
Hintergrund
Zu Besuch beim Hersteller der Digitec-Charger
von Simon Balissat
Das Plus in der oberen rechten Ecke des OnePlus-Logos sieht einem Schweizerkreuz vielleicht zum Verwechseln ähnlich. Ob dem jetzt so ist, oder nicht, lässt sich auch nach langer Recherche nicht sagen. Denn die Antwort ist stets «Im Prinzip ja, aber...»
«Sieh dir das mal an», sage ich zu Videoproduzentin Stephanie Tresch während sie die Kamera drehbereit einstellt, «das ist total wirr.»
Ich sehe mir gerade die Specs des neuen OnePlus 6T an, das in wenigen Wochen auf den Markt kommt. Stephanie blickt mich an und sagt: «Ich lass die Kamera einfach mal laufen.»
«Von mir aus. Die Sache ist die: OnePlus muss unter Umständen, höchstwahrscheinlich, einen Kleber auf jede Packung des OnePlus 6T machen. Aber nur in der Schweiz.»
«Das ist ja absurd», sagt sie.
Im Prinzip hat sie Recht. Die ganze Posse um das kleine Kreuz wirkt absurd, ist aber klar geregelt. Daher: schauen wir uns das mal an.
Das Logo auf der Packung eines OnePlus 6T sieht so aus:
Das Problem:
Das geht dem eidgenössischen Institut für geistiges Eigentum (IGE) und/oder einem Kläger und/oder einem Richter unter Umständen zu weit. Eventuell. Denn so klar ist die Situation nicht. Daher bleibt OnePlus zwei Möglichkeiten:
Die Wahl des Konzerns dürfte klar sein: Kleber.
Dass das aber der chinesische Konzern nicht selbst macht, versteht sich von selbst. Denn wenn die sieben Millionen Eigenbrötler in der Schweiz Kleber auf ihren Handy-Verpackungen wollen, dann sollen sie auch selbst dafür sorgen.
Seit dem 1. Januar 2017 gilt in der Schweiz das sogenannte Gesetz über die Swissness. Hinter dem Begriff «Swissness» versteckt sich eine Serie von gesetzlichen Vorgaben, die die Verwendung von Schweizer Ikonografie vorgibt. Das war anno vergangenes Jahr mehr oder weniger heiss diskutiertes Thema in der Presse.
Als Beispiel: Der Schweizer Topf- und Pfannenhersteller Kuhn Rikon musste 300 000 Franken ausgeben, damit seine Produkte und Werbemittel mit dem neuen Gesetz compliant sind.
Das trifft jetzt auch OnePlus, erst recht weil es sich nicht um einen Schweizer Traditionsbetrieb handelt, dessen «Verwaltungsrat aus Eidgenossinnen und Eidgenossen» besteht.
Als besonderes Bijou der absurden Interpretationsmöglichkeiten ist auf der Website des IGE die Auflistung von Fragen und Antworten zum Thema Verwendung von Schweizer Ikonografie. Auf der Seite mit dem Titel «Schweizerkreuz und Schweizerwappen» wird erläutert, welche Produkte und Dienstleistungen mit einem Schweizerkreuz bedacht werden dürfen und welche nicht. Klar ist, wenn die Schweiz als Produktionsland des Produkts oder der Dienstleistung hergehalten hat, dann gibt’s kein Problem. Wenn es gegen die guten Sitten verstösst, dann schon.
Besonders schmunzeln müssen wir im digitec-Studio aber bei folgender Frage:
Darf das Schweizerkreuz verwendet werden?
Erinnerungen an «Radio Eriwan» werden bei der Antwort wach. Die Witze um den fiktiven Radiosender in der armenischen Hauptstadt zu Zeiten des Kommunismus und des kalten Krieges funktionieren immer nach dem gleichen Schema. Ein fiktiver Zuhörer stellt eine unschuldige Frage, wie zum Beispiel «Darf das Schweizerkreuz verwendet werden?» und das Politbüro von Radio Eriwan antwortet mit «Im Prinzip ja, aber...» und «Im Prinzip nein, aber...».
So geschehen auch beim IGE: Im Prinzip ja, aber…
Ja.
Das neue Gesetz sieht vor, dass das Schweizerkreuz nicht nur – wie bisher – für Schweizer Dienstleistungen, sondern neu auch auf Schweizer Waren gebraucht werden darf. Künftig darf also das marketingmässig wertvollste Herkunftszeichen – das Schweizerkreuz – geschäftsmässig auch auf Produkten oder auf der Verpackung von Produkten angebracht werden. Das Schweizerkreuz auf einem Produkt oder im Zusammenhang mit einer Dienstleistung wird grundsätzlich als geografischer Hinweis auf diese Produkte oder Dienstleistungen aufgefasst. Voraussetzung dafür ist, dass die Produkte die Swissness-Kriterien erfüllen.
