Apple Car: Der Konzern, der ein Auto machen muss
Hintergrund

Apple Car: Der Konzern, der ein Auto machen muss

Apple verrät nichts über seine Fahrzeugpläne. Doch ein Blick in die Patente des Konzerns und die Stellenbesetzungen in Cupertino verraten viel. Denn wenn Apple auch in den Automarkt vordringen will, dann muss die Firma ein Auto bauen.

Leser NeXus-9 hat in meinem Artikel zu Android Automotive folgenden Kommentar hinterlassen:

Also wenn das Android dann so "toll" und "effizient" funktioniert, wie das in den TV's der Fall ist, dann hoffe ich schwer auf einen guten Konkurrenten. @Apple: Hallo?! ^^
NeXus-9, 4. Februar 2021

Wenn Google etwas in der Pipeline hat, dann ist Apple entweder der Sache schon voraus, oder nicht weit hinterher.

Analyst und Gerüchteverbreiter Ming-Chi Kuo glaubt zu wissen, dass Apple an einem Auto arbeitet. Wenn Ming-Chi Kuo sowas sagt, dann ist da meist was dran. Kein anderer Leaker und Kaffeesatzleser hatte bis dato so oft Recht wie der Analyst.

Ming-Chi Kuo sagt, dass Apple mit Hyundai gemeinsame Sache macht und an einem Apple-Auto arbeitet.

Damit sieht sich der Konzern aus Cupertino einem riesigen Projekt gegenüber, für das er zu Recht einen Partner mit Erfahrung ins Boot geholt hat.

Was Ming-Chi Kuo sagt

Ming-Chi Kuo hat nie bestätigte Informationen. Daher sind seine Angaben Gerüchte und Mutmassungen. Sie stimmen zwar öfter als die Behauptungen anderer, aber wenn du an der Migros-Kasse so einfach mal fallen lässt, dass Apple an einer bemannten Marsmission arbeitet, hat das genauso viel effektiven Wahrheitsgehalt wie eine der Voraussagen Ming-Chi Kuos. Als Analyst für TF Securities hat Kuo Einblick in die Finanzmärkte und, so vermuten die Analysten, die den Analysten analysieren, in Apples Supply Chain. Er wisse also, welche Teile Apple wo in welchen Sektor investiert und könne so seine Voraussagen treffen. Kuo selbst hält sich bedeckt, was seine Quellen angeht.

Apple soll also laut Kuo irgendwann zwischen 2023 und 2025 ein Auto auf den Markt bringen. Das Fahrzeug soll auf der Basis von Hyundais E-GMP Elektroplattform gebaut werden.

Soll. Denn die Geschichte um die Plattform, auf der Apple sein Apple Car, oder iCar – ich freue mich ja auf das iCar 8 Pro Max –, oder wie auch immer das Teil dann heissen wird, ist etwas verwirrend. Sollte das Apple Car iCar denn je existieren.

Das Apple Car soll auf Basis der Plattform Hyundais entstehen
Das Apple Car soll auf Basis der Plattform Hyundais entstehen

Apple soll mit Hyundai über E-GMP verhandeln. E-GMP gleicht einem Modell, das das kalifornische Start-Up Canoo erfunden hat. Das Canoo Skateboard ist eine voll funktionsfähige Elektroautoplattform, die einen Grossteil der Fahrzeugelektronik in einem Unterbau vereint. Autohersteller sollen diese kaufen und/oder lizenzieren und ihre eigenen Fahrzeuge auf Canoo-Basis herstellen. Darunter sei auch Apple, heisst es im Januar 2021. Das beisst sich mit der Tatsache, dass Canoo mit Hyundai gemeinsam eine Elektroplattform entwickelt hat; im Februar 2020. Das Resultat dieser Zusammenarbeit könnte die E-GMP-Plattform sein, die im Dezember 2020 vorgestellt wurde.

Apple soll also, angenommen alles stimmt, mit Hyundai über eine auf Canoo-Basis hergestellte Technologie verhandeln. Und gleichzeitig soll Apple mit Canoo über eine auf Canoo-Basis hergestellte Technologie verhandeln.

Darauf basierend kann Ming-Chi Kuo mit unbekanntem Insider-Wissen ableiten, dass zwischen 2023 und 2025 ein Apple Car auf den Markt kommt. MacCar Pro, vielleicht?

Woran Apple arbeitet

Apple hält sich als Teil seiner Kommunikationsstrategie stets bedeckt, wenn es um tägliche News oder «Dinge, die da kommen könnten» geht. Anfragen werden stets mit einem «Kein Kommentar» beantwortet. Fair enough.

