
Ein Quantencomputer untersucht mathematische Knoten

Es ist extrem schwer, Knoten voneinander zu unterscheiden. Ein neuer Quantenalgorithmus könnte Mathematiker bei dieser Mammutaufgabe künftig unterstützen.
Können Sie auf den ersten Blick eine Bogensehnenschlaufe von einem Bootsmannsmaatenknoten unterscheiden? Nein? Damit sind Sie wohl nicht allein. Selbst für Wissenschaftler ist diese Art von Problem nicht trivial. Tatsächlich gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der Topologie, verlässliche Methoden zu finden, um verschiedene Knoten voneinander abzugrenzen. Denn diese spielen nicht nur eine wichtige Rolle in der Mathematik: Auch in der Physik oder der Biologie treten immer wieder Knoten auf.
Mathematikerinnen und Mathematiker haben deshalb so genannte Invarianten eingeführt: charakteristische Grössen, die sich von Knoten zu Knoten unterscheiden. Als besonders hilfreich erweist sich dabei das 1984 eingeführte Jones-Polynom. Gleiche Knoten weisen stets dasselbe Jones-Polynom auf. Das Problem: Für komplizierte Knoten ist es sehr aufwändig, das zugehörige Polynom zu bestimmen – oder es auch nur für gewisse Werte auszurechnen. Doch nun haben Forschende um den Physiker Konstantinos Meichanetzidis einen Quantenalgorithmus entwickelt, der Jones-Polynome effizient auswertet – auch dann, wenn herkömmliche Rechner an der Aufgabe scheitern. Ihre Ergebnisse haben sie in einer noch nicht begutachteten Arbeit vorgestellt.
Knoten begleiten die Menschheit seit Jahrtausenden. Mathematiker untersuchen sie aber erst seit dem 19. Jahrhundert. Hierbei unterscheiden sich mathematische Knoten leicht von dem, was man im Alltag darunter versteht: Knoten sind in der Mathematik immer geschlossen, so als würde man die Enden eines Schnürsenkels zusammenkleben. Für ihre Untersuchungen fingen die Fachleute an, sie aufzuzeichnen. Eigentlich sind Knoten ja Kurven im dreidimensionalen Raum, aber sie projizierten die Formen auf eine Ebene, was es leichter macht, mit ihnen zu arbeiten. Doch schnell stellte sich die Frage: Wann entsprechen zwei Bilder ein und demselben Knoten?

Quelle: jkasd / Knoten-Tabelle
Einfache Knoten lassen sich noch recht leicht auseinanderhalten, doch bei Exemplaren mit vielen Kreuzungen wird es schwer, den Überblick zu behalten. In diesen Fällen hilft das Jones-Polynom. Anhand der Kreuzungen lässt sich einem Knoten ein Polynom zuordnen, das folgende Eigenschaften erfüllt: Zwei gleiche Knoten haben dasselbe Polynom, während ein Nichtknoten das Polynom 1 hat.
Das ist superinteressant – und eine ziemlich seltsame Verbindung zwischen Mathematik und Quantenberechnung
Allerdings schliesst die Definition des Jones-Polynoms nicht aus, dass zwei unterschiedliche Knoten dasselbe Polynom besitzen (was allerdings nur selten vorkommt). Trotzdem erweist sich das Jones-Polynom als ungemein nützlich – zumal es einen Bezug zur Quantenphysik hat und somit die Knotentheorie unerwartet mit einem völlig anderen Forschungsbereich verbindet. «Das ist superinteressant – und eine ziemlich seltsame Verbindung zwischen Mathematik und Quantenberechnung», sagt Meichanetzidis, Hauptautor der aktuellen Quantinuum-Studie.
Im Prinzip lässt sich das Jones-Polynom eines Knotens immer berechnen – aber mit wachsender Komplexität des Knotens wird die Aufgabe extrem mühselig. Tatsächlich steigt die Anzahl der benötigten Rechenschritte, um das Polynom zu berechnen, exponentiell mit der Anzahl der Kreuzungen eines Knotens. Daher sind herkömmliche Computer schnell aufgeschmissen, wenn die Knoten zu kompliziert werden. Da helfen auch keine Quantencomputer: Bekannte Quantenalgorithmen können bisher leider nicht verhindern, dass die Zahl der Rechenschritte exponentiell zunimmt.
