
Hintergrund
Warum ich langweilige Filme mag
von David Lee
Gewalt auf der Leinwand lebt, wie jeder andere Film auch, vom Detailverliebtheitsgrad. Ein Paradebeispiel dafür ist «Saving Private Ryan». Ein Blick auf Blut, Grausamkeit und einen Daumen.
Omaha Beach war ein Massaker. Am 6. Juni 1944 liessen 1465 Amerikaner dort ihr Leben, als sie von Fähren an Land gingen. Direkt ins Maschinengewehrfeuer der deutschen Besatzer Frankreichs. Zu ihnen gesellten sich 3184 Verwundete, 1928 Vermisste und 26 Gefangene. Als die Infanteristen die raue See überstanden hatten, – teilweise nur, weils sie mit ihren Helmen Wasser aus den Landungspontonen geschöpft haben –, mussten sie einsehen, dass das vorangegangene Bombardement der Stellungen am Strand nichts gebracht hatte.
Dennoch, die Operation war ein Erfolg für die Alliierten. Die 43 250 alliierten Infanteristen sicherten den Strand und schafften so einen Stützpunkt für Landoperationen auf dem europäischen Festland.
Diese Szenen bestimmen die ersten Minuten des Hollywood-Films «Saving Private Ryan», auf Deutsch «Der Soldat James Ryan». Sie zeigen die Detailverliebtheit des Regisseurs, der Szenenbildner, der Schauspieler und Drehbuchautoren. Wo «Lord of the Rings» den Fokus auf das Wunderschöne legt, akzentuiert Private Ryan das Hässliche, das Blut und die Gewalt. Damit erschüttert der Film und ist auch 20 Jahre nach der Veröffentlichung und 74 Jahre nach der Landung in Omaha Beach eindrücklich.
Zeit, einige dieser Details besonders hervorzuheben.
Als die Truppen um John H. Miller (Tom Hanks), Captain der Army Rangers, landen, geraten sie in schweres Feuer. Inmitten des Gemetzels führt ein Sanitäter einen verzweifelten Kampf um das Leben eines längst Verlorenen. Da trifft ihn eine Kugel in den Unterleib, durch seine Wasserflasche hindurch. Die Flasche leckt zuerst Wasser, dann Blut.
Es sind diese Details – genau wie die Soldaten, die nicht schwimmen können, weil ihre Ausrüstung zu schwer wiegt –, die den Film ausmachen. Der Mangel an Soundtrack lässt dich als Zuschauer dann auch noch mit deinen Emotionen alleine.
Im späteren Verlauf des Films suchen Miller und seine Truppe – sie haben Omaha Beach hinter sich gelassen – Private James Ryan (Matt Damon). Dieser soll zu seiner Familie zurückgebracht werden, als letzter Überlebender von vier Brüdern. Das Problem: Keiner weiss so genau, wo Ryan eigentlich ist.
In einem Dorf dann trifft Private Caparzo (Vin Diesel) ein Mädchen, das ihn an seine Nichte erinnert. Er will sie in Sicherheit bringen. Zwischen den Soldaten in Millers Company entbrennt ein Streit. Caparzo hebt die Hand und wird von einem Scharfschützen verwundet.
Der deutsche Scharfschütze hat lange freie Sicht auf die ganze Truppe Amerikaner. Er wartet ab. Der Grund: Er will wissen, wer das Kommando hat. Nach dem ersten Schuss aber, das weiss der Scharfschütze, wird jedes Gewehr auf dem Boden nach ihm suchen. Er versucht also, den kommandierenden Offizier zu erschiessen. Denn dann sind die Truppen kopflos und müssen sich zuerst neu organisieren. Zeit, die er zur Flucht oder Neupositionierung nutzen kann.
Diese Taktik wird in Kriegen immer wieder eingesetzt. Im zweiten Weltkrieg haben im Pazifikkrieg die Soldaten keine Rangabzeichen und keine medizinischen Kreuze getragen. Dazu keine Salute und keiner wurde mit «Sir» oder «Captain» angesprochen, für den Fall, dass ein Heckenschütze mithört und sich so Ziele aussucht.
Der deutsche Scharfschütze, der Caparzo erschiesst, wird von einem alliierten Scharfschützen zur Strecke gebracht. Private Jackson (Barry Pepper) erschiesst den Deutschen (Leo Stransky) mit einem gekonnten Schuss durch sein Zielfernrohr. Ikonischerweise spricht Jackson dabei ein Gebet und brennt sich ins Filmgedächtnis unserer Kultur ein.
Im Laufe des ganzen Films ist der rechte Daumennagel des Amerikaners blutunterlaufen. Jackson ist Linkshänder, hat also den linken Zeigfinger am Abzug. Da sein Gewehr aber für Rechtshänder gemacht ist, muss er umgreifen oder mit seiner nicht-dominanten Hand nachladen. In Spannungssituationen wie einem Krieg kann er sich schnell vergreifen und den Daumen im Verschluss seines Gewehrs einklemmen.
Auch interessant: Das Zielfernrohr des Scharfschützen Jackson ist falsch eingestellt. Das Kreuz zeigt immer rechts neben sein Ziel und Jackson korrigiert von Auge.
Dies sind nur einige der Details, die «Saving Private Ryan» zu einem Meisterwerk der Filmgeschichte machen. Denn eine gute Filmgeschichte lebt am Ende von den kleinsten Details, von Dingen, die du zwar siehst aber nicht wahrnimmst. Filme leben von einer Wasserflasche, etwas Geduld oder einem Daumen, zum Beispiel.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.