Netflix
Kritik

«Avatar: The Last Airbender»: Netflix, ich ziehe meinen Hut

Luca Fontana
22.2.2024

Nein, «Avatar: The Last Airbender», die Netflix-Adaptation des Nickelodeon-Originals, ist zwar nicht perfekt. Zu kritisieren gibt es einiges. Aber dafür, und das ist die eigentliche Überraschung, noch viel mehr zu loben!

Eines vorweg: In dem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.

Ein meisterhafter Trick. Ein taktischer Geniestreich. Und eine Hinrichtung, die für eine eigentlich für Kinder angedachte Serie ziemlich gewagt ist: Netflix’ «Avatar: The Last Airbender» macht ziemlich schnell klar, dass diese Version des geliebten Quellmaterials keine 1:1-Adaption von Nickelodeons ursprünglicher Zeichentrickserie ist. Dass sie ganz andere Ambitionen hat. Oder wie Firelord Zosin gleich zu Beginn sagt: Sie sind höher gelegen. Wesentlich höher.

Buchstäblich.

Darum geht’s in «Avatar: The Last Airbender»

Wasser, Erde, Feuer, Luft – vor langer Zeit lebten alle vier Nationen zusammen in Harmonie. Doch dann erklärte die Feuernation den Krieg, und alles änderte sich. Nur der Avatar, Herr der vier Elemente, hätte sie aufhalten können. Aber als die Welt ihn am meisten brauchte, verschwand er. Einhundert Jahre vergingen, ehe die junge Wasserbändigerin Katara (Kiawentiio) und ihr Bruder Sokka (Ian Ousley) den neuen Avatar entdeckten, einen jungen Luftbändiger namens Aang (Gordon Cormier) – der Letzte seiner Art. Und obwohl seine Fähigkeiten erstaunlich sind, muss er noch eine Menge lernen, ehe er die Welt retten kann.

Nicht nur das. Aang muss auch ständig auf der Hut sein, da ihm der junge Kronprinz Zuko (Dallas Liu) ständig auf den Fersen ist. Zuko, der einst Mitgefühl mit Stärke verwechselte und seitdem eine hässliche Narbe trägt, ist aus seinem einstigen Zuhause verbannt worden. Sein einziger Weg zurück führt über die Gefangennahme des Avatars, der für die Feuernation die grösste Bedrohung darstellt. Schliesslich kann nur noch er ihr hehres Streben vereiteln, die Welt unter einem einzigen Banner des Friedens und der Einheit zu vereinen. Glücklicherweise ist Zuko bei dieser Mission nicht allein. Sein Onkel Iroh (Paul Sun-Hyung Lee) steht ihm zur Seite, bewaffnet mit einem Jahresvorrat an köstlichem Jasmintee.

Ein zunächst holpriger Start für die Netflix-Adaption

Ich hatte meine Zweifel, was Netflix’ Live-Action-Adaption betrifft. Zweifel, die sich nach dem Schauen der acht Episoden zwar nicht gänzlich in Luft aufgelöst haben. Aber dafür die Befürchtung, der Streaming-Gigant würde dem Quellmaterial zu wenig Respekt zollen.

Es brauchte eine Weile, ehe ich mich mit der Tatsache versöhnte, dass die Live-Action-Adaption dem Original nicht Szene für Szene folgen würde.
Es brauchte eine Weile, ehe ich mich mit der Tatsache versöhnte, dass die Live-Action-Adaption dem Original nicht Szene für Szene folgen würde.
Quelle: Netflix

Eine Erleichterung. Die Vorzeichen standen ja auf Katastrophe: Zwei Jahre lang haben die «Avatar: The Last Airbender»-Schöpfer Bryan Konietzko und Michael Dante DiMartino an einer Live-Action-Adaption des Zeichentrick-Klassikers für Netflix mitgearbeitet. Dann, im August 2020, verliessen sie das Projekt. «Zu viele kreative Differenzen», sagten sie. Michael Dante DiMartino legte sogar noch einen drauf.

