Hintergrund

John Deere an der CES: Chris gegen das Unkraut und Farmer als Hacker

Agrarkonzerne nutzen Neural Networks, um die Unkrautvernichtung möglichst effizient und ungefährlich zu gestalten. Doch die Farmer fürchten um ihr Überleben, denn ein softwaregetriebener Traktor bringt die selben Probleme mit sich wie ein iPhone.

Städter sind ein merkwürdiges Volk. Alle reden von organischem Essen und «urban gardening» und so, aber die Landwirtschaft schaut keiner an. Ein paar Hinterwäldler auf Traktoren, die SVP wählen und Chüeli-Gurt tragen. An der CES in Las Vegas überrascht im selben Gedanken die Anwesenheit des Landmaschinenkonzerns John Deere. Doch eine Frage – «was ist das?» – führt zu einer der spannendsten Stories an der CES.

Die Traktoren aus dem Hause John Deere sind immer grün
Die Traktoren aus dem Hause John Deere sind immer grün

Denn die CES ist nicht einfach nur eine fröhliche Produktschau, an der du siehst, was in ein paar Wochen oder Monaten auf dem Markt ist. Es werden Ideen ausgetauscht, Konzepte gezeigt und die Firmen können für einmal so richtig angeben mit ihren neuesten Errungenschaften. Meist stehen an den Ständen PR-Leute herum, die ein paar Sätze zu ihrem Produkt auswendig gelernt haben. Nicht so Chris Padwick. Der grossgewachsene und breite Mann ist Team Leader Deep Learning bei Blue River Technology, einer Tochterfirma John Deeres.

Er und sein Team haben es innerhalb von zwei Jahren geschafft, den Verbrauch von Herbiziden auf den Feldern um 40-60 Prozent zu senken. Ihr Ziel: 70-90%. «Ein Farmer in den USA gibt im Jahr etwa 150 000 Dollar für Unkrautvernichtungsmittel aus», sagt er, «wenn wir davon 90 Prozent sparen können...»

Und wo sie schon mal dabei waren, haben sie das Problem mit dem Wind und der wetterbedingten Zeitverschwendung gelöst.

Zwei Kameras und viel künstliche Intelligenz

Neben Chris ist ein blaues Gerüst mit einer weissen Kiste in der Mitte und einer Art Spritzvorrichtung unten. Die Spritzvorrichtung ist nur der Nachgedanke der Arbeit, die Chris und sein Team geleistet haben. Die weisse Kiste ist der spannende Part.

Darin schlummern zwei Grafikkarten, die dazu genutzt werden, Neural Networks zu betreiben. In der Kiste sind zwei Kameras. Beide werden auf eine Reihe Erntegut ausgerichtet. Die erste Kamera analysiert, was sie sieht und trennt so Unkraut von Erntegut. Chris beginnt zu reden, wird immer schneller. Er ist in seinem Element.

«In den USA haben wir grosse Probleme mit Amaranthus palmeri, kurz Pigweed», sagt er.

Das Gewächs macht Farmern das Leben schwer. Nicht nur hat das Unkraut in den 2000er-Jahren eine Resistenz gegen den Unkrautvernichter Glyphosat entwickelt, es sieht während einer gewissen Wachstumsstufe einer Baumwollpflanze auch noch zum verwechseln ähnlich. Als ob das noch nicht reichen würde: Amaranthus palmeri vermehrt sich stark und schnell. Baumwoll-Farmer wollen ihre Baumwolle möglichst rein ernten und gleichzeitig möglichst wenig Unkrautvernichter einsetzen. Denn niemand mag Unkrautvernichter. Farmer nicht, da sie Geld kosten. Konsumenten nicht, da sie allenfalls Nebenwirkungen haben können.

Die vordere Kamera in der weissen Kiste sieht sich also jede Pflanze einzeln an, analysiert sie und sieht «Yup, das ist Amaranthus palmeri» und weist die Düse mit dem Herbizid an, genau diesen Punkt zu besprühen. Die hintere Kamera nach der Düse überprüft die Zielgenauigkeit und Effektivität des Sprühens und passt die Konfiguration der Düse an.

«Pflanzen zu erkennen ist wesentlich schwieriger als einen Hund von einer Katze zu unterscheiden», sagt Chris.

Daher sei die Cloud die beste Lösung, möglichst viel Unkraut in möglichst vielen Variationen zu erkennen. Das Bildmaterial der Kameras wird also in die Cloud John Deeres geladen, dort mit anderen Bildern abgeglichen und so lernt das Netzwerk der Sprühanlagen immer besser, wie Amaranthus palmeri aussieht.

