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Fast & Furious 9: Unsinn. Punkt.
von Dominik Bärlocher
Die Avengers, die mächtigsten Helden der Erde, stellen sich in «Avengers: Endgame» Thanos, dem mächtigsten Gegner des Universums. Irgendwie sollen sie es hinkriegen, 50 Prozent allen Lebens wieder auferstehen zu lassen. Irgendwo dazwischen: Captain Marvel.
Bevor dieses Review des neuen Marvel-Films «Avengers: Endgame» startet, eine Sache: Dieses Review wird spoilerfrei sein. Sollten Spoiler notwendig sein, werden diese mit Bildern gekennzeichnet und im Text angekündigt.
Die Frage in diesem Review ist nicht, ob Endgame gut ist. Das ist eh klar mit «Ja» zu beantworten. Denn Marvel Studios und dessen Besitzer Disney lassen es nicht zu, dass hier ein Risiko eingegangen wird. Die Regisseure Anthony und Joe Russo geben alles, genau wie die Riege an Schauspielern, die Effektemacher und Kostümdesigner, die Kampfchoreographen sowie Stuntmen und -women. «Avengers Endgame» wird Rekorde brechen, wird Filmgeschichte schreiben – irgendein Rekord wird sicher eingestellt werden, wenn das nicht bereits geschehen ist – und am Ende interessiert das alles eigentlich auch keinen.
Die Fragen, die sich all die stellen, die seit der Geburt des Marvel Cinematic Universe anno 2008 in der After Credits Scene des überraschenden Blockbusters «Iron Man» dabei sind, ist die: Geht das alles mit der Geschichte auf? Wie kann Thanos (Josh Brolin) Einhalt geboten werden? Stimmen all die Gerüchte und Theorien? Wird Ant-Man sich mikroskopisch verkleinern, in Thanos Füdli fliegen und dort gross werden?
Klar, da kommt eine grosse Schlacht, wo alle alle verprügeln, mit Lasern um sich schiessen, Zaubersprüche schwingen und mit Hämmern hämmern. Aber das ist es nicht, wofür der 181 Minuten lange Film in Erinnerung bleiben wird. Denn die Drehbuchautoren Christopher Markus und Stephen McFeely erlauben sich einen Schachzug, den so wohl keiner hat kommen sehen. Anstatt die Handlung schnell voranzutreiben, nehmen sie ihr alle Geschwindigkeit.
Nach dem Fingerschnippen, das 50 Prozent allen Lebens im Universum ausgelöscht hat, bleibt die Zeit fast stehen. Das ist auch bitter notwendig, denn egal mit wie viel Pomp die Kampfszenen – natürlich fehlen die nicht – inszeniert werden, das kennen wir bereits. In «Avengers: Infinity War», dem Vorgänger, haben Thanos und seine Schergen das afrikanische Königreich Wakanda angegriffen. Computereffekt prügelt Computereffekt. Kennen wir.
Was wir aber nicht kennen, ist die menschliche Seite. Was stellt der stete Kampf gegen das Böse oder in diesem Fall gegen die Auslöschung des halben Lebens mit einer guten Person an? Hier etwas Spoiler. Er endet nach dem Video der Schlacht von Wakanda.
An keiner Figur ist das im Film besser dargestellt als mit der des Clint Barton alias Hawkeye alias Ronin (Jeremy Renner). Der Fingerschnipp – offiziell «The Decimation» genannt – hat seine ganze Familie ausgelöscht. Eine Frau und drei Kinder. Einfach weg. Der stoische Mann ist gebrochen. Während Thor (Chris Hemsworth) sich in Alkohol und Junk Food flüchtet, zieht sich sich Hawkeye eine schwarze Kapuze über und steckt ein Schwert ein. Er geht auf Jagd nach Verbrechern und tötet diese einfach. Der Grund: Er fragt sich, warum es seine unschuldige Familie erwischt hat und nicht die Verbrecher, die die Welt schlechter machen?
Bedauerlicherweise wird dieser Subplot schnell verworfen, genau wie all die anderen Subplots, die zwischen Decimation und Rettungsaktion liegen. Dennoch wird ihnen genug Zeit gegeben, dass der emotionale Schlag gelingt. Die Szenen werden so lange gezeigt, bis jeder begriffen hat, wie es den Figuren im Film geht. Szenen, wie die elends lange auf dem Planeten Vormir in «Infinity War», gibt es nicht mehr.
Das liegt unter anderem auch daran, dass «Endgame» genug Story für sich selbst hat, damit keine Zeit verschwendet werden muss. So gehen die verworfenen Subplots schnell vergessen. Denn die Avengers, oder wer vom Team übrig ist, haben einen Plan. Dieser braucht auch seine Zeit, die er dankbarerweise erhält. Das spricht sowohl für den Mut Marvels, dies zuzulassen und nicht nur auf das Spektakel zu setzen, sondern es den Drehbuchautoren erlaubt, die Helden in Positionen zu zeigen, in denen sie sich nicht gerade mit Ruhm bekleckern. Es wäre schön, wenn einige dieser Plot Points in späteren Filmen wieder aufgegriffen werden.