«Egal welche Version am Ende erscheint, es wird nicht das sein, was Bryan und ich uns vorgestellt hatten.»

Ihren Abgang verübeln kann ich Konietzko und DiMartino nicht. Ja, Netflix weicht immer wieder von dem von Fans innig geliebten Zeichentrick ab. Fans, zu denen ich mich selbst zähle. Seit meiner frühen Jugend begleitet mich die Serie. Bis heute: Erst kürzlich schaute ich mir alle drei Staffeln erneut an, um mich auf Netflix’ Adaption einzustimmen. Dabei fand ich die Zeichentrickserie sogar besser, als ich sie in Erinnerung hatte. Witziger, tiefgründiger und bewegender. Alle Episoden haben einen tieferen Sinn. Eine Lektion, die Aang und seine Freunde auf ihrer Reise lernen müssen, ehe sie die unterjochte Welt von der Feuernation befreien können.

Genau damit tut sich Netflix anfangs schwer. Nicht grundlos: Der ersten Staffel der Zeichentrickserie fehlte noch der rote Faden als Aang, Katara und Sokka mit jeder Episode etwas gar zusammenhangslos von einem Schauplatz zum nächsten hüpften, ohne dass die Serie einer inneren Logik folgte. Mal besuchten sie die saftigen Wälder des Erdreichs, dann erforschten sie alte Ruinen inmitten der Feuernation, ehe sie es später wieder im modrigen Sumpf des Erdreichs mit merkwürdigen Wasserbändigern zu tun bekamen. Das war (noch) keine stringent erzählte Geschichte, sondern das Schema «Abenteuer der Woche», mit 22 Episoden à 20 Minuten. Den fehlenden roten Faden korrigierte die Zeichentrickserie erst mit der zweiten Staffel.

Netflix macht einiges falsch – aber noch mehr richtig

Ein Luxus, den sich Netflix nicht gönnen will. Das finde ich gut. Es macht die Adaption aber eben anfangs zu einer holprigen Veranstaltung. Netflix mistet nämlich aus, entschlackt und versucht, das erzählerische Kuddelmuddel aus dem Zeichentrick so aufzudröseln, dass es in eine deutlich gradlinigere Serienstruktur mit nur acht Episoden à dafür 50 Minuten passt. Figuren und damit verbundene Ereignisse werden dadurch verschoben, zusammengelegt oder gar ganz gestrichen.

Das prominenteste Opfer einer solchen Streichung: Sokkas anfänglicher Sexismus. Der sei politisch nicht mehr zeitgemäss, so die offizielle Erklärung. Darüber habe ich mich erst kürzlich gründlich ausgelassen:

  • Meinung

    «Avatar»: Netflix streicht Sokkas Sexismus – und begeht damit einen schweren Fehler

    von Luca Fontana

Das Problem: Sokka verhält sich in der Zeichentrickserie anfangs spöttisch gegenüber weiblichen Kriegern. So sei es an Männern, in den Krieg zu ziehen, und an Frauen, sie wieder gesund zu pflegen. Seine Haltung ändert sich radikal, als er zum ersten Mal den Kyoshi-Kriegerinnen des Erdreichs begegnet. Sie sind nicht nur begnadete Elite-Kämpferinnen, sondern schaffen es gar ohne Element-Bändigungskräfte, der bösen Feuernation die Stirn zu bieten. Zum ersten Mal muss Sokka sein Weltbild ernsthaft hinterfragen.

Eine wichtige anti-sexistische Charakterentwicklung. Aber eine, die in Netflix’ Adaption komplett fehlt. Schlimmer noch: Es ist jetzt sogar die Kyoshi-Kriegerin Suki (Maria Zhang), die sich Sokka fast buchstäblich um den Hals wirft, nachdem sie seinen muskulösen, nackten Oberkörper gesehen hat. Was daran feministischer sein soll, will mir beim besten Willen nicht in den Kopf. Und was die Serie uns Zuschauenden damit sagen will, schon gar nicht. Es wäre aber keine Überraschung, wenn genau das der Punkt gewesen ist, an dem Konietzko und DiMartino die Reissleine gezogen und das Projekt verlassen haben. So gründlich wurde hier gerade eine der schönsten Episoden des Zeichentricks verhunzt.