Wird das Schweizerkreuz von den Konsumenten nicht als Hinweis auf die geografische Herkunft des Produktes wahrgenommen – zum Beispiel ein rotes T-Shirt mit einem grossen weissen Kreuz als Motiv, ein roter Ballon mit einem weissen Kreuz oder ein roter Regenschirm mit weissen Kreuzen – ist dies ein dekorativer Gebrauch und die Swissness-Kriterien müssen nicht erfüllt werden.
Ob das Schweizerkreuz als Herkunftsangabe verstanden wird oder nicht, ist im Einzelfall aus der Sicht des angesprochenen Publikums zu beurteilen. Massgeblich ist dabei, ob das Schweizerkreuz konkret bestimmte Erwartungen in Bezug auf die geografische Herkunft der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen hervorruft.
Dagegen darf das Schweizerwappen – das heisst das Schweizerkreuz in einem (wappenähnlichen) Schild – nur noch von der Eidgenossenschaft gebraucht werden. Von diesem Verbot gibt es jedoch Ausnahmen.
Die Kurzfassung, ob jetzt einfach jeder das Schweizerkreuz benutzen darf:
Damit hat das IGE aber noch nicht genug. Denn der beinahe satirisch wirkende Vorschriftenkatalog geht weiter. Auf derselben Seite definiert das IGE, wie ein Schweizerkreuz aussieht.
Werden Farben und Masse des Schweizerkreuzes und der Schweizerfahne definiert?
Das kommt aus der Heraldik, denn jede Fahne der Welt, zumindest die älteren, haben eine fast schon absurd anmutende detaillierte Beschreibung. Da die Schweizer international aber als «Tüpflischiisser» extraordinaire gelten, macht das auch vor der Beschreibung eines simplen Kreuzes nicht halt.
Ja.
Das Schweizerkreuz ist ein im roten Feld aufrechtes, freistehendes weisses Kreuz, dessen unter sich gleiche Arme je einen Sechstel länger als breit sind. Die genauen Masse der Schweizer Fahne sowie das Grössenverhältnis zwischen dem Kreuz und dem quadratischen Feld werden in einem Anhang zum Gesetz geregelt. Die Farbe «Rot» der Fahne wird ebenfalls definiert. Die Definition entspricht den Angaben im Handbuch «Corporate Design der Schweizerischen Bundesverwaltung», das von der Bundeskanzlei herausgegeben wird (vgl. Webseite der Fachstelle CD Bund). Aus praktischen Gründen wurde die Definition durch weitere zeitgemässe Farbangaben ergänzt, welche häufig verwendet werden.
Jedermann, der berechtigt ist das Schweizerkreuz zu gebrauchen, darf es in dieser Form oder wie bisher auch in einer abgeänderten Form brauchen. So kann beispielsweise das Kreuz in anderen Grössenverhältnissen oder in Verbindung mit anderen grafischen Elementen verwendet werden. Es besteht keine Verpflichtung, das Schweizerkreuz nur in dieser definierten Form zu verwenden.
So darf also Schweiz Tourismus das Schweizerkreuz weiterhin in Form eines Edelweisses gebrauchen.
Der Link zum «Corporate Design des Bundes» wirft aber einen Fehler 404 – Seite nicht gefunden – auf. Vielleicht ist in Bundesbern jemandem aufgefallen, dass ein Nationalstaat allenfalls einen besseren Namen als «Corporate Design» verwenden sollte. Oder eben auch nicht. Via Volltextsuche findest du schnell eine Seite, die weitere Definitionen ausspuckt. Das PDF auf der Seite ist aktuell in der Version 8.1 und definiert im Kapitel 1.4 unter anderem «rot».
Kurz: Deine Kinder zeichnen ihren Patriotismus mit ihren Filzstiften und Neocolor-Stiften falsch.
Die Rückseite von Lucies Zeichnung kannst du dir übrigens auch ansehen, denn da lässt sie uns noch eine Botschaft.
Doch wenn du eine Marke besitzt oder geschaffen hast, dann darfst du das Schweizerkreuz als Bestandteil des Designs deiner Marke verwenden.
Kann man das Schweizerkreuz als Bestandteil einer Marke eintragen lassen?
Simple Frage, aber die Antwort gleicht wieder einem Witz aus Zeiten des eisernen Vorhangs: «Im Prinzip ja, aber...»:
Ja.