So gut «Avengers: Endgame» auch geschrieben sein mag, der Film kommt nicht ohne Schwächen aus. Glücklicherweise sind die Szenen kurz, aber für jemanden, der sich seit Jahrzehnten mit Superhelden und deren Mythen auseinandersetzt, stechen sie heraus. So schwanken die Power Levels einzelner Helden von Sekunde zu Sekunde und einige Helden ertränken so andere im Kampf. Mehr Spoiler, die nach dem Bild von Carol Danvers (Brie Larson) enden.
Hart erwischt es in Puncto Power Levels Captain Marvel. In ihrem ersten Auftritt macht sie den Trick aus dem Finale ihres Solo-Films nach und schrottet ein gigantisches Raumschiff, indem sie es durch das unbesiegbar wirkende Flugobjekt durchfliegt. Es ist klar: Carol Danvers soll die schwere Artillerie der Avengers sein. Das war bis dato der Hulk, aber der hat gerade den Frieden gefunden und ist daher so halb effektiv.
Einige Minuten später tut sich Carol Danvers aber schwer mit einigen Fusssoldaten aus dem Heer Thanos. Sie bekommt Verstärkung von all den Heldinnen im Marvel Cinematic Universe und da ist einer der Hero Shots. Grossartig. Kurz darauf aber ist Carol wieder im vollen Schwere-Artillerie-Modus und die Heldinnen dürfen zuschauen, während sie zur Hintergrunddekoration werden.
Es sind kleine Momente, die dem Film manchmal während einigen Sekunden einen schlechten Beigeschmack geben. Doch die Szenen werden herausgerissen von grossartigem Schauspiel, Liebe zum Detail, auch in der grossen Schlacht und dem offensichtlichen Spass, die einige Schauspieler bei ihrem letzten Auftritt als ihre Heldenfiguren haben.
Dazu funktionieren die Hero Shots hervorragend gut. Dies nicht nur, da sie schön inszeniert sind, sondern auch wegen den langsamen Momenten zu Beginn des Films. Dort sehen wir die Helden am Boden, in Trauer, oder in einer Situation, die heldenunkompatibler nicht sein könnte. Sie müssen über sich hinauswachsen und ein letztes Mal zum Kampf antreten.
Und dann. Dann kommt der Moment, auf den Fans seit zehn Jahren warten. Captain America richtet seinen Schild. Er blickt Thanos und die Heerscharen an und sagt:
«Avengers Assemble!»
«Avengers: Endgame» ist nicht nur ein gelungener Film, sondern ein sehr gut gelungener Film. Die Witze zünden, die Action ist nicht das Hauptmerkmal des Films und er wagt Neues. Die Überraschung ist gelungen, unter anderem auch aus dem Grund, dass das Internet sich überraschend zurückhaltend gegeben hat, wenn es um Spoiler geht. Selbst wenn ich viel im Vorfeld über den Film gelesen habe, so war ich doch im Dunkeln darüber, worum es in Endgame überhaupt geht. Die Überraschung ist gelungen, die Witze sitzen, die Action ist spektakulär und ergibt Sinn, die Charaktermomente treffen ins Herz. So machen Filme Spass.
Der schweizer Kinobetreiber Kitag hat sich, genau wie andere Kinos in der Schweiz, ins Zeug gelegt. Die ersten Vorstellungen von «Avengers: Endgame» sind um etwa 10 Uhr morgens passiert. Gleich nachdem sie «Avengers: Infinity War» gezeigt haben. Solche Double Features sind selten und zeugen nicht nur von einer Liebe zum Geld und Profit, sondern auch zum Film. Klar, denn im Zeitalter von Netflix und all dem Zeug, müssen sich Kinos mehr einfallen lassen, als nur einen Film zu zeigen, den du in einigen Monaten eh via Streaming sehen kannst, und dir überteuerte Getränke und Snacks zu verkaufen. Genau solche Dinge wie Double Features sind perfekt für sowas. Danke, Kitag und Kinos.
Nett wäre auch, aber das geht mehr an die Filmverleiher der Schweiz, wenn wir Versionen der Filme ohne Untertitel in Originalversion zu sehen bekämen. Denn diese sind auch bei «Avengers: Endgame» mal besser, mal schlechter. Vor allem in zwei Instanzen sind sie direkt am Ziel vorbei. Einmal bei einer Zeitangabe nimmt der gelbe Text unten am Bildschirmrand die Überraschung weg. Dann beim Schlachtruf «Avengers Assemble!», der mit «Avengers, gemeinsam unbesiegbar» übersetzt wird. Lasst das doch einfach sein, bitte. Wenn ich oben von Liebe zum Film spreche, dann meine ich nicht Cinetyp, die sich regelmässig mit so Halbarschigem in die Nesseln setzen.
Noch netter wäre es, liebe Kitag, wenn du deine Pause im Film so planen könntest, dass sie nicht etwa eine Sekunde vor Ende einer Szene stattfindet. Immerhin besser als bei «Guardians of the Galaxy», wo die Pause mitten im Wort begonnen hat.
So. Fertig. Ich meine ja eigentlich, wenn ich so drüber nachdenke, dass «Avengers: Endgame» komplett ohne die grosse Schlacht hätte auskommen können. Das ist eine gute Sache.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.