
Hintergrund
Onyx Cinema LED: Making-Of einer Kino-Revolution
von Luca Fontana
Ein Negativrekord macht Schlagzeilen: «Furiosa: A Mad Max Saga» droht an den Kinokassen zu floppen – trotz des grossen Budgets und ausgezeichneter Kritiken. Beginnt so das Ende der Kino-Ära?
Eigentlich ist das lange Wochenende zum amerikanischen Memorial Day eines der ertragreichsten Kino-Wochenenden des Jahres. Denn jeder letzte Montag im Mai ist zu Ehren der im Krieg Gefallenen ein Feiertag. Damit dauert das Wochenende einen Tag länger als üblich – und damit auch die Zählung für die Wochenend-Einnahmen. Genau das nutzen Hollywoods Studios gerne aus: Startet ein neuer Film mit guten Startwochenend-Zahlen in den Kinos, lässt er sich besser als potenzieller Blockbuster vermarkten.
Blöd nur, wenn der Plan schiefgeht: «Furiosa: A Mad Max Saga» startete am vergangenen Memorial Day Weekend in den Kinos – und floppte zur Überraschung aller so gewaltig, dass viele das Ende der Kino-Ära eingeläutet sehen wollen.
Zu Recht?
In Zahlen liest sich das Desaster so: Gerade mal 32 Millionen US-Dollar hat George Millers apokalyptischer Wahnsinnsritt trotz ausgezeichneter Kritiken eingespielt. Das ist übel. Sogar Disneys viel gescholtenes «The Little Mermaid» spielte zum Memorial Day vor einem Jahr 118 Millionen Dollar ein. Als ob das nicht Beleidigung genug wäre, hätte sich «Furiosa» beinahe noch von «The Garfield Movie», notabene einem Kinderfilm, geschlagen geben müssen. Der spielte 31,2 Millionen Dollar ein.
Das ist noch nicht alles: Um einen Film zu finden, der zum Memorial Day zwar der meistgeschaute Film war, aber noch weniger Geld eingespielt hat als «Furiosa», muss man fast 30 Jahre (!) in die Vergangenheit zurückgehen: zu «Casper» aus dem Jahr 1995.
Die Kinobranche schlägt Alarm.
Erklärungsversuche, wieso das Kino an Attraktivität verliert, gibt es zuhauf. Eine viel gehörte Kritik etwa ist die Langsamkeit, mit der sich neue Kinotechnologien entwickeln, gerade im Vergleich zur Bildqualität im Heimkino. OLED, 4K-Auflösung und Dolby Vision haben das Kino – zumindest technologisch – längst abgehängt. Dazu kommt der rasante Fortschritt von Streaming und immer beliebter werdende Serienproduktionen, die dem gleichzeitig teurer werdenden Kinobesuch Konkurrenz machen. Darüber berichtete ich schon 2018:
Der Flop von «Furiosa: A Mad Max Saga» könnte seinen Ursprung aber auch in der Covid-Pandemie haben: Weil die Kinosäle während der Lockdowns monatelang geschlossen waren, verschoben Studios ihre Kinostarts direkt auf die hauseigenen Streamingdienste. Daran haben wir uns rasch gewöhnt. Mehr, als den Kinobetreibern lieb ist.
Das Filmstudio Warner Bros. etwa setzte sogar 2021 noch auf gleichzeitige Kino- und Streamingdienst-Starts, obwohl die letzten Lockdowns bereits vorüber waren. Damit wollte man das eigene Streamingportal «HBO Max» attraktiver machen und besser vermarkten – versetzte den Kinosälen aber einen unüberlegten Schlag in die Magengrube. Denn: Wieso noch ein teures Ticket kaufen, wenn man denselben Film gleichzeitig bequem zu Hause auf dem grossen Fernseher für deutlich günstigeres Popcorn schauen kann?
«Ich warte, bis man’s streamen kann», ist ein Spruch, den ich in meinem Freundeskreis derzeit oft höre. Das war früher anders. Früher warteten wir im Schnitt mindestens drei Monate, ehe ein Kinofilm auf DVD verfügbar war. Heute sind es nur noch 30-45 Tage. Also etwas mehr als einen Monat. Eine Wartezeit, die viele Kinogängerinnen und -gänger offenbar zu verschmerzen bereit sind.
Oder nicht?
Es gibt auch Stimmen, die im sich abzeichnenden «Furiosa»-Flop kein Alarmzeichen sehen. Im Gegenteil: Dass es «Furiosa: A Mad Max Saga» an den Kinokassen schwer haben würde, hätte man kommen sehen können. Ja sogar müssen. Von einem überraschenden und alarmierenden Flop könne daher nicht die Rede sein.
Eine dieser Stimmen gehört «Deadline»-Journalist Anthony D'Alessandro, seines Zeichens Box-Office-Experte. In seinem Artikel schreibt er, dass das Action-Vehikel schlichtweg überbewertet wurde. Viele vergessen nämlich, dass «Mad Max: Fury Road» zwar zu den schillerndsten Beispielen des exquisiten Action-Feuerwerks gehört. Aber selbst «Fury Road» war anno dazumals kein besonders grosser Kassenschlager: «nur» 380 Millionen Dollar spielte er weltweit ein. Ein – bestenfalls – moderater Erfolg bei Produktions- und Marketingkosten von etwa 300 Millionen Dollar. «Furiosa» kostete das Studio etwa gleichviel.