Das Schweizerkreuz gehört jedoch zum Gemeingut, das heisst, es muss allen Marktteilnehmern zur Verfügung stehen. Es darf folglich nicht der einzige Bestandteil der Marke sein. Das Schweizerkreuz muss mit mindestens einem anderen schutzfähigen Wort- oder Bildelement kombiniert werden, damit die Marke als Ganzes schutzfähig ist und registriert werden kann. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer kombinierten Marke.
Da das Schweizerkreuz ausserdem nicht über die geografische Herkunft täuschen darf, kann eine Marke mit Schweizerkreuz nur für Schweizer Waren und Dienstleistungen eingetragen werden. Weitere Informationen dazu finden Sie in unseren Richtlinien in Markensachen, Teil 4, Ziffer 8.6.
Die Schweizerische Eidgenossenschaft und ihre Unternehmen können das Wappen als Bestandteil einer Marke eintragen lassen.
Wird vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes für Waren eine Marke hinterlegt, die als Bestandteil das Schweizerkreuz enthält, müsste diese nach dem noch geltenden Recht zurückgewiesen werden. Ist aber der Hinterleger dieser Marke einverstanden, dass als Tag der Hinterlegung der Tag des Inkrafttretens des neuen Gesetzes gelten soll, so kann das Gesuch unter dem neuen Recht geprüft werden. Das IGE wird solche Gesuche ab dem Tag entgegennehmen, an dem der Bundesrat die Inkraftsetzung des Wappenschutzgesetzes beschliesst. Vorher hinterlegte Gesuche werden nach altem Recht beurteilt und zurückgewiesen.
Bis in etwa der Hälfte dieser Eriwan'schen Antwort klingt das für OnePlus alles noch recht okay, denn das Logo des chinesischen Phone-Herstellers hat andere Elemente, hat ein anderes Rot (HEX #eb0028) und macht im Prinzip alles richtig um als «kombinierte Marke» zu gelten. Ausser halt, dass die Phones aus China kommen.
Sprich: Kein Schweizerkreuz für OnePlus. Oder doch?
Ein Anruf beim IGE zeigt, dass der Fall dann doch nicht ganz so klar ist. Denn die Sache ist laut IGE die: Wenn der Betrachter erwartet, dass da ein Schweizer Produkt in der Verpackung ist, und dann ein chinesisches aus der Packung zieht, dann könnte ein Verstoss gegen das Markenrecht vorliegen. Aber auch nur dann, wenn ein potenziell Geschädigter klagt. Dies, übrigens, kann der potenziell Geschädigte überall dort tun, wo digitec in der Schweiz verkauft. Also überall.
Abschliessend aber lasse sich das nicht einfach so sagen, heisst es weiter. Wenn sich OnePlus als Marke eintragen lassen wolle, dann müsste der Konzern die Phones in der Schweiz herstellen. Es sei zwar mehr oder weniger Allgemeinwissen, dass in der Schweiz keine Smartphones hergestellt werden, aber dennoch bestehe die Möglichkeit, dass sich da jemand irregeführt fühlen könnte.
Selbst wenn ein in die Irre Geführter dann Klage erhebt, ist es immer noch nicht gegeben, dass OnePlus abgestraft wird. Denn das entscheidet ein Richter in seinem eigenen Ermessen. Es ist also gut möglich, dass eine Frau aus Bern Bethlehem findet, dass da ein Schweizer Phone in der Packung zu sein hat, der Richter in Bern aber meint «Gute Frau, Sie liegen falsch»,sie nach Hause schickt und OnePlus keinen Schaden davonträgt.
Aber wenn OnePlus auf Nummer sicher gehen will, dass die Frau aus Bern Bethlehem sich sicher nicht echauffieren kann, dann gibt es halt nur eines: Kleber. Oder halt eine andere Packung, denn nichts an dieser Geschichte darf einen klaren Ausgang haben.
Und weil die Sache noch nicht komplex genug ist, hier noch ein kleines Bitzli Extraverwirrung: Theoretisch könnte OnePlus im Falle der Frau aus Bern Bethlehem versuchen zu argumentieren, dass der Verkauf des chinesischen Phones in der Schweiz, also die Dienstleistung des Verkaufs, eine Schweizer Dienstleistung sei. Daher sei das Schweizerkreuz, das unter Umständen gar keines sein könnte, auf der Verpackung gerechtfertigt. Auch da müsste ein Richter entscheiden.
Was bleibt, sind wir. Denn in ein paar Wochen werden wir unsere OnePlus 6Ts auspacken. Du wahrscheinlich vor mir, oder knapp gleichzeitig. Daher eine Bitte: Wenn du dein OnePlus 6T auspackst, check doch schnell, ob da ein Kleber über dem Logo ist und schick mir ein Foto davon.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.