Suki (Maria Zhang) wird leider zur schmachtenden Jungfrau degradiert – mir als Fan tut das weh.
Suki (Maria Zhang) wird leider zur schmachtenden Jungfrau degradiert – mir als Fan tut das weh.
Quelle: Netflix

Die gute Nachricht: Das war das einzige Mal, dass ich als überprotektiver Gralshüter des Originals enttäuscht den Kopf schütteln musste. Die meisten anderen Änderungen fühlen sich nämlich deutlich stimmiger an. Manche sind sogar so rund, dass ich staune, wie kohärent da gerade fünf, sechs oder mehr Zeichentrick-Episoden zu einer einzigen zusammengefasst wurden.

Das wird vor allem in der fünften und sechsten Episode deutlich, «Spirited Away» und «Masks». Keine Sorge, ich spoilere nichts. Aber lass mich gesagt haben, dass es der Adaption hier sogar gelingt, die emotionale Wucht mancher Charakterentwicklungen aus dem Original zu übertreffen. Das hätte ich niemals für möglich gehalten. Ich hielt die entsprechenden Episoden des Zeichentricks schon für perfekt. Aber da sind wir nun.

Respekt, wem Respekt gebührt. Bravo, Netflix.

Die Liebe zum Detail

So neugierig ich bin, wie andere Fans auf die vielen Änderungen der Netflix-Serie reagieren werden, so sicher bin ich mir dafür in einem anderen Punkt: Das Element-Bändigen werden sie lieben! Das ist keine Selbstverständlichkeit. M. Night Shyamalans Kinofilm-Adaption erntete 2010 nichts als Hohn und Spott für seine geradezu lachhaften Effekte. Zu Recht: Aus einer Welt, in der sechs gestandene Männer die Choreographie des Jahrhunderts aufführen müssen, um letztlich doch nur einen einzigen Gartenstein in Zeitlupe durch die Luft schweben zu lassen, bin ich raus.

Feuer? Aus dem Nichts!? Dass sowas möglich ist, hätte vor allem M. Night Shyamalan nicht für möglich gehalten.
Feuer? Aus dem Nichts!? Dass sowas möglich ist, hätte vor allem M. Night Shyamalan nicht für möglich gehalten.
Quelle: Netflix

Netflix hingegen trumpft gerade hier grossartig auf. Vor allem das Feuerbändigen sieht nicht bloss einschüchternd aus, sondern jagt beim Zuschauen lebendig verbrennender Feinde – mit Haut, Haar und Knochen – geradezu Schauer über den Rücken.

Jaja, Kinderserie, haben sie gesagt.

Dazu kommt alles andere. Wunderschöne Kostüme zum Beispiel, bis ins kleinste Detail ausgestaltet. Die ikonische Flora und Fauna, in der jedes Tier eine Mischung aus zwei Tieren unserer realen Welt ist. Und die liebevoll nachgebauten Schauplätze, die wirken, als ob sie eigenmächtig aus der Zeichentrickserie entsprungen wären, um sich in der Live-Action-Version zu manifestieren. Vor allem Omashu, eine der letzten Widerstand leistenden Städte des stolzen Erdreichs. Ein Fest für Fans. Aber auch ein Augenschmaus für jene, die zum ersten Mal in «Avatar: The Last Airbender» Fuss setzen. Ich sag nur eins:

«Secret tunnel!»

