

Wenn Kompaktkameras ausgedient haben, wieso gibt es die Ricoh GR III?
Kompaktkameras haben es schwer neben den immer besseren Smartphone-Kameras. In Nischen können sie sich aber immer noch behaupten. Sonst hätte Ricoh bestimmt nicht das neue Modell GR III lanciert. Oder?
Kompaktkameras waren ursprünglich als ständige Begleiter gedacht, damit du keine Gelegenheit zum Fotografieren verpasst. Also hauptsächlich für Schnappschüsse. Doch heute übernimmt diese Funktion dein Smartphone.
Trotzdem kommen auch im Jahr 2019 immer noch neue Kompaktkameras auf den Markt. Wie zum Beispiel die Ricoh GR III, die ich gerade ausprobiert habe.

Drei Gründe, die für Kompaktkameras sprechen
Das bringt mich auf eine grundsätzliche Frage: Wer kauft sich heute noch eine Kompaktkamera – und wozu? Noch dazu, wenn sie so teuer ist?
Kompaktkamera-Grund Nr. 1: Der Zoomfaktor
Smartphones können nach wie vor nicht richtig zoomen. Sie haben zwar meist mehrere Objektive mit unterschiedlichem Bildausschnitt, aber das ist nicht vergleichbar mit einem richtigen Zoom-Objektiv. Selbst die angekündigte Periskop-Technologie von Oppo dürfte in der Qualität nicht an das Objektiv einer Kompaktkamera herankommen.
Weil sie sich damit von den Smartphones abheben können, haben die Kamerahersteller die Zoomfähigkeiten in Kompaktkameras ans Limit gepusht. Hier hat Panasonic zum Beispiel ein 15-fach-Zoom in einem kompakten Gehäuse untergebracht.
Kompaktkamera-Grund Nr. 2: Die Bildqualität
Die Sensoren und Objektive bei Smartphones sind aufgrund ihrer winzigen Abmessungen limitiert. Zwar ist es den Smartphone-Herstellern gelungen, diese Mängel durch Software-Tricks abzumildern. Was das Huawei P30 leistet, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, ist schon beeindruckend. Doch rein physikalisch gesehen bleibt ein Nachteil gegenüber Geräten mit grossen Sensoren. Diese durch Mehrfachaufnahmen und «künstlicher Intelligenz» zusammengerechneten Bilder sind ausserdem nicht jedermanns Sache. Mich stört vor allem, dass ich keinerlei Kontrolle darüber habe, was genau passiert. Teilweise rechnet die KI groteske Fehler herbei.
Am Punkt der Bildqualität setzt beispielsweise Sony mit seiner RX100-Reihe an – bis heute sehr erfolgreich.
Kompaktkamera-Grund: Nr. 3: Die Bedienung
Beim Smartphone hast du keinen rechten Griff. Du verdeckst manchmal mit deinen Fingern das Objektiv. Du kannst nichts blind erfühlen, sondern musst immer auf den Bildschirm schauen. Seien wir ehrlich: Kamera-Einstellungen am Smartphone vorzunehmen, ist ein Gefummel. Je mehr Möglichkeiten eine App zur Verfügung stellt, desto schlimmer wird es. Kein Wunder, knipsen alle mit Vollautomatik.
Kompaktkameras dagegen haben ergonomisch angeordnete Knöpfe, Tasten, Räder und Steuerkreuze. Häufige Einstellungen sind sofort griffbereit. Die manuellen Einstellungen sind nicht nur eine theoretische Möglichkeit, sondern tatsächlich brauchbar.

In welche Nische passt die Ricoh GR III?
Ich habe Zoom, Bildqualität und Bedienung als die drei Hauptargumente für Kompaktkameras genannt. Wie passt nun die Ricoh GR III da rein? Erfüllt die Kamera diese Anforderungen?
Das Zoom-Argument ist schnell abgehandelt: Die Ricoh GR III hat kein Zoom. Sie hat ein Weitwinkel-Objektiv mit unveränderbarem Bildausschnitt – also ganz ähnlich wie ein Smartphone. Hier gibt es keinen Vorteil.
Die Bildqualität: Gut, könnte aber noch besser sein
Die Kamera hat einen Sensor in der Grösse APS-C. Das ist für eine Kamera dieser Grösse extrem gross. Der Sensor ist zum Beispiel grösser als bei den Systemkameras von Olympus und Panasonic. Die Beschränkung auf einen festen Weitwinkel macht einen APS-C-Sensor in diesem kompakten Gehäuse erst möglich. Auf die Zoomfähigkeit hat Ricoh also zugunsten des grossen Sensors verzichtet.
Die Ricoh GR III hat im Gegensatz zum Vorgängermodell einen eingebauten Bildstabilisator. In Kombination mit dem Weitwinkelobjektiv kann ich so 1/10 Sekunde aus der freien Hand belichten, mit etwas Glück sogar noch länger. Das führt dazu, dass ich kaum je mehr als 1600 ISO benötige. Und bei diesem ISO-Wert stimmt die Qualität.


Sollte es allerdings doch einmal nötig sein, mit sehr hohen ISO-Werten zu fotografieren, dann bleibt die Bildqualität deutlich hinter meiner Nikon D7500 zurück. Diese hat ebenfalls einen APS-C-Sensor, das Bildrauschen sollte also ungefähr auf dem gleichen Niveau sein. Ist es aber nicht, da gibt es nichts schönzureden.


