
Produkttest
Zwei Einhörner klingen besser als erwartet
von Livia Gamper
Braucht die Welt Kopfhörer für Kinder? Was ist überhaupt der Unterschied zu einem Erwachsenenkopfhörer? Ein Blick auf eine mir bislang fremde Art von Kopfhörern.
Thomas Wüthrich, unser Marketing Manager für Audio-Produkte, weist mich darauf hin, dass Kinderkopfhörer ein Thema sind. Ich erinnere mich zwar noch gut daran, dass meine Redaktionskollegin Livia den bezaubernden Einhorn-Kopfhörer getestet hat. Aber dass wir Dutzende von Kinderkopfhörern im Sortiment haben, war mir nicht bewusst.
Meine Vermutung: Wenn dein Kind zum 3985154. Mal die gleiche Kasperli-Geschichte hört und noch lange nicht genug hat, wächst der Wunsch nach einem Kopfhörer – nicht beim Kind, sondern bei dir.
Da ich selbst keine Kinder habe, frage ich unseren Chief Editor Aurel Stevens, ob ich da richtig liege. Tatsächlich hört seine fünfeinhalbjährige Tochter immer und immer wieder das gleiche Zeugs, und tatsächlich sind es vor allem Hörspiele mit verstellten Stimmen, die ihm auf die Nerven gehen. Pingu, Kasperli, Globi. Auf Platz 1 der ultimativen Hass-Hitparade rangiert zur Zeit Kasperli + S’ Krokodil Schnellzah.
Angenommen, du möchtest deine Nerven entlasten. Wieso nicht einfach einen Erwachsenenkopfhörer nehmen? Oder anders gefragt: Was unterscheidet einen Kinderkopfhörer von einem Erwachsenenkopfhörer? Dem gehe ich mal nach, indem ich diese zwei Produkte aus dem Shop hole.
Schon unter Erwachsenen ist es ein Problem, dass nicht jeder Hörer für jeden Kopf passt. Der HP Omen Mindframe war für unseren Tester Kevin viel zu gross.
Für Kinder gilt das natürlich erst recht. Die meisten Kinderkopfhörer haben einen Bügel. Dieser ist verstellbar, aber natürlich nicht unbeschränkt. JVC gibt für seinen Kopfhörer ein Mindestalter von drei Jahren an.
Ein Höchstalter gibt es laut Hersteller nicht, und tatsächlich kann selbst ich als Erwachsener die beiden Kinderkopfhörer tragen. Sie sind zwar sichtbar kleiner als zum Beispiel mein Sennheiser Momentum 2, lassen sich aber recht weit im Umfang verstellen.
Den JVC HA-KD5 finde ich sehr unbequem, aber das liegt nicht an der Grösse, sondern daran, dass das Ding bis auf die Ohrpolster aus hartem Plastik ist. Der JBL Junior JR300 ist auch am Bügel gepolstert. Ausserdem lassen sich die Muscheln drehen. Das Gerät passt sich nicht nur besser der Kopfform an, sondern lässt sich auch platzsparend verstauen.
Wenn ich schreibe, die Geräte seien für Kindergarten und Unterstufe, meine ich damit vor allem das Design. Ich nehme an, dass es den Geschmack von älteren Kindern nicht trifft. Für mich ist die Farbkombination des JVC-Modells mit seinem Violett und Neongrün ein Super-GAU. Auch die alternativen Farbvariationen wie Gelb-Hellblau oder Pink-Violett würde ich höchstens zur Abschreckung tragen. Aber ich bin ja nicht die Zielgruppe. Den Kindern gefällt es anscheinend:
Super Kinderkopfhörer, meine Töchter lieben sie.
Der hellblaue JBL, den es selbstverständlich auch in Pink gibt, ist im Vergleich zum nuklearen JVC-Gerät geradezu dezent. Im Tram falle ich damit fast nicht auf.
Beide Kopfhörer werden mit sehr ähnlichen Aufklebern geliefert, mit denen dein Nachwuchs die Kopfhörer verschönern kann. Die Buchstaben-Kleber des JVC scheinen mir pädagogisch wertvoller als die Marken-Logos von JBL.
Beide Kopfhörer sind laut Hersteller auf eine Lautstärke von 85 dB begrenzt. Dies soll empfindliche Ohren schützen. Doch in diesem Beitrag über die Bedeutung für Lärm bei Kindern steht, dass schreiende Babys bis zu 120 Dezibel schaffen. Das ist extrem laut. Sind Kinderohren wirklich empfindlicher?
Von einer Pädaudiologin erfahre ich, dass der kleinere Gehörgang des Kindes eine Rolle spielt. Je kleiner der Gehörgang, desto mehr Schall gelangt vom Ohreingang zum Trommelfell. Die Belastung ist also am Trommelfell bei einem Kind höher. Zu bedenken ist auch, dass sich bei einem Kopfhörer die Lärmquelle direkt am Ohr befindet. Bei In-Ear-Kopfhörern sogar im Ohr (ja, auch das gibts speziell für Kinder). Ein Lautstärkeschutz ist also durchaus sinnvoll.
Wie ich beim Ausprobieren jedoch feststelle, wird bei meinen Testkopfhörern die Lautstärke nicht wirklich bei 85 dB gekappt. Der Lautstärkeschutz macht einfach alles leiser. Eine sehr leise Tonquelle kann deshalb auch auf höchster Lautstärke zu leise sein. Umgekehrt kann ich mit meiner Stereoanlage auch die Kinderkopfhörer problemlos auf einen ungesunden Pegel bringen. Und meine Anlage ist nicht einmal besonders potent. Die Begrenzung von 85 dB gilt somit nur für mobile Geräte, die keine allzu hohe Ausgangsleistung erbringen.
Auf der Produkt-Website von JVC steht: «* Max. Wiedergabelautstärke von 85 dB kann bei sehr hohem Pegel der Signalquelle überschritten werden.» Auf diesen Umstand wird aber nur klein hingewiesen, während «lautstärkebegrenzt» ganz gross auf der Packung steht. JBL weist überhaupt nicht darauf hin, dass der Grenzwert überschritten werden kann.
Kinderkopfhörer sind im Durchschnitt viel günstiger als Erwachsenenmodelle. Das hat wohl damit zu tun, dass Kinder diese Dinger noch schneller kaputt kriegen als Erwachsene. Oder zumindest denken die Eltern das. Oder zumindest denken die Hersteller, dass die Eltern denken, dass dem so ist. Übrigens macht mir das JVC-Modell einen stabileren Eindruck.
Die Soundqualität erscheint mir beim JBL dafür deutlich besser. Gemessen am Preis klingen beide okay. Von einem hochwertigen Erwachsenenkopfhörer sind sie aber weit entfernt. Eigentlich verkehrte Welt: Kinder hören besser.
Die Kabel sind sehr kurz: Bei JVC 80 cm und bei JBL einen Meter. Dies soll kindergerecht sein, mir leuchtet das nicht ein. Vielleicht reden die Hersteller hier nur eine Sparmassnahme schön. Aber das Problem lässt sich leicht beheben: Verlängerungskabel gleich mitbestellen oder die Bluetooth-Version nehmen.
Kinderkopfhörer haben ihre Berechtigung. Die geringere Grösse ist gut und richtig. Ebenso, dass empfindliche Kinderohren geschützt werden sollen. Aber: Der Lautstärkeschutz greift nur bei mobilen Playern. Bei kräftigen Stereoanlagen darfst du das Kind nicht einfach sich selbst überlassen, im Glauben, der Kopfhörer regle alles. Die Hersteller sollten viel deutlicher auf diesen Umstand hinweisen.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.