Hintergrund

«Game of Thrones»: Cersei Lannister und die Geschichte, die sich wiederholt

Spoilerwarnung für jene, welche die 7. Staffel nicht gesehen haben. Wenn Cersei Lannister in «Game of Thrones» dem Wahnsinn verfällt, dann erinnert das an Aerys Targaryen – dem Irren König. Auch seine Regentschaft hat vielversprechend begonnen. Dann brennt die Welt.

Cersei Lannisters Blick schweift über King’s Landing. In der Hand ein gut gefülltes Weinglas. Die Aussicht vom Balkon ihrer Gemächer ist atemberaubend: Von hier aus kann sie gar bis zu Baelors Septe sehen, dem Sitz der Kirche Westeros, das seit über 100 Jahren als grösstes Bauwerk der Hauptstadt gilt.

In Gedanken fragt sich Cersei, wie die Geschichte ihrer gedenken wird. Vermutlich als die bastardzeugende Irre, die mit ihrem Bruder geschlafen hat und Kinder auf den Thron setzte, die kein Anrecht darauf haben, weil sie von ihrem Bruder abstammen. Nein. Das würde sie nicht zulassen. Jeder, der solche Gerüchte in die Welt setzt, soll brennen. Sogar dann, wenn sie wahr sind. Aber das ist egal. Cersei weiss: Die Geschichte wird von der Seite des Gewinners geschrieben. Immer. Denn das Spiel der Throne gewinnt man – oder man stirbt.

Dann das Beben. Kurz darauf die Explosion. Eine grüne Wolke. Sie besteht aus Feuer so heiss, dass es selbst Fleisch und Stein zu Asche verwandelt. Deshalb wird es Wildfire genannt – Drachenfeuer. Und wo einst die Septe gestanden hat, ist jetzt nur noch Schutt und Asche.

Die Königin nippt an ihrem Weinglas. Ein Lächeln umschmeichelt ihre Lippen. Ihre Feinde waren in der Septe. Sie wollten ihr dort den Prozess machen. Die Kirche, die Familie Tyrell, ihr Onkel, das Volk – sie alle. Aber jetzt sind diese Narren tot. Und ihre falschen Geschichten mit ihnen.

Cersei hat nicht vor, das Spiel der Throne zu verlieren.

Eine Kindheit ohne Vater und Mutter

Cersei kommt als Tochter Tywin Lannisters und ältere Zwillingsschwester Jaimes zur Welt. Wenig später folgt der kleinwüchsige Tyrion, bei dessen Geburt ihre Mutter stirbt. Es ist der Tag, der Cerseis Hass auf Tyrion begründet. Sie ist gerade mal vier Jahre alt.

Weil ihr Vater gleichzeitig unter Aerys Targaryen als Hand in King’s Landing dient – der besten, die es je gegeben hat, so die Meinung im Volke –, wachsen Cersei und ihre Geschwister meist elternlos in Casterly Rock auf, dem Sitz des Hauses Lannister. Obwohl Cersei und ihr Zwillingsbruder Jaime sich in Kinderjahren aufs Haar gleichen, werden sie entsprechend ihres Geschlechts erzogen: Cersei als Lady, und Jaime als Ritter und Erbe Casterly Rocks. Etwas, das Cersei nie begreifen wird. Denn sie sieht sich und ihren Bruder als gleichwertig.

Cersei Lannister trägt seit dem Tod ihrer Kinder nur noch Schwarz
Cersei Lannister trägt seit dem Tod ihrer Kinder nur noch Schwarz
Quelle: David Benzal

Während ihrer Jugend beginnt die inzestuöse Beziehung zwischen ihr und Jaime. Ein Frevel in der Welt von «Game of Thrones», das sie und Jaime geheim halten müssen. Die junge Lannister-Tochter wird nie nachvollziehen können, wieso.

Die Targaryens verheirateten seit 300 Jahren Bruder mit Schwester, um das Blut rein zu halten. Jaime und ich sind mehr als Bruder und Schwester. Wir teilten uns den Mutterschoss. Wir gehören zueinander.
Cersei Lannister zu Eddard Stark, Staffel 1

Im Alter von 15 Jahren begegnet sie Maggy the Frog. Einer mysteriösen Frau, die von den Menschen, die in und um Casterly Rock leben, bloss die Moorhexe genannt wird. Wegen ihres muffigen Erscheinungsbilds. Und ihrer zweifelhaften Fähigkeit, die Zukunft vorherzusagen.

«Alle Menschen wollen ihre Zukunft kennen, bis sie dann ihre Zukunft kennen», so die Moorhexe. Cersei will sie dennoch wissen, und erfährt Dinge, die ihr Leben bestimmen werden.

