
Samsung Galaxy S10 und S10+: Der letzte Aufschrei einer Generation?

Nach einer Woche mit den neuen Flaggschiffen Samsungs, dem Samsung Galaxy S10 und dem S10+, können wir sagen: Die Geräte sind gut, haben aber recht auffällige Macken.
«Hast du ein iPhone oder ein Samsung?» Das war einst die Frage, die auf Pausenplätzen, vor der Migros oder an der Bushaltestelle gestellt wurde. So dominierend waren Samsungs Smartphones der Galaxy-S-Serie. Das könnte nun enden. Aber das Samsung Galaxy S10 und seine grössere Schwester, das S10+, sind nicht schuld daran. Die Unterschiede zwischen den zwei Geräten halten sich in Grenzen. Im Wesentlichen: Das S10 ist kleiner, das S10+ ist grösser. Echt, imfall. Der Vergleich zeigt, dass sich die Unterschiede im Wesentlichen auf die physische Grösse des Geräts beschränken.

Nach einer Woche Testphase ziehen Videoproduzentin Stephanie Tresch und ich Résumée über zwei Drittel einer Generation Smartphones, die wir so wohl bald nicht mehr kennen werden. Denn die Zukunft wird faltbar.
Eine kleine Anmerkung, bevor wir hier Review machen: Die beiden Geräte, die wir haben, könnten Vorserienmodelle sein. Sie sind etwa eine Woche vor Verkaufsstart ohne irgendwelche weiteren Anmerkungen auf meinem Pult aufgetaucht. Die Hardware ist final, so weit ich das beurteilen kann, die Software… Tja, die Software. Dazu kommen wir später.
Eins frisst Akku, das andere nicht
Ein Blick ein Jahr zurück. Stephanie und ich testen die S9-Serie. Das S9 frisst Akku wie blöd, das S9+ etwas weniger. Das war unser Hauptkritikpunkt. Natürlich gilt der Akkuleistung und der allgemeinen Performance der S10-Serie daher unser Hauptaugenmerk. Samsung hat viel an der Software geschliffen. Bixby ist noch tiefer integriert worden und taucht an Orten auf, die du nicht vermuten würdest. Samsung Experience ist durch One UI abgelöst worden. Gesten haben auf Wunsch die drei Knöpfe unten ersetzt.

Beim S10 hat Samsung das begriffen. Das Phone überlebt locker einen Arbeitstag mit überdurchschnittlich hohem Gebrauch. Spotify, Netflix, Signal, WhatsApp und so weiter. Das S10 macht alles mit und hat am Ende noch Saft.
Beim S10+ aber sieht das anders aus. Nach 13 Stunden ist der Akku nach Plex, Spotify, Netflix, Signal, WhatsApp und so weiter bei 15% und das Smartphone beschwert sich, dass es aufgeladen werden will. So ergibt das Power Sharing Feature, mit dem du andere Smartphones kabellos aufladen kannst, wenig Sinn. Denn die Funktion basiert zumindest implizit darauf, dass du den Akku selbst nicht brauchst, um durch den Tag zu kommen.
Wo Huawei Geräte macht, die so plusminus 36 Stunden bei ähnlichem Verbrauch überleben, schleift sich Samsungs S10+ gerade mal so durch den Tag. Das wäre an und für sich okay, wenn Samsung hinstehen würde und sagt «Leute, unsere Akkus sind so konzipiert, dass du durch einen Arbeitstag kommst. Wir machen so viel Leistung in die Phones, dass das manchmal etwas knapp wird, aber wir haben das im Griff». Aber sich mit grossem Akku brüsten und dann irgendwie unterdurchschnittlich schlecht abschneiden, vor allem im Vergleich mit Flaggschiffen vom vergangenen Jahr, das hinterlässt einen etwas faden Nachgeschmack.
Die gute Schwere
Stephanie und ich sind uns aber beide einig: Die Geräte liegen extrem gut in der Hand. Sowohl das S10 wie auch das S10+ sind griffig und haben – und das macht einen grossen Teil des Charmes des Geräts aus – ein wirklich schönes Gewicht. Die 165 beziehungsweise 175 Gramm ohne Sim-Karte treffen bei den entsprechenden Formfaktoren wirklich einen Punkt, bei dem du das Gefühl hast, etwas Robustes in den Händen zu halten, ohne dass es dich gross runterzieht. Eigentlich habe ich den Sweet Spot des Smartphone-Gewichts bei irgendwo zwischen 190 und 210 Gramm festgemacht, ausser bei Rugged Phones, aber Samsung überrascht hier.