Das aber führt dazu, dass eine Art Mythos Apple entsteht. Den Konzern, den sich Fans, Kritiker und der Rest der Welt in ihren Köpfen zusammenreimen.

Oder halt auch Stellenbesetzungen und Recruiting. Und genau das ist es, was am stärksten auf ein Apple Car hinweist.

  • Im Jahr 2016 hat Apple Tesla-Vizepräsident Chris Porritt abgeworben, der schon bei Land Rover und Aston Martin ein hohes Tier war. Er ist mittlerweile nicht mehr bei Apple, sondern bei Rimac.
  • Anno 2015 hat Apple David Nelson Tesla ausgespannt und in ein Team gesteckt, das aus Menschen besteht, die alle einschlägige Erfahrung mit Autos haben
  • Im Jahr 2015 soll Steve Zadesky, Ex-Ford-Engineer, die Arbeit an Project Titan übernommen haben. Das Projektteam besteht aus Menschen aus der Autoszene. Zadesky selbst ist seit 2019 nicht mehr bei Apple.
  • Zu Zadeskys Team ist 2015 Robert Gough gestossen. Er war Software Engineer bei Autoliv
  • Auch dabei: Pete Augenbergs, Ex Mechanical Engineer bei Tesla. Er ist 2008 zu Apple gestossen und ist dort aktuell «Senior Manager Product Design».
  • Hugh Jay ist im Januar 2015 zu Apple gestossen. Er bringt dem Unternehmen Erfahrung als Engineer für Gangschaltungen in Autos. Er ist auch der, der am ehesten Einblick in die Tätigkeit Zadeskys Teams gibt: Autonomous Systems. Mittlerweile aber arbeitet Jay am iPhone mit, kümmert sich dort um die Integration des OLED Screens
  • John Ireland, Ex-Tesla und seit 2013 bei Apple, bringt Testerfahrung für Power Trains mit
  • Mujeeb Ijaz, seit 2014 bei Apple, bringt Erfahrung in Punkto Lithium-Ionen-Batterie
  • Rui Guan, Drive Train Engineer, seit 2014 bei Apple
  • David Perner, Ex-Ford Engineer, hat bei seinem ehemaligen Arbeitgeber an Hybridautos gearbeitet, vornehmlich auf Softwareseite. Er hat bei Apple Runtimes und Metriken verbessert. Seit 2018 aber ist er nicht mehr bei Apple.
  • Sebastien Marineau ist seit 2014 bei Apple, hat vorher bei Blackberry und noch früher bei Blackberrys QNX gearbeitet. QNX ist eine Auto-Software-Plattform, auf der aktuell 175 Millionen Fahrzeuge laufen

Das Team soll aus bis zu 1000 Personen bestehen und an Project Titan arbeiten. Project Titan, so weit bekannt, sei die Entwicklung eines Elektrofahrzeuges. Denn nur für Software oder einige Komponenten wie Apple Car Play, das oben auf der bestehenden Auto-Software läuft, ist das viel zu viel Manpower mit viel zu viel Expertise, die einschlägig in der Autobranche liegt aber nicht direkt softwarerelevant ist.

Project Titan kann, sollte es dann tatsächlich das Auto-Projekt sein, zusammengestückelt werden aus Patenten, die Apple eingereicht hat:

  1. Automatisch getönte Scheiben: Das Patent nennt spezifisch «Fahrzeuge»
  2. Stossdämpfer
  3. Sensoren für tote Winkel, Lidar-Technologie
  4. Sicherheitsgurte
  5. Tiefensensoren auf ToF-Basis in einem Frontscheinwerfer
  6. Klimaanlage
  7. Situational Awareness, sprich Sensoren, die über die aktuellen Umweltfaktoren Bescheid wissen sollen
  8. 3D Umgebungssensoren auf Lidar-Basis
  9. Gefahrensensor für Fahrzeuge
  10. Holografisches Heads-up Display
  11. Objekterkennung via Lidar
  12. Schiebedach
  13. Elektrische Verbindungen am Bremssystem
  14. Elektrisch tönbare Scheiben zum Zweiten
  15. Sensor Case an einem Fahrzeug
  16. Lidar-Sensoren hinter einer Scheibe
  17. Beheizte Fenster
  18. Lidar-Sensoren an einem Fahrzeug
  19. Autonome Vehicle-to-Vehicle-Kommunikation
  20. Lösungen für autonome oder halbautonome Fahrzeuge
  21. Autonomes Sensorkalibrierungssystem in einem Fahrzeug
  22. Entscheidungssytem für autonome Fahrzeuge
  23. Fahrzeugkameras
  24. Klimakontrolle
  25. Windschutzscheibe mit Augmented Reality Display
  26. Schutz vor dynamischen Elementen in der direkten Umgebung eines Fahrzeuges, also eine Art Warnsystem für wenn ein Auto unter Wasser ist oder dergleichen
  27. System mit Fenstern, wie beispielsweise ein Fahrzeug
  28. Bremssystem
  29. Airbags, auch für gegenüberliegende Sitze
  30. Charging-Station für elektrische Fahrzeuge
  31. Verdeckter Türöffnungsmechanismus an einem Fahrzeug
  32. Displays in Armaturen
  33. Fahrzeugtüren
  34. Airbags in Sicherheitsgurten
  35. «System mit einem Fenster, wie zum Beispiel ein Fahrzeug»
  36. «Kognitives Routing für Fahrzeuge»
  37. Elektrischer Schleifringläufermotor
  38. Autositze mit adaptiver Oberfläche
  39. Befestigung von Autoverglasung
  40. System zur Auffindung von mobilen Geräten in einem Fahrzeug
  41. System zur Verbesserung der Funktionalität von Rückspiegeln in einem Fahrzeug, die eine Art Projektor vorsieht, der Daten auf dem Seitenfenster des Autos anzeigt
  42. System zur Berechnung der Traktion eines Fahrzeugs
  43. Im Chassis integrierter Controller

