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Hilfe, die 90er sind wieder geil: Teil 1 von «Lost Records: Bloom & Rage»
Mit «Lost Records: Bloom & Rage» fängt Entwickler Dontnod das wohlig melancholische Gefühl ein, wofür ich auch «Life is Strange» geliebt habe. Leider muss ich mich jetzt zwei Monate gedulden, um ein definitives Urteil zu fällen, denn das Spiel erscheint in zwei Teilen.
Mit sechzehn gehört dir die Welt – oder so scheint es zumindest. Langsam aber sicher nabeln sich die Jugendlichen von den Eltern ab und werden erwachsen. «Coming of age» nennt sich das. Damit verbunden sind auch erste Erfolge und Misserfolge, die es alleine oder mit Freunden zu bewältigen gibt. Diese Phase zeichnet das Adventure «Lost Records: Bloom & Rage» meisterhaft – und auch den wehmütigen, erwachsenen Blick zurück auf jene Zeit. Das Spiel erzählt die Geschichte von vier Frauen als Jugendliche im Jahr 1995 und als Erwachsene 27 Jahre später.
Vielschichtige Charaktere und starke Dialoge
Ich spiele Swann, die im Jahr 2022 an den Ort zurückkehrt, der 1995 ihr Leben verändert hat. In jenem Sommer plant ihre Familie den Wegzug aus Velvet Cove, einer verschlafenen Kleinstadt im Norden der USA an der Grenze zu Kanada. Jetzt, im Jahr 2022, sitzt sie im Fahrersitz ihres Mietautos auf dem Parkplatz eines Diners in Velvet Cove und telefoniert mit ihrer Mutter. In der Konversation mit der kontrollsüchtigen Mutter wird klar, dass Swann Ereignisse aus jener Zeit verdrängt hat. Dies wird mir subtil mit einzelnen Aussagen vermittelt.
Bereits diese ersten Minuten zeigen die Stärke von «Lost Records: Bloom & Rage»: die Dialoge, welche ein schönes Bild der vielschichtigen Charaktere vermitteln. Dabei werden mir deren Charakterzüge nicht wortwörtlich um die Ohren geklatscht, sondern umschrieben. So ahne ich etwa aufgrund der Aussagen der Mutter, dass Swann ein einsames Leben führt und Zuneigung vor allem von Katzen erfährt.
![Autumn und Nora spielen zusammen in einer Band.](/im/Files/7/6/6/9/9/5/7/5/lost%20records%20automn%20and%20nora.png?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Kevin Hofer
Auch die anderen Hauptcharaktere sind nachvollziehbar. Zunächst lerne ich sie als Jugendliche im Jahr 1995 kennen. Da sind die beiden Freundinnen Nora und Autumn, die gemeinsam Musik machen. Autumn wirkt von Beginn an verletzlich, hat aber bereits eine stark ausgeprägte Persönlichkeit. Die rebellische Nora ist hingegen nur oberflächlich stark und fürchtet sich vor vielem. Furchtlos hingegen erscheint die Vierte im Bunde, die wilde Kat. Sie lebt vermeintlich nach eigenen Regeln. Sie alle vereint, dass sie Aussenseiterinnen sind, die für diesen einen magischen Sommer in den 90er-Jahren zusammengekommen sind. Selbst ich als 41-jähriger Mann gewinne die quirligen Freundinnen innerhalb weniger Spielminuten lieb und fühle mich emotional mit ihnen verbunden.
![Kat ist ein richtiger Freigeist.](/im/Files/7/6/6/9/9/6/1/6/BR_Screenshot%204.png?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Dontnod
In der Gegenwart im Jahr 2022 treffen sich die ehemaligen Freundinnen in einem Diner, weil auf der Türschwelle von Automns Elternhaus ein mysteriöses Paket abgegeben wurde. Dessen Aufschrift: «Only for Bloom & Rage. Remember 1995?». Gemeinsam wollen die mittlerweile entfremdeten Freundinnen das Paket öffnen und erinnern sich dabei an ihre Zeit als Jugendliche. So wechselt die Erzählung immer wieder zwischen 2022 und 1995. Dabei steuere ich Swann in der Vergangenheit in der 3rd-Person- und in der Gegenwart in der 1st-Person-Perspektive.