Dass sich das kollektive Gedächtnis der Popkultur trotzdem an «Fury Road» als Meilenstein des Kinos erinnert, liege nicht an seinem finanziellen Erfolg, so D’Alessandro, sondern an den zehn Oscar-Nominationen, die der Film im Nachgang bekam. Eine davon sogar in der Kategorie «Bester Film». Unerhört für etwas so Unkonventionelles. Sechs Oscars heimste «Fury Road» letztlich ein – und galt damit als einer der grossen Gewinner jener Oscar-Nacht. Hätte die Fortsetzung mit so viel Rückenwind also nicht deutlich besser abschneiden sollen?
Nein, sagt D’Alessandro weiter in seinem Artikel: Einerseits haben's Prequels erfahrungsgemäss sowieso schwerer an den Kinokassen als Fortsetzungen. Andererseits sei das Genre zu nischig und nicht massentauglich. In den USA haben beide Filme ein R-Rating. Das entspricht hierzulande einer Altersfreigabe von etwa 16 Jahren. Dazu sprechen exzentrische Figuren, explizite Gewaltdarstellung, laut dröhnende Motoren und karge Wüsten-Apokalypsen nicht alle Menschen an. Schon die vergangenen «Mad Max»-Filme aus den 1980ern mit Mel Gibson in der Hauptrolle galten bloss als Nischenerfolge. Der Erfolg von «Fury Road» sei eine Ausnahme gewesen – eine «nur» moderate noch dazu.
Das zeigten auch die Zahlen: Nur zwei Prozent des amerikanischen Publikums, das «Furiosa» gesehen hat, war jünger als die dort erlaubten 17 Jahre. Nur 29 Prozent waren Frauen. Und nur neun Prozent aller Kinogängerinnen und -gänger waren über 55 Jahre alt. Damit falle ein grosses Stück des potenziellen Publikum-Kuchens weg, das zum Memorial Day für hohe Umsätze hätte sorgen sollen. Das hätte Studio Warner Bros. berücksichtigen müssen, als es Regisseur George Miller in der Hoffnung, einen neuen Blockbuster-Hit zu erzielen, schon wieder ein derart grosses Budget zugesprochen hatte.
Oder in D’Alessandros Worten: «It was a ballsy greenlight.»
D’Alessandros Erläuterungen klingen plausibel. Deeskalierend sogar. Demnach sei die Kinobranche gar nicht so schlecht dran, wie man nach den mageren Pandemie-Jahren meinen könnte. Eine Einschätzung, die sowohl vom Schweizer Bundesamt für Statistik als auch von der Deutschen Filmförderungsanstalt gestützt wird.
Demnach registrierten die Schweizer Kinos im Jahr 2023 über 10 Millionen Eintritte – so viele wie seit Beginn der Pandemie nicht mehr. Im Vergleich zu 2022 ist die Zahl der Kinoeintritte um 20 Prozent angestiegen und lag damit nur noch 16 Prozent unter dem Wert des starken Kinojahres 2019. Im deutschen Nachbarland ist der Tenor derselbe: 2023 erreichte man 81 Prozent der Ticketverkäufe und rund 91 Prozent der Umsätze aus dem Jahr 2019 – dem letzten vor der Pandemie.
Die Zeichen stehen auf Erholung.
Allerdings: Das Jahr 2023 erfreute sich vieler überraschend grosser Kinohits. Mit «Barbie» und «The Super Mario Bros. Movie» durchbrachen gleich zwei Filme die imponierende 1-Milliarde-Umsatz-Schallmauer. «Oppenheimer» und «Guardians of the Galaxy Vol. 3» platzierten sich nur knapp dahinter. Der aktuell erfolgreichste Film 2024 hingegen, «Dune: Part Two», käme 2023 nur auf den fünften Platz – ganz knapp vor «Fast X» und «Spider-Man: Across the Spider-Verse». Der aktuelle zweite Platz, «Godzilla x Kong: The New Empire», käme 2023 sogar nur auf den zehnten Platz.
Neigt sich die Kino-Ära also doch dem Ende zu? Wohl kaum. Trotz immer besser werdender TVs und immer früherer Heimkino-Releases: Ein so starkes Jahr 2023 wäre nicht erklärbar gewesen, hätten die Menschen keine Lust mehr auf Kino. Aber sie sind wählerischer geworden. Für Durchschnittsfilme, die sich nicht vom Einheitsbrei abheben, gehen sie nicht mehr ins Kino. Für gute Filme hingegen schon. Gute Filme, liebe Filmstudios in Hollywood. Sogar für angeblich «woke» Sozialkritiken wie «Barbie» oder schwerfällige Drei-Stunden-Epen wie «Oppenheimer».
Das ist die Lehre.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»