Und das sind noch nicht ganz alle Patente, die Apple eingereicht hat, die auf ein Fahrzeug hinweisen. Viele sind auch Patente, die anderswo gebraucht werden könnten. Da ist eines, das eine Art «smart hinge», also ein smartes Scharnier zeigt, das auch in Macbooks Anwendung finden könnte. Doch die Liste zeigt, dass die Patente weit mehr umfassen, als das Feature Set CarPlays.

Es ist aber unklar, ob all die Features, die in den Patenten beschrieben werden, tatsächlich im theoretischen Apple Car verbaut werden. Oft reichen Firmen Patente ein für den Fall, dass sie dereinst mal gebraucht werden könnten. Es kann also sein, dass die Rückspiegel mit Projektoren, die Daten auf die Scheibe projizieren, erst im Apple Car 2 kommen werden. Oder gar nie.

Die Idee eines Apple-Autos beflügelt aber die Fantasie von Fans und Designern weltweit. In einem Wettbewerb der Site Freelancer.com haben über 200 Designer ihrer Fantasie freien lauf gelassen. Einige Designs habe ich zur Illustration dieses Artikels verwendet.

Apropos QNX. Die Software aus dem Hause Blackberry dürfte im Rennen um das Smart Car der grosse Verlierer sein. Denn bis dato war QNX mehr oder weniger der Platzhirsch. Wenn Google und Apple da einsteigen, dann dürfte die Luft für die alternde Software QNX dünner werden.

Warum Apple ein eigenes Auto bauen muss

Apple ist kein Team Player. Das hat einen guten Grund. Im Smartphone-Bereich ist es so, dass es am Ende nur Zufall ist, dass Apple und Google je ein Betriebssystem für Phones herausbringen, die am Ende dasselbe tun. Denn der Weg dahin ist radikal anders.

Wo Google Software entwickelt, diese der Welt gratis zur Verfügung stellt und dann mit den gesammelten Daten sowie Microtransactions im App Store Geld macht, geht Apple das anders an. Apple hat stets die strikte Kontrolle über das eigene Produkt, wo Google die Kontrolle nach der Etablierung einer Basis mehr oder weniger komplett aufgibt. Das Resultat: Googles Android ist stark fragmentiert und sieht mal so, mal so, aus, wird auch dann und wann wieder aktualisiert. Von einer einheitlichen Benutzeroberfläche und einer einheitlichen Strategie ist ausserhalb des Kernteams Androids nicht zu reden.

Apple hingegen schwurbelt gerne öffentlich etwas von «physischen Objekt, das in der Erfahrung verschwindet» und «Die gemeinsame Entwicklung von Phone und Display definiert eine komplett neue Integration» daher. Das aber ergibt, bei genauerem Hinsehen und abseits dem pseudo-esoterischen Gerede von Ex-Apple-Designer Jony Ive, durchaus Sinn.

In der Praxis bedeutet das nichts anderes, als dass Apple die Benutzer-Experience als oberste Priorität ansieht. Nebst dem Absatz, denn Apple sowie Google müssen irgendwo Geld machen. Damit du als Benutzer ein möglichst einheitliches und mit sich selbst harmonierendes Erlebnis hast, muss Apple die Kontrolle über alle Komponenten des Smartphones haben. Oder des Geräts, das du gerade benutzt. Jüngstes Beispiel: Das Macbook hat von Intel Chips auf die von Apple entwickelte M1-Plattform gewechselt. Die Leistung ist der der Vorgänger in praktisch jeder Hinsicht weit überlegen und ich möchte nie mehr ein Laptop, das kein Apple Macbook ist.