![Das Paket des Anstosses.](/im/Files/7/6/6/9/9/5/7/6/lost%20records%20automn.png?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Kevin Hofer
Im Gegensatz zu den eher klischierten Charakteren in «Life is Strange», sind auch die wenigen Nebencharaktere vielschichtig. Etwa Kats Schwester Dylan und ihr Freund Corey. Zu Beginn werden sie als Bullies bezeichnet und verhalten sich auch dementsprechend. Die beiden setzen Swann unter Druck, weil sie vermeintlich Dylan gefilmt haben soll – dabei war ihre Kamera auf einen Luftballon gerichtet. Mit der Zeit verwässert dieses Bild jedoch und ihr Verhalten wird zumindest teilweise nachvollziehbar. Das geschieht subtil durch Gesprächsfetzen der Freundinnen oder durch das Verhalten von Dylan und Corey.
![Auch die Bullies erhalten im Lauf der Geschichte Tiefe.](/im/Files/7/6/6/9/9/5/7/7/lost%20records%20bullies.png?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Kevin Hofer
Die Story des ersten Teils ist spannend erzählt und lebt von den tollen Charakteren. Die wenigen Plot-Twists zeichnen sich zwar ab und überraschen nicht übermässig, aber aufgrund des starken Casts fällt das nicht schwer ins Gewicht. Ebenso trägt das tolle Setting zum Gefühl eines magischen Sommers in den Neunzigern bei.
Die 90er waren doch irgendwie cool
«Stranger Things» hat mich mit den 80ern versöhnt, «Lost Records: Bloom & Rage» gelingt dasselbe mit den 90ern. Nie hätte ich gedacht, dass ich die 90er wieder sexy finden würde. Mit meinem 83er-Jahrgang habe ich nämlich die meisten kindlichen und jugendlichen Erinnerungen an diese Dekade – und ich mochte sie bislang nicht besonders.
![Tamagotchis gab es zwar 1995 noch nicht, trotzdem ist das Teil in Swanns Zimmer witzig.](/im/Files/7/6/6/9/9/6/2/0/lost%20records%20tamagotchi.png?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Kevin Hofer
Die Schauplätze im Spiel sind mit derart viel Liebe zum Detail gestaltet, dass ich mich wohlwollend an die 90er erinnere. In Swanns Zimmer finden sich etwa Poster zur Serie «Akte X» oder eine der damals beliebten Trollpuppen. Ihren geliebten Camcorder verstaut Swann in ihrer Gürteltasche – das modische Accessoire jener Zeit. Auf Mixtapes gibt es Klassiker von Nirvana und Co. Da vergebe ich den Entwicklern glatt, dass das Tamagotchi auf Swanns Schreibtisch 1995 noch gar nicht erfunden war, sondern erst 1996. Cool ist aber, dass ich Buzzy, wie das Teil im Spiel genannt wird, füttern oder streicheln kann.
![Der Camcorder ist Swanns ein und alles.](/im/Files/7/6/6/9/9/6/1/8/lost%20records%20kamera.png?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Kevin Hofer
Aber auch das Diner im 2022 ist super gestaltet. Am Eingang begrüssen mich etwa medizinische Gesichtsmasken und Desinfektionsmittel, die 2022 noch alltäglicher waren als heute. Das schwarze Brett darüber informiert mich über Aktuelles in Velvet Cove. Über das Radio höre ich Songs, die Swann direkt ins Jahr 1995 zurückversetzen.
Trotz des tollen Settings bleibt für mich ein Wermutstropfen: die Performance.
Hohe Leistungsanforderungen und Pop-ins
Ich mag den Artstyle der Dontnod-Spiele. Die Games sind aber nicht gerade für ihre grafische Pracht bekannt. Auch «Lost Records: Bloom & Rage» ändert daran nichts. Umso erstaunlicher ist, wie viele Ressourcen das Spiel benötigt.
Auf meinem PC mit Ryzen 7 5800X3D und einer Radeon RX 6800 XT läuft es in 1440p-Auflösung und maximalen Details gerade mal mit durchschnittlich 40 Bildern pro Sekunde. Zwischendurch sind es gar unter 30. Auf dem Steam Deck sind es bei nativer Auflösung und tiefsten Einstellung meist nicht einmal 30 Bilder pro Sekunde. Kollege Phil erreicht in 4K-Auflösung mit einer RTX 4090 und DLSS-Upscaling zwar 70 Bilder pro Sekunde, das erscheint mir aber gar wenig für die Art Spiel und deren Zielgruppe. Wie das Spiel auf PS5 oder Xbox Series läuft, kann ich aber nicht beurteilen. Zu den enormen Leistungsanforderungen gesellen sich auch noch regelmässige Pop-ins. Insgesamt erscheint mir das Spiel noch zu wenig optimiert, obwohl Dontnod verspricht, das auf den Launch am 18. Februar zu verbessern.