Firelord Ozai in seinem furchteinflössenden Thronraum – von den Flammen im Hintergrund bis zu den scharfen Wangenknochen 1:1 wie aus der Zeichentrickserie.
Firelord Ozai in seinem furchteinflössenden Thronraum – von den Flammen im Hintergrund bis zu den scharfen Wangenknochen 1:1 wie aus der Zeichentrickserie.
Quelle: Netflix

Kritik einstecken müssen dafür ein paar der schauspielerischen Leistungen. Vor allem Katara-Darstellerin Kiawentiio scheint kaum mehr als einen Gesichtsausdruck zu beherrschen – milde Besorgnis. Das passt nicht zur Katara, die in der Zeichentrickversion zweifellos das warme, mütterliche und doch leidenschaftlich-stark pochende Herz der Serie ist. Etwas besser gefällt mir Aang-Darsteller Gordon Cormier, auch wenn es ihm erst gegen Ende der Serie gelingt, die riesengrossen Fussstapfen einigermassen auszufüllen, die der originale Aang-Sprecher hinterlassen hat, Zach Tyler Eisen.

Richtig gut hingegen funktioniert das Dreiergespann aus Prinz Zuko, Onkel Iroh und Commander Zhao, das von Dallas Liu, Paul Sun-Hyung Lee und Ken Leung gespielt wird. Vor allem Lius Stimme kommt dem Original unheimlich nah. Und Sun-Hyung Lees komödiantisches Talent, das er vor allem in der Sitcom «Kim's Convenience» oder in der Star-Wars-Serie «The Mandalorian» zur Schau gestellt hat, sorgt jedes Mal für nostalgische Gefühle, wenn er Jasmintee-servierend herrlich ulkige und doch weise Sprüche von sich gibt. Ganz der Onkel Iroh aus der Serie.

Das ungleiche Paar wird erneut die Herzen der Fans im Sturm erobern, da bin ich mir sicher.
Das ungleiche Paar wird erneut die Herzen der Fans im Sturm erobern, da bin ich mir sicher.
Quelle: Netflix

Ken Leung hingegen darf seinem Commander Zhao, dem eigentlichen Antagonisten der ersten Staffel, eine etwas andere Hintergrundgeschichte verpassen als in der Zeichentrickserie. Eine, die seiner späteren Charakterentwicklung mehr Gewicht verleiht. Mehr Komplexität. Noch so eine Änderung, die Netflix gut macht. Auch wenn Ken Leung, den ich schon in «Lost» mochte, sowieso immer ein schauspielerischer Gewinn ist, egal was das Drehbuch ihm zu spielen gibt.

Fazit: Zäher Start, aber dann wird’s richtig gut

«Es gibt jene, die sagen, es liege in der Natur der Feuernation, sich auszubreiten und alles zu verschlingen – so wie das Feuer selbst», sagt Onkel Iroh einmal in der Serie. Wer’s zynisch mag, könnte behaupten, Netflix verhalte sich genau gleich, so viele Zeichentrickserien wurden und werden immer noch verfilmt. Nicht nur mit Erfolg. «Cowboy Bebop» etwa war ein totales Desaster. «One Piece» gefiel den Leuten schon besser. Aber was ist mit «Avatar: The Last Airbender»?

Als Fan des Originals haderte ich anfangs mit den vielen Änderungen. Manche ergeben noch immer keinen Sinn. Andere hingegen entfalten ihre Wirkung erst mit dem Fortschreiten der Serie. Dann aber so sehr sogar, dass die Adaption das Original ab und zu sogar übertrifft. Eine beeindruckende Leistung, vor allem gemessen daran, wie schwierig es gewesen sein muss, das erzählerische Kuddelmuddel der ersten Zeichentrick-Staffel aufzudröseln.

Keine Frage: Das Team hinter und vor der Kamera liebt Nickelodeons «Avatar: The Last Airbender». Das ist in jeder Einstellung spürbar, die voller Hommagen ans Original stecken. Und wenn die Live-Action-Adaption selbst einen derart skeptischen Fan wie mich letztlich überzeugen konnte, dann hat sie mehr als nur einiges richtig gemacht.

«Avatar: The Last Airbender»» läuft ab dem 22. Februar 2024 auf Netflix. Die Serie besteht aus acht Folgen à etwa 50 Minuten. Freigegeben ab 12 Jahren.

Titelbild: Netflix

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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