Das Konzept funktioniert sehr gut.

Die Konsequenz für die Nutzer ist die, dass wenn Apple etwas ankündigt, dann wird es mehr oder weniger gleichzeitig weltweit auf allen Geräten ausgerollt. Apple-CEO Tim Cook kündigt ein grosses Update an? Du kannst darauf wetten, dass dein iPhone binnen 24 Stunden meint, dass es gerne aktualisiert würde. An eine Android'sche Fragmentierung ist nicht zu denken. Diese Kontrolle ist es auch, das eine Abwärtskompatibilität ermöglicht, wie es sie sonst auf dem Markt selten gibt. Dein iPhone 7 funktioniert noch genauso gut – abgesehen, wahrscheinlich, vom Akku – wie mein iPhone 12 Pro Max, selbst wenn Jahre zwischen den beiden Geräten vergangen sind.

Die Implementation neuer Features dauert daher in der Regel ewig. Jüngst hat Apple Widgets unter iOS eingeführt. Android hat dieses Feature schon lange und es wurde schon x-mal totgesagt. Zu fragmentiert unter Android. Die Einheitlichkeit und Integration soll es bei Apple zum Erfolg verhelfen. Dazu testet der Konzern aus Cupertino seine neuen Features rigoros und lässt sie erst auf die Menschheit los, wenn ein hoher Standard an Sorgenfreiheit erreicht ist.

Kurz: Wenn du dir ein Apple-Produkt kaufst, dann sollst du es auspacken, die Packung recyceln und dir nie wieder Sorgen um die Technologie machen.

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Bei Android hingegen geht das zwar auch, aber wenn du Updates willst, wird das schwierig. Wenn du Features willst, dann kannst du unter Umständen lange warten. Dafür aber hat Android mehr Reiz für Bastler und Pioniere.

Auf Autos umgemünzt lässt das nur einen Schluss zu: Apple muss ein eigenes Auto bauen.

Das Auto als Part des Ökosystems

Apple dürfte das Auto dann auch nicht als «das Teil, das in der Garage steht, das Software braucht» verstehen, sondern als Part des mittlerweile doch recht breiten Ökosystems des Unternehmens. Interkonnektivität mit allen anderen Geräten dürfte gross geschrieben werden. Sprich: Wenn du dein Haus verlässt, merkt dein HomePod, dass dein iPhone sich in Richtung Auto bewegt. Dein Apple Car öffnet die Türen, wenn du die entsprechenden Berechtigungen hast und aktiviert den Drive Train, was bei Elektrofahrzeugen den ganzen Zündvorgang und das ganze Motorzeug ersetzt. Die Musik von Apple Music wird, sobald die Autotür offen ist, aus dem Autoradio von Beats oder Apple düdeln.

Zu all dem gehört das Hardware Design. Wenn Apple auch beim Auto seinen Kurs beibehält, dann wird der Konzern aus Cupertino genau wissen, was das Steuerrad tut, wie es sich anfühlt und unter so ziemlich allen möglichen Bedingungen reagiert. Dasselbe gilt für Pedale und so ziemlich jeden Knopf, der das Apple Car haben dürfte.

Das Hardware Design ist dann auch der grosse Knackpunkt, bei dem Augenbrauen hochgehen. Apple hat so die Angewohnheit, mit Industriestandards zu brechen, wenn es um Anschlüsse geht. Historisch ist das nirgendwo besser als beim iPad zu sehen. Zuerst wurden iPhone und iPad mit dem Lightning Adapter geladen. Dann ist das iPad zu USB-C gewechselt, das iPhone ist aber bei Lightning geblieben. Hingegen hat das Macbook von MagSafe Charging zu USB-C gewechselt. Damit steht das iPhone jetzt schief in der Landschaft mit seinem Lightning-Kabel.

Bei Elektrofahrzeugen hat sich die Industrie vorerst mal auf den Combined Charging Standard CCS geeinigt. CCS2 hat sich zumindest in Europa gegen CHAdeMO und GB/T durchgesetzt. Japan setzt auf CHAdeMO, China mag GB/T und Tesla hat seine eigene Charger-Technologie, die CCS2 aufs Haar gleicht aber einen Zacken mehr im Stecker hat, der ihn inkompatibel mit irgendetwas ausser Tesla macht.

Droht uns Apple Car Charge?

Nettes kleines Detail: Bisher gibt es noch keine Anzeichen dafür, dass ein Apple Car mit Benzinmotor gebaut werden soll oder in Entwicklung ist.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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