Produkttest

Aus unserer Schrottsammlung geklaut: Nikon Coolpix L3

David Lee
10.8.2020

Mal sehen, ob ich einen Beitrag über eine Kamera schreiben kann, die nun wirklich gar niemanden interessiert. Stellt sich heraus: Ich kann.

Alte Digicams sind so etwas wie Youngtimer. Nicht richtig alt, keine richtige Rarität, und darum günstig zu haben. Oft sogar gratis. Der Gebrauchswert der Dinger strebt gegen Null, aber gerade das macht sie in meinen Augen zu sympathischen Liebhaberobjekten.

  • Produkttest

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Bei unseren Produktmanagern stehen Dutzende von alten Kameras sinnlos herum. Ein wildes, zufälliges Gemisch aus Filmkameras und Digitalkameras in allen Qualitäts-, Alters- und Abnutzungsstufen. Auch richtiger Schrott befindet sich darunter.

Ich klaue von dort eine Nikon Coolpix L3. Baujahr 2006 oder 2007, 5,1 Megapixel, 3-fach-Zoom. Etwa so gross wie eine Kreditkarte. Schnucklig. Schön. Nostalgisch. Und heute komplett nutzlos – jedes Smartphone macht bessere Bilder.

Die Nikon Coolpix L3 wurde als simples Budget-Modell auf den Markt gebracht. Sie ist keineswegs die spektakulärste Kamera aus der Sammlung. Aber es ist die, die ich am einfachsten zum Laufen bringe. Die Ladegeräte fehlen bei den Sammlungsstücken nämlich samt und sonders. Diese Kamera aber funktioniert mit zwei gewöhnlichen AA-Batterien.

Die alten Batterien sind natürlich ausgelaufen, weisse Flocken brösmeln aus dem Fach. Die Kontakte funktionieren trotzdem, die Kamera läuft.

Ein einzigartiges Feature

Zuerst muss ich Datum und Uhrzeit einstellen. Dann will ich eine Speicherkarte einsetzen. Die L3 verwendet zum Glück SD-Karten – im Jahr 2006 keine Selbstverständlichkeit. Noch weniger selbstverständlich ist, dass das Kartenfach auf der Seite liegt. So kann die Karte ausgetauscht werden, während die Kamera an einem Stativ angeschraubt ist. Da die meisten Kompaktknipser aber bis heute das Kartenfach unten haben, öffne ich automatisch das Batteriefach. Dadurch wird die Stromversorgung unterbrochen und beim nächsten Einschalten muss ich Datum und Uhrzeit erneut einstellen. Übrigens: Die Karte wäre gar nicht nötig gewesen. Die Kamera hat einen internen Speicher, der für etwa 18 Aufnahmen reicht.

Wie jeder ernstzunehmende Fotograf fotografiere ich als erstes meine Tastatur. Die Kamera hat einen Makromodus. Sehr nahe kann ich auch damit nicht heran. Bis der Autofokus endlich scharf gestellt hat, rattert und quietscht er eine gefühlte Ewigkeit. Als das Foto endlich im Kasten ist, sagt die Kamera: «Aufnahme unscharf. Bild speichern?»

Ich bin beeindruckt. Diese Popelkamera ist einerseits kaum fähig, ein scharfes Bild zu machen, merkt andererseits aber selbst, wenn die Aufnahme unscharf geworden ist. Ein Feature, das ich noch überhaupt nie gesehen habe.

Der ernstzunehmende Praxistest

Die Kamera blitzt immer, wenn es nicht extrem hell ist. Das sieht zwar hässlich aus, aber ohne Blitz würden die Aufnahmen verwackeln. Denn die Kamera scheint irgendwie nicht fähig, die ISO-Empfindlichkeit hochzuschrauben, um die Verschlusszeit zu verkürzen. Manuell einstellen kann man solche Sachen sowieso nicht.

Wie jeder ernstzunehmende Fotograf mache ich nicht nur Fotos von meiner Tastatur, sondern auch Selfies. Dabei fällt sofort auf, dass der Weissabgleich voll für nichts ist. Die eigentlich weisse Wand erscheint immer türkis – je nach Weissabgleich sind es verschiedene Abstufungen von Türkis.

Mit dem Rohformat liesse sich das problemlos am Computer korrigieren, doch die Kamera bietet ausschliesslich JPEG. Mit dem Pre-Weissabgleich gelingt mir dann doch noch eine passende Farbgebung. Kamera auf weisse Wand halten, messen, dann Fotos bei gleichem Licht machen. Geht doch!

Für den Hintergrund kann ich übrigens nichts. Oder nicht viel. Die Schachtel hat Kollege Martin Jud in meiner Abwesenheit unfreundlicherweise hinter mir deponiert und sich sehr freundlich dafür entschuldigt. Die komische Metallstange ist der Hochtöner des Lautsprechers Philips Fidelio. Den hat Dominik Bärlocher in meiner Abwesenheit freundlicherweise auf mein Pult gestellt, weil die sonst entsorgt worden wären und ich dachte, ich könnte die gebrauchen. Da wusste ich aber noch nicht, wie sie aussehen. Braucht jemand zufällig riesige, tonnenschwere und unfassbar hässliche Philips Fidelio?

Ich könnte natürlich noch ein Foto machen ohne diesen blöden Hintergrund. Aber wenn ich zu viel Aufwand für diesen komplett sinnlosen Beitrag betreibe, fragt bestimmt wieder einer von euch, ob ich eigentlich nichts Besseres zu tun hätte. Da du gerade fragst: Doch, ich habe Besseres zu tun. Aber wie jeder ernstzunehmende Fotograf scheue ich weder Kosten noch Mühen für ein ganz besonders tolles Bild. Ein Bild, das nicht nur einfach i.O. ist (wie die Bilder von Anselm Adams, Vivian Maier oder Thomas Kunz), sondern ein Bild, das Geschichte schreibt.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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