![Der Artstyle gefällt mir, der Leistungshunger weniger: «Lost Records: Bloom & Rage» verlangt meinem PC einiges ab.](/im/Files/7/6/6/9/9/6/1/9/lost%20records%20performance.png?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Kevin Hofer
Zudem habe ich mich nach den Trailern darüber gefreut, dass die Lippen zumindest in der englischsprachigen Fassung endlich synchron sind. Das ist aber doch nicht der Fall, was manchmal seltsam wirkt. Und auch sonst wirken die Bewegungen der Heldinnen zwischendurch ungelenk und hölzern.
Das ist schade, weil mir der Artstyle eigentlich gefällt. Hervorzuheben ist der wie immer erstklassige Soundtrack bei Dontnod-Spielen und die gelungene Sprachausgabe in Englisch. Ich mag die Stimmen der Hauptcharaktere. Einzig die von Corey überzeugt mich nicht, da er zu theatralisch spricht. Weil er aber nicht allzu häufig vorkommt, fällt das nicht schwer ins Gewicht.
Beim Gameplay gibt es keine Revolution
Wie auch «Life is Strange» bietet «Lost Records: Bloom & Rage» wenig Gameplay-Elemente. Im Gegensatz zu Ersterem verfügt Swann nicht einmal über übernatürliche Kräfte – dafür hat sie ihre Kamera, die sie jederzeit auspacken kann. Damit filme ich nicht nur storyrelevante Dinge, sondern ich kann auch Tiere und Landschaften einfangen und daraus kurze Clips schneiden. Das ist zwar witzig, aber optional.
![Aus dem gefilmten Material kann ich kurze Clips erstellen.](/im/Files/7/6/6/9/9/6/1/7/lost%20records%20kamera%20optionen.png?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Kevin Hofer
Sonst beschränken sich meine Interaktionsmöglichkeiten auf das Untersuchen von Gegenständen und die verschiedene Dialogoptionen. Neue Optionen gewinne ich hinzu, indem ich mich etwa umschaue und dann spezifisch auf den Gegenstand Fragen stelle. Häufig muss ich innerhalb eines Zeitfensters eine Option auswählen, ich kann aber auch entscheiden, gar nichts zu sagen. Je nach Antwort oder Frage verändert sich die Beziehung zu meinen Freundinnen – in der Vergangenheit und der Gegenwart.
Hier revolutioniert das Spiel die üblichen Handlungsoptionen eines Adventures nicht. Cool ist jedoch, dass ich bei längeren Szenen mit Musik, wie sie in «Life is Strange» auch vorkommen, verschiedene Dinge machen kann. So kann ich etwa kreischen oder eine Pusteblume blasen.
Vorläufiges Fazit: Für Adventure-Fans ein Muss
Der erste Teil von «Lost Records: Bloom & Rage» überzeugt mit tollen Charakteren, einer spannenden Geschichte, coolem Artstyle und eingängigem Soundtrack. Dem Spiel gelingt auch etwas, was ich nie zu träumen gewagt hätte: Ich mag die 90er wieder. Schon nur deshalb ist es Pflichtstoff für alle Genrefans.
![«Lost Records: Bloom & Rage» bietet eine geile Atmosphäre.](/im/Files/7/6/6/9/9/6/1/5/BR_Screenshot%202.png?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Dontnod
Gameplaytechnisch macht das Spiel wenig neu, was Adventure-Fans aber kaum abschrecken wird. Alle, die das Spiel auf dem PC zocken, könnten jedoch von den hohen Leistungsanforderungen abgehalten werden. Die teils hölzernen Animationen und diverse Pop-ins sind weitere negative Punkte.
Am nervigsten finde ich persönlich, dass ich jetzt zwei Monate auf Teil 2 warten muss. Bis dann muss ich nämlich den ersten Teil bestimmt ein weiteres Mal zocken, damit ich wieder in die Geschichte hereinkomme. Ich würde dir deshalb empfehlen, noch bis am 15. April auf Teil 2 zu warten.
«Lost Records: Bloom & Rage» ist ab dem 18. Februar für Playstation 5, Xbox Series X/S und PC erhältlich. Das Spiel wurde mir von Dontnod für den PC zur Verfügung gestellt.
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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.