Luke Skywalker in all seinen verschiedenen Outfits aus den Filmen wär, anders als der pinke Vader, der Vorlage treu geblieben. Ob Disney das nicht wollte – oder EA oder Dice – werden wir wohl nie erfahren.
Woher kommen Lootboxen überhaupt?
Viele Gamer werden schmunzeln, weil plötzlich alle mit dem Finger auf Lootboxen zeigen, wo es das System doch schon seit Jahren gibt. Zu den populärsten Beispielen gehören «Clash Royal» oder «Counter-Strike GO». Eines der ersten Beispiele ist das chinesische Free to Play «ZT Online» aus dem Jahre 2007. Im asiatischen Raum hat sich das Modell als erstes etabliert, da dort in den meisten Ländern die Kaufkraft tiefer ist als bei uns. Ein weiteres, äusserst erfolgreiches Beispiel, das hierzulande nur wenige kennen, ist «Puzzle & Dragons» von 2011, welches das erste Mobile-Game war, das eine Milliarde Dollar erwirtschaftete.

Im Westen war es Zynga, das mit gratis Facebook-Games den Markt überrollte. Mittels Microtransactions konnten in Spielen Prozesse beschleunigt werden auf die du sonst Minuten, Stunden oder gar Tage warten musstest. Aber wen kümmerte diese Entwicklung? Mobile- und Facebook-Spiele galten unter echten Gamern als Kinderkram. Lange sollten sie nicht verschont bleiben. 2010 wandelte Valve, die Firma hinter Steam, das populäre Multiplayer-Game «Team Fortress 2» in einen Free-to-Play-Titel um. Fortan war das Spiel gratis, dafür gab es Crates, also Kisten, die du mit kostenpflichtigen Schlüsseln öffnen konntest. Enthalten waren rein kosmetische Gegenstände. Das Modell war derart erfolgreich, dass Branchenkenner witzelten, dass der Grund, warum Valve kein neues Spiel herausbringt, daran liegt, dass alle Entwickler nur noch Hüte designen.
Das Free-to-Play-System verbreitet sich von Jahr zu Jahr. Microstransations und Lootboxen schleichen sich in immer mehr Spiele und gehören mittlerweile zur Tagesordnung. Ganze YouTube-Kanäle widmen sich allein dem Öffnen von denselbigen.
Gute und schlechte Beispiele
An Lootboxen oder Microtransactions gibt es per se nichts auszusetzen. Es ist ein legitimer Weg für Entwickler, Geld zu machen. Die Mobile-Branche könnte ohne Free to Play gar nicht existieren. Aber Spieler wollen dabei nicht das Gefühl haben, manipuliert oder abgezockt zu werden. In «Call of Duty: WWII» fallen Lootboxen aus dem Himmel, so dass sie alle sehen können. Fürs Zuschauen beim Öffnen gibt es sogar noch Punkte. Das grenzt fast an Nötigung. In «Destiny 2» sind dafür die beliebten Shader, mit denen du deine Ausrüstung umstylen kannst, zu Verbrauchsgegenständen umfunktioniert worden, die du «netterweise» für echtes Geld kaufen darfst.

Activision, der Publisher dieser beiden Spiele, hat kürzlich ein Patent zugesprochen bekommen, das Microtransactions vorantreibt. Beispielsweise indem es dich mit Spielern zusammensetzt, die besser sind und du dadurch eher geneigt bist, Vorteile mit Geld zu erkaufen. Oder das Spiel merkt, dass du eine spezielle Sniper-Waffe möchtest und dich dann in ein Spiel setzt mit einem geübten Sniper. Wenn du die Waffe dann gekauft hast, hört es aber nicht auf. Das Spiel könnte dich danach in einen Match werfen, wo deine neue Flinte besonders effektiv wird. Nicht auszumalen, was noch möglich ist und was davon bereits angewendet wird.
Heikel wird es zudem, wenn mit Geld Vorteile erkauft werden können. Hier wird von Pay to win gesprochen – was auch «Battlefront 2» vorgeworfen wird. Spielentwickler und Publisher argumentieren in solchen Fällen, dass es unterschiedliche Spielertypen gebe. Nicht jeder hat die Zeit, sich alles freizuspielen. Also kriegt er die Möglichkeit, mit echtem Geld die neuste Waffe oder doppelte Erfahrungspunkte zu kaufen.
Solange das Hauptspiel gratis ist, geben sich viele Spieler tolerant. Längst ist es aber zur Norm geworden, dass auch Spiele, die 60 oder mehr Franken kosten, mit Microtransactions und Lootboxen versehen sind. Und einen kostenpflichtigen Seasonpass mit neuen spielbaren Levels gibt’s noch obendrauf. Einer der Vorreiter war «Call of Duty». Neue Maps bringen die dringend nötige Abwechslung, was Publisher Activision nur zu gut wusste. Also wurden Spieler mit DLCs ein weiteres mal zur Kasse geboten.
All diese Käufe sind freiwillig. Niemand wird gezwungen, Outfits oder neue Levels zu kaufen. Es gibt zahlreiche positive Beispiele von Lootboxen und Microtransactions. «Overwatch» ist ein Vollpreisspiel mit Lootboxen. Diese enthalten Kostüme, Emotes etc. Sie können aber auch mit erspielter Ingame-Währung gekauft werden und bieten keinerlei spielerische Vorteile. Das gleiche gilt für die Waffenskins in «Counter-Strike GO». Die Free-to-Play-MOBAs «DOTA 2» und «League of Legends» finanzieren sich fast komplett durch kosmetische Gegenstände.