Auf dem Weg zum nützlichen Quantenvorteil
Doch Quantencomputer bieten einen anderen Vorteil: Bereits 2005 zeigten Physiker um die Informatikerin Dorit Aharonov, dass Quantenrechner das Jones-Polynom eines Knotens für bestimmte Werte effizient annähern könnten – also die Anzahl der benötigten Rechenschritte nur polynomiell mit der Anzahl an Kreuzungen wächst. Einen solchen Quantenalgorithmus haben die Forschenden der Quantencomputer-Firma Quantinuum nun im Detail entwickelt und umgesetzt. Ein gewöhnlicher Rechner braucht hingegen selbst für diese Annäherung noch extrem viele Rechenschritte, deren Zahl exponentiell mit der Grösse des Knotens wächst.
«Wenn wir unseren Quantenalgorithmus für verschiedene Werte auswerten, lassen sich damit Knoten mit hoher Wahrscheinlichkeit effizient voneinander unterscheiden», erklärt Meichanetzidis. Wenn für zwei Knoten beispielsweise bei mehreren Auswertungen des Jones-Polynoms dasselbe Ergebnis herauskommt, dann ist es wahrscheinlich, dass beide Knoten gleich sind. Das lasse sich im Rahmen der Knotentheorie ausnutzen, etwa um einige der offenen Vermutungen des Bereichs anzugehen. Zum Beispiel besagt die Jones-Vermutung, dass ausser dem Nichtknoten kein Knoten ein Jones-Polynom von 1 hat. Fachleute könnten auf den Quantenalgorithmus zurückgreifen, um komplizierte Knoten zu untersuchen und so Hinweise auf die Richtigkeit der Vermutung zu sammeln – oder ein Gegenbeispiel zu finden.
Das stimmt mich zuversichtlich, dass wir in ein oder zwei Jahren interessante Beweise eines Quantenvorteils sehen werden
Der neue Quantenalgorithmus könnte auch ausserhalb der Mathematik hilfreich sein. «In der Biologie sind Knoten von Interesse», sagt Meichanetzidis. Dabei sei nicht speziell das Jones-Polynom wichtig, sondern Grössen wie die Chiralität von verknoteten Makromolekülen, die sich mit dem Polynom berechnen lassen. «Die Makromoleküle sind in der Regel so klein, dass klassische Algorithmen zu ihrer Berechnung ausreichen. Aber wenn man Knoten mit Tausenden von Kreuzungen unterscheiden muss, dann sollte man zu einem Quantenalgorithmus wechseln.»
In ihrer Arbeit konnten die Forschenden auch bestimmen, ab welchem Punkt sich der Einsatz von Quantenalgorithmen lohnt: Sobald mehr als 2800 Kreuzungen vorhanden sind, bietet ein Quantencomputer den Fachleuten zufolge einen Vorteil. Der aktuelle Quantencomputer von Quantinuum, H2, kann bislang nur Knoten mit etwa 100 Kreuzungen untersuchen, doch der gerade in der Entwicklung befindliche Helios-Quantencomputer, der Mitte 2025 einsatzbereit sein soll, könnte den Quantenvorteil erstmals erreichen. «Wenn sie den Algorithmus auf dem nächsten Quantinuum-Modell ausführen und Supercomputer wirklich übertreffen können, wäre dies eines der ersten Beispiele für einen Quantenvorteil bei einem Problem, das nicht nur erfunden wurde, um es auf Quantencomputern laufen zu lassen», sagte der Physiker Aleks Kissinger von der University of Oxford, der nicht an der Arbeit beteiligt war, gegenüber dem New Scientist. «Das stimmt mich zuversichtlich, dass wir in ein oder zwei Jahren interessante Beweise eines Quantenvorteils sehen werden.»
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