Die Technologie ist seit zwei Jahren im Einsatz, ist aber noch lange nicht angekommen. Nebst Amaranthus palmeri erkennt das Sprühsystem eine Vielzahl Unkräuter, zählt diese und errechnet, wie viel Herbizid der Farmer laden muss, damit alles erwischt wird. Zudem schaut das «See and Spray» genannte System, ob da neues oder noch unerkanntes Unkraut wuchert.

Der Kampf gegen die Gezeiten

Nur mit dem Erkennen eines Unkrauts wie Amaranthus palmeri ist die Arbeit noch nicht getan. Der Wind und andere Wetterbedingungen machen den Farmern das Leben und das Sprühen schwer. Denn die Sprühanlagen haben zwar eine Vielzahl an Düsen verbaut, diese müssen aber manuell gewechselt werden. In der breitesten Konfiguration sind bis zu 97 Düsen links und rechts – also insgesamt 194 Düsen – gleichzeitig im Einsatz. Wenn der Wind umschlägt, dann muss ein Farmer seinen Traktor anhalten und jede Düse einzeln neu justieren.

Das ist Zeitverschwendung.

Hier sind die Mechanical Engineers John Deeres gefragt. Denn die Sensoren, die den Wind messen, sind schon lange bekannt. Wetterstationen können den Wind sogar vorhersagen. Diese Daten werden im Bordcomputer des Traktors verarbeitet. Wenn die Sensoren des Traktors Wind feststellen, dann passt die Sprühanlage die Düse an und den Druck, mit dem Dünger oder Unkrautvernichter gesprüht wird, an. Damit verhindert das System eine Art Wolke um den Sprühbalken, spart Sprühmittel und verhindert so weit möglich Kontamination.

Kurz: Nichts da von wegen Hinterwäldler auf Traktor. Die Technologie im Einsatz in Traktoren macht der in Smartphones und Autos Konkurrenz.

Die Hinterwäldler werden zu Hackern und Aktivisten für dein Recht

So grossartig all das auch klingt, John Deere hat sich im Jahre 2017 harscher Kritik gegenübergesehen. Die Geschäftspraktiken des Herstellers seien vor allem in Hinblick auf neue Technologien zu restriktiv und sabotieren Farmer. Das Nachrichtenmagazin Vice berichtet von Farmern, die ihre Traktoren mit gehackter Software aus Osteuropa nachrüsten.

Den Grund kennen wir alle aus der Smartphone- und Laptop-Szene: Das Right to Repair und seine Folgen. Da Technologie in der heutigen Welt als ersetzbar gilt und ein Replacement oft günstiger kommt als eine Reparatur – es lohnt sich immer, im Vorfeld einer Bildschirmreparatur an einem Handy die Rechnung «reparieren oder neu?» zu machen – ist die Hardware nicht mehr das kostbarste und bestgehütetste Gut an einer Maschine. Das Geld wird mit der Software gemacht. Wenn diese spuckt, dann hilft oft nur der Gang zum Experten. Bei «Tractor as a Service» ist das nicht anders.

Da ein Traktor aber recht schwer und gross ist, die Distanzen zum Experten auch, ist es oft schier unmöglich einen Traktor in nützlicher Frist softwareseitig zu reparieren. Den Farmern gefällt das nicht, denn sie arbeiten mit dem Zeitplan der Erntezeit. Daher ist ihnen das Recht zugesprochen worden, ihre Traktoren zu Reparaturzwecken zu hacken. John Deere hat umgehend reagiert und seine AGB entsprechend angepasst, dass das wieder nicht okay ist.

Was folgt ist ein rechtliches Hin und Her zum Thema Präzedenz im Right to Repair. Das Gerichtsverfahren in Nebraska wegen ein paar Traktoren hat sogar Microsoft und Apple auf den Plan gerufen. Die Grosskonzerne haben Druck auf die Initianten des «Right to Repair Act» gemacht und so die Motion auf Eis gelegt. Doch die Farmer haben nicht aufgegeben, sich Unterstützung gesucht und unter anderem von iFixit und der Electronic Frontier Foundation (EFF) bekommen.

Die jüngste Runde im Streit um das Recht, die eigenen Geräte zu reparieren, hat mit einer Abstimmung geendet: 176 zu 1 Stimmen haben sich für das Right to Repair ausgesprochen.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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