Free-to-Play und Lootboxen sollten nicht pauschal verteufelt werden. Viele Entwickler, besonders im Mobile-Sektor, sind auf dieses System angewiesen. Ein Spiel, das nichts kostet, probiert man schnell einmal aus, als wenn man erst ein paar Franken dafür bezahlen muss. Richtig umgesetzt, lassen viele Spieler gerne mal etwas springen, um ihre Wertschätzung zu zeigen oder ein neues Outfit zu kaufen.
Die Grenze zwischen akzeptiertem Free to play und Pay to win ist jedoch nicht immer ganz klar auszumachen. Worunter fällt beispielsweise «Hearthstone»? Blizzards Kartenspiel ist Free to Play, allerdings brauchst du neue Karten, um mit deinem Deck eine Chance gegen andere Spieler zu haben. Kartenpacks kriegst du fast ausschliesslich gegen Gold. Das verdienst du mit Spielen – oder gegen Echtgeld. Allerdings weisst du nicht genau, welche Karten du in einem Pack erhältst. Es könnten welche sein, die du schon hast. Immerhin weisst du, wie viele seltene Karten dabei sein werden. Schon «Magic the Gathering» funktionierte nach diesem Prinzip. Darf hier schon von Pay to win oder gar Glücksspiel geredet werden?

Die Glücksspiel-Diskussion ist von zusätzlicher Brisanz, weil es hier auch darum geht, suchtgefährdete Spieler zu schützen. Nicht ohne Grund wird Glücksspiel streng reguliert.
Kosten/Preis-Entwicklung von Games
Lootboxen und Microtransactions wurden nicht erfunden, um uns Spieler abzuzocken. Sie sind einerseits ein erfolgreiches Finanzierungsmodell, das besonders in Märkten, wo es Vollpreisspiele schwerer haben, zum Einsatz kommt. Es dient dazu, die hohen Entwicklungskosten zu decken, die im Vergleich zu den Game-Preisen konstant gestiegen sind. 1990 kostete ein NES-Spiel im Schnitt 50 Dollar. Das entspräche mit heutiger Inflation rund 95 Dollar. Ein N64-Spiel kostete 1998 ganze 70 Dollar. Das macht heute 105 Dollar. Ein neues Game für die PS2 war in den USA 60 Dollar wert, heute müsstest du dafür 75 Dollar bezahlen. In den USA hat sich der Durchschnittspreis von 60 Dollar für ein AAA-Spiel seit Jahren nicht verändert.
Ganz anders sieht es mit den Produktionskosten aus. Heute gilt die geläufige Formel, dass eine Person in einem Studio 10’000 US-Dollar pro Monat kostet. Darin ist der Lohn sowie alle weiteren Kosten wie Arbeitsplatz, Versicherung etc. enthalten. Das heisst, ein mittelgrosses Studio von 50 Personen verschlingt in einem Jahr 6 Millionen US-Dollar. In so kurzer Zeit werden aber die wenigsten Spiele entwickelt. Früher war das deutlich billiger. Ein Spiel für die Playstation 2 zu entwickeln kostete durchschnittlich knapp 900’000 Dollar. Das erste «Call of Duty» wurde für 8.5 Millionen Dollar produziert. Beim 2009 erschienenen «Modern Warfare 2» waren es mit 50 Millionen Dollar rund das sechsfache.
Waren früher Spiele nach der Veröffentlichung abgeschlossen, werden heute oft Monate und Jahre später noch Patches und Updates nachgereicht. Bei Online-Spielen kommen zusätzliche Kosten für die Server-Infrastruktur hinzu. All das will bezahlt werden, aber die Preis für Spiele sind relativ konstant geblieben.

Darum suchen viele Firmen den Weg «Game as a Service». Spiele wie «Destiny» oder «GTA Online», sind zu Plattformen geworden mit langfristigen Ausbau-Plänen. Auch Abomodelle wie bei Netflix oder Spotify werden immer wahrscheinlicher. Laut einer Auswertung des Analyse-Unternehmens SuperData konnte der Umsatz von PC- und Konsolenspielen zwischen 2012 und 2017 von 5 auf 8 Milliarden Dollar gesteigert werden. Eine beeindruckende Entwicklung. Wenn man allerdings das Wachstum von Free-to-Play-PC-Spielen daneben stellt, sieht es anders aus. In der gleichen Zeit wuchs dort der Umsatz von 11 auf 22 Milliarden Dollar. Solche Erhebungen sind immer mit Vorsicht zu geniessen, aber der Trend ist eindeutig.
Zukunft? Regulationen, teurere Games?

Es ist schwer absehbar, was EAs Debakel mit «Star Wars Battlefront 2» ausgelöst hat. Wenn in vielen Ländern Lootboxen plötzlich unters Glückspielgesetz fallen, werden sich die Hersteller schnell andere Methoden einfallen lassen, an ihr Geld zu kommen. Möglich ist eine Anhebung der Spielpreise oder der schnellere Wechsel zu Game as a Service. Mit Origin Access oder dem Xbox Game Pass sind zudem bereits Abo-Systeme vorhanden, die nun deutlich Auftrieb erhalten könnten. Klar ist, dass sich die Hersteller oder die Aktionäre ihre Gewinne nicht nehmen lassen werden. Für uns bleibt die Hoffnung, dass es fairere Modelle ohne Pay to Win und sonstige Abzocken geben wird. Es kann aber genauso gut sein, dass sie es einfach besser vor uns verstecken und uns mit psychologischen Tricks überlisten. Am Ende geben wir doch mehr aus, als wir eigentlich wollten.
Wie stehst du dieser Thematik gegenüber? Hast du schon Geld ausgebeben für Lootboxen? Wie siehst du die Zukunft?


Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.