Ähnlich überraschend ist die Farbwahl. Stephanies S10 ist grün. Spannend. Sie hat ihr Phone vorsichtshalber in ein Case gepackt. Schwarz. Langweilig.
Ihr scheint ihr S10 mit Case aber schwerer als ihr normales Einsatz-Phone, das Note 9 in einer Otterbox. Dass das nicht stimmen kann, ist offensichtlich. Daher hat sich die Videoproduzentin Gedanken gemacht. Es liegt daran, dass das S10 locker einhändig bedient werden kann, auch mit kleinen Händen, und du es daher eher in einer Hand hältst. Dazu die Griffigkeit, die auch mit Case nicht verloren geht.
Die einhändige Bedienung kommt unter anderem beim Telefonieren zum Tragen. Ja, dann und wann telefonieren wir mit Smartphones. Soll's geben. Das ist einer der Orte, an denen Samsung gearbeitet hat. Die Gesprächsqualität ist so gut, dass sie derjenigen des Cat S61 Konkurrenz macht. Sogar im grössten Lärm eines Grossraumbüros oder im Pendlerverkehr am Zürcher Hauptbahnhof sind Gespräche ohne langwieriges «Häh?» oder «Was hast du gesagt?» möglich. Samsung, damit solltest du Werbung machen. Klar, das ist etwas brötig, so «mit unserem 1000-Stutz-Flaggschiff kannst du toll telefonieren», aber sowas muss erwähnt werden. Denn wir beide telefonieren merklich mehr mit den Geräten.
Notch oder Hole Punch? Macht das überhaupt einen Unterschied?
Stephanies Note 9 beeindruckt mit dem wirklich schönen und gut ausgeleuchteten Bildschirm. Filme, Serien, Pornhub- und Youtube-Videos und dergleichen sehen beeindruckend aus. Das hat Samsung in der S10-Serie weitergeführt. Wenn das Phone schon zum grossen Teil vorne aus Bildschirm zu bestehen hat, dann sollte der auch gut sein. Dieser Bildschirm ist nicht nur gut, sondern sehr gut. Die Farben leuchten, das Amoled-Schwarz nicht.
Wenn du die Menüs und alles auf Dark Mode einstellst, dann ist der Kontrast noch präsenter und beeindruckender. Also wenn du gerne Videos auf deinem Phone schaust, dann blick mal auf den Galaxy-Bildschirm.
Beim Betrachten aber wird dir schnell das Ding mit der Selfie Cam auffallen. Denn die beiden Phones haben den von Samsung patentierten Infinity-O-Formfaktor.

Der ist irgendwie seltsam. Ich bin mir nicht sicher, ob das Loch im Bildschirm besser ist als ein Notch. Beides stört mich eigentlich im täglichen Gebrauch nicht, aber es macht auch kaum einen Unterschied. Es sei denn natürlich, dass das Loch eigentlich nur eine Übergangslösung ist zur Kamera unter dem Bildschirm. Mit dem Infinity-O hast du jetzt oben und rechts ein paar Pixel. Wozu? Mit denen kannst du genau gar nichts anfangen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass für die runden Aussparungen am Screen viel Wissen und Entwicklung draufgegangen sind, aber so richtig grossartig ist das nicht. Infinity-O ist okay. Mehr nicht.
Weit weniger okay ist der Fingerprint Sensor unter dem Bildschirm, der mit Ultraschall die Rillen in deinem Finger ausliest. Aber, bevor ich die Tücken und Schwierigkeiten mit dem Ding beschreibe, kommt das mit dem Vorserienmodell zum Tragen. Es ist möglich, dass unsere Geräte noch nicht die finale Software haben. Wenn du das Problem nicht nachvollziehen kannst, lass es uns in einem Kommentar wissen.

Der Fingerprint Sensor ist schwach. Sowohl Stephanies Daumen wie auch meine Daumen und Zeigefinger werden dann und wann mal wieder einfach nicht erkannt. «No Match» leuchtet da auf dem Bildschirm auf. Dann fünfmal drücken, das System beharrt auf «No Match» und am Ende muss dann die PIN eingegeben werden. So nicht. Aber: Am 1. März ist ein Software Update eingespielt worden, das die Performance des Sensors verbessert. Wir sind immer noch nicht bei akzeptabler Performance angelangt, aber besser ist das Ganze schon mal. Daher: Mach die Updates, die dir Samsung schickt.
Die AI mit dem aggressiven Auge
Die Kamera. Oh, die Kamera. Vor allem Stephanie, die gerne mal mit dem Smartphone filmt, hat hier Mühe. Die künstliche Intelligenz (AI) der Kamera ist einfach zu aggressiv. Bei Filmclips im Studio wird die fast weisse Tischplatte – sie ist in Wirklichkeit so ganz bitzli grau – einfach gelb gemacht. Nicht ein Gelbstich, sondern ein Gelb wie du es von einem Eigelb her kennst. Oder die Farbe von Fleischkäse. Irgendwie sowas. Wenig sexy. Trotzdem habe ich jetzt Hunger.

Generell ist die Kamera-AI etwas seltsam. Entweder erkennt sie ein Motiv perfekt, interpretiert Farben und Elemente ohne Tadel, oder sie verhaut es völlig. Souverän behauptet sie sich aber bei seltsamem Licht. Im Lift, zum Beispiel. Faustregel: Im Lift herrscht immer Licht, das sich nicht besonders für Fotos eignet, auch wenn da ein schön grosser Spiegel ist. Das S10 wie auch das S10+ geht hin, blickt sich um, denkt sich