Die Bedienung: Volle Punktzahl
Bleibt noch die Bedienung. Das Erste, was auffällt: Die Kamera ist sehr schnell ein- und ausgeschaltet. Das ist wichtig bei einer Kamera, die auf Schnappschüsse und Street Photography ausgelegt ist, und ein Schwachpunkt vieler anderer Kompaktkameras.
Die Rädchen sind klein, ich komme aber problemlos damit zurecht, ohne hinzusehen. Sie machen einen soliden Eindruck. Mir passiert es bei dieser Kamera auch nicht, dass ich unabsichtlich etwas verstelle. Das Moduswählrad ist arretiert und kann nicht versehentlich gedreht werden. Es bewegt sich nur, wenn ich gleichzeitig auf den kleinen Entsicherungsknopf drücke.

Wichtiger als gedacht: Der Makromodus lässt sich mit einem Klick ein- und ausschalten. Im normalen Modus kannst du bis auf zehn Zentimeter ran, das ist schon recht gut. Im Makromodus sind es sechs Zentimeter. Bei mehr als zwölf Zentimeter ist der Makromodus allerdings unfähig, scharf zu stellen. Daher muss ich oft hin und her wechseln und bin froh, dass das so einfach geht.
Auch sonst ist der Autofokus leicht zu bedienen und zu verstehen. Das Fokusfeld verschiebe ich einfach mit dem Steuerkreuz. Damit dies nicht versehentlich geschieht, muss ich zuerst die OK-Taste drücken. Ein Tipp auf die Wippe öffnet das Schnellmenü, aus dem sich der Fokusmodus ändern lässt.
In diesem Schnellmenü sind auch andere wichtige Dinge direkt zu erreichen: Belichtungsmessung, RAW/JPEG, Bildschirmhelligkeit und Bildstile. Falls du andere Einstellungen schnell erreichen willst, lässt sich das Quick Menü deinen Bedürfnissen anpassen.
Disp blendet wichtige Aufnahmedaten ein, ohne den Bildschirm zuzumüllen. Sehr gut gelöst ist meiner Meinung nach die horizontale und vertikale Wasserwaage. Platzsparend und übersichtlich.

Für ISO, Weissabgleich und Betriebsmodus gibt es separate Tasten. Die Wippe dient der Belichtungskorrektur. Du kannst drei Benutzermodi abspeichern.
Der Löschvorgang ist vom Feinsten. Habe ich mit RAW und JPEG fotografiert, kann ich jedes Mal wählen, ob ich beides, nur das RAW oder nur das JPEG löschen will. Nach dem Löschen muss ich nicht erst wieder die Löschtaste drücken, wie das bei den meisten anderen Kameras der Fall ist, sondern ich kann so lange mit dem Löschen von Einzelbildern fortfahren, bis ich abbreche. Super!

Auf mich wirkt das alles sehr durchdacht, ausgereift und übersichtlich. Ich habe noch nie mit einer Ricoh fotografiert und komme auf Anhieb perfekt zurecht, obwohl die Kamera recht komplex ist.
Und sonst so?
Die Kamera hat 2 GB internen Speicher. Das reicht für 140 JPEGs oder 40 RAW-Fotos. Superpraktisch, gerade für so Typen wie mich, die gerne mal ohne Speicherkarte abdüsen. Eigentlich unverständlich, wieso heutzutage nicht alle Kameras einen anständigen internen Speicher haben.
Weniger begeistert bin ich von der Akkulaufzeit. Sie reicht gerade so knapp für einen Tagesausflug. Mit dem mitgelieferten Ladegerät lässt sich die Batterie nur via Kamera laden. Selbst wenn du zwei Akkus hast, musst du also beide im Voraus aufladen.

Die Kamera beherrscht Intervallaufnahmen und Mehrfachbelichtung. Beides ist miteinander kombinierbar. Besonders schnell sind weder der Autofokus noch die Serienbilder (4 fps). Aber das macht nichts, weil die Kamera vom ganzen Konzept her nicht auf Sport und Action ausgelegt ist. Ach ja: Ein beweglicher Bildschirm wäre für Vlogging und Makroaufnahmen nett gewesen.
Fazit
Die Bildqualität ist völlig in Ordnung, allerdings weniger gut als bei anderen APS-C-Kameras. Gegenüber einem heutigen Smartphone mit Top-Kamera ist das kein Argument. Die Bedienung hingegen schon. Sie ist etwas vom Besten, was ich je bei einer Kompaktkamera gesehen habe. Weil die Ricoh GR III auch sehr zuverlässig und robust wirkt, macht es einfach Spass, immer und überall mit ihr zu fotografieren – und das ist das Wichtigste für gute Bilder.
Die Ricoh hat somit einen ähnlichen Anwendungsbereich wie eine Smartphone-Kamera: Hauptsächlich Schnappschüsse und Street Photography, zwischendurch mal eine Landschaftsaufnahme – das alles aber mit besserer Bedienung. Das ist zugegebenermassen eine sehr spezielle Nische. Doch ich mag es, wenn sich ein Hersteller besonderen Bedürfnissen annimmt, statt die breite Masse zu bedienen.
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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.