Die Vorhersagen der Moorhexe

Drei Fragen darf die 15-jährige Cersei stellen. Auf die Frage, ob sie den Prinzen heiraten wird, antwortet Maggy, dass sie nicht den Prinzen, sondern den König heiraten wird. Als Cersei fragt, ob sie also Königin sein wird, bejaht Maggy, bis eine jüngere, schönere Frau sie ersetzen würde. Als Letztes fragt Cersei, ob sie und der König Kinder haben würden. Die Moorhexe verneint. Jedenfalls nicht miteinander, denn der König wird zwanzig Kinder haben, und sie deren drei. Golden würden die Kronen Cerseis Kinder sein, und golden ihre Leichentücher.

Es sind diese Vorhersagen und die Versuche, zu verhindern, dass sie eintreffen, die viele von Cerseis Taten bestimmen. Die Konsolidierung ihrer Machtstellung am Hofe, die Missgunst Robert Baratheon gegenüber, ihrem späteren Ehemann und König über die sieben Königslande, und der bemutternde Beschützerinstinkt für ihre drei Kinder: Joffrey, Myrcella und Tommen.

Aber die Weissagungen Maggy the Frogs sind nicht aufzuhalten. Joffrey wird an seiner eigenen Hochzeit vergiftet. Myrcella wird in einem Racheakt der dornischen Ellaria Sand als Reaktion auf den Tod ihres Geliebten Oberyn Martells getötet. Und Tommen begeht Selbstmord, nachdem seine Frau Margaery Tyrell bei der Explosion in Baelors Septe ums Leben kommt.

Cersei ist schon vorher am Rande des Wahnsinn gewandelt. Aber falls es je ein Funken Menschlichkeit in ihr gegeben hat, dann ist er mit ihren Kindern gestorben. Und das Loch, das sie hinterlassen, das füllt Cersei mit einem alten Vertrauten.

Hass.

Die Geschichte, die sich wiederholt

Cersei Lannisters Wahn erinnert stark an Aerys Targaryen, dem Mad King – dem Irren König. Er war der Letzte der Targaryen-Dynastie, die über 250 Jahre lang über die Reiche Westeros bestimmt hat.

Einst ist es der Mad King gewesen, der Menschen bei lebendigem Leib verbrannte. Wer genau hinhört, so erzählt man sich zu Hofe, kann noch heute in den Hallen des Red Keeps sein wahnsinniges Gelächter hören. Ein Gelächter, das Aerys immer dann ausstiess, wenn sich das verbrannte Fleisch seiner Opfer qualvoll von den Knochen geschält hat und ihre Augen aus den Augenhöhlen geschmolzen sind.

Aerys Targaryen, der Mad King
Aerys Targaryen, der Mad King

Einst war Aerys selbst Geisel. In einem Konflikt, der als «Defiance of Duskendale» bekannt ist. Vom Lord von Duskendale wurde er festgehalten, misshandelt, geprügelt und gedemütigt. In einer waghalsigen Rettungsaktion gelang es Ser Barristan Selmy den damals noch nicht irren König zu retten. Aber der Verrat hinterliess Spuren: Paranoia und ein brodelnder Hass auf die Welt. Einen Hass, den Cersei nur zu gut kennt.

Den Hass auf ihren Bruder Tyrion, der ihr die Mutter genommen hatte und von dem sie glaubte, er hätte Joffrey vergiftet. Den Hass auf ihren Vater, der ihr immer Jaime bevorzugt hat, obwohl sie sich selbst für den geeigneteren Erben Casterly Rocks hält. Den Hass auf den hurenden Robert Baratheon, der lieber eine andere geheiratet hätte, wenn sie ihm zuvor nicht genommen worden wäre. Den Hass auf die Menschen, die sie beim Walk of Atonement bespuckt und mit Fäkalien beworfen haben, als sie gezwungen gewesen ist, nackt durch die Strassen Westeros zu gehen.

Es ist dieser Hass, der sie dazu treibt, Baelors Septe in die Luft zu sprengen. Dort, wo ihre Feinde auf sie gewartet haben, um ihr wegen dem inzestuösen Treiben mit ihrem Bruder den Prozess zu machen. Und es ist dieser Hass, der sie dafür auf Wildfire hat zurückgreifen lassen. Mit jener hochexplosiven Substanz drohte einst der Mad King selbst die gesamte Hauptstadt zu verbrennen, sollte sie von Feinden belagert werden.

Menschen und Städte verbrennen. Noch eine Parallele zwischen ihr und dem Mad King.

Zeitzeugen berichten, dass Aerys oft sexuell erregt war, nachdem er seine Opfer verbrennen liess. Dasselbe trifft auf Cersei zu, die kurz nach der Zerstörung der Septe die Gemächer ihres Bruders aufsucht. Sowohl Cersei als auch Aerys teilen eine Leidenschaft für Inzest. Oder grausame Bestrafungen: Als Rache für den Tod Myrcellas vergiftet Cersei Ellarias Tochter mit jenem Gift, mit dem Ellaria Myrcella vergiftet hatte – und lässt Ellaria angekettet zuschauen.

Eine ähnliche Strafe, wie sie Aerys einst für Eddard Starks Vater und Bruder hatte, wo der Sohn angekettet zuschauen musste, wie sein Vater lebendig verbrannte.

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Am Ende der siebten Staffel wird Cerseis Wahnsinn gerade in den ruhigen Momenten offenbart. Eigentlich spricht sie Jon Snow und Daenerys Targaryen ihre Unterstützung im Krieg gegen den Night King und die White Walkers zu. Dann offenbart sie Jaime, dass sie nicht vor hätte, dem Stark-Jungen und der Targaryen-Prinzessin zu helfen. Stattdessen würde sie abwarten, bis sich ihre Reihen im Kampf gegen die Armeen des Eises selbst gelichtet hätten. So, dass ihre Herrschaft über Westeros unangefochten bliebe.

Dass es zu dem Zeitpunkt womöglich keine Lebenden mehr in Westeros gibt, über die sie herrschen könnte – sie selbst eingeschlossen – kümmert sie nicht. So etwas hätte auch den Irren König nicht gekümmert. Und sollte die Allianz im Norden scheitern, darf bezweifelt werden, dass die in King’s Landing verbliebenen Soldaten den Hauch einer Chance im Kampf gegen den Night King haben.

Jaime weiss das zu gut. Seine Rolle in dieser Geschichte könnte die tragischste werden.

Die Prophezeiung, die es nur in den Büchern gibt

Vor etwa 30 Jahren war es der Mad King, der dem Wahnsinn anheim fiel und sich damit sein eigenes Grab schaufelte. Denn als Robert Baratheons Armeen vor den Toren King’s Landings standen, befahl er einem jungen Jaime Lannister, Mitglied der Königsgarde, die Stadt und ihre Bewohner mit Wildfire in Brand zu setzen. Jaime widersetzte sich dem Befehl und tötete den König – eine Tat, die Tausenden das Leben rettete.

Cersei könnte ein ähnliches Schicksal bevorstehen. Ein Schicksal, das zumindest in den Büchern, auf die «Game of Thrones» basiert, bereits vorherbestimmt scheint. Denn was in der Serie nicht gezeigt wird, ist der letzte Teil der Vorhersagungen der Moorhexe.

Golden werden ihre Kronen sein, und golden ihre Leichentücher. Und wenn deine Tränen dich ertränkt haben, wird der Valonqar seine Hände um deinen hellen weissen Hals schliessen und zudrücken, bis du dein Leben ausgehaucht hast.
Maggy the Frog, Buch 4, «A Feast for Crows»

Valonqar ist hochvalyrisch für «kleiner Bruder». Kein Wunder, dass Cersei Tyrion deswegen so sehr hasst – sie fürchtet ihn sogar. Was Cersei in ihrem paranoiden Hass nicht klar ist: Auch Jaime, der Minuten nach ihr zur Welt gekommen ist, könnte dieser Valonqar sein.

Tatsächlich führt Cerseis wachsender Wahn zu einer immer grösser werdenden Distanz zwischen ihr und Jaime. Letzterem wird klar, dass sich seine Schwester zusehends in jenes gefühllose Monster verwandelt, das er einst selbst töten musste, um eine ganze Stadt zu retten. Auf Kosten seines Rufs. Weil er als Mitglied der Königsgarde geschworen hat, den König zu beschützen, trägt er seitdem den unrühmlichen Beinamen «King Slayer».

Am gruseligsten ist Cersei dann, wenn sie ganz gefasst zu sein scheint
Am gruseligsten ist Cersei dann, wenn sie ganz gefasst zu sein scheint

Und jetzt, da es scheint, dass seine Schwester in die Fussstapfen des Mad Kings tritt – als Mad Queen –, scheint der Kreislauf geschlossen. Und er, Jaime, wird das Schicksal beider besiegeln.

Die Geschichte wiederholt sich.

Das war der sechste und letzte Teil unserer Mini-Serie zu «Game of Thrones». Wenn's dir gefallen hat und du viele weitere Hintergründe und News rund um die Welt des Kinos und der Fernsehserien nicht verpassen möchtest, dann folge mir mit einem Klick auf den «Autor folgen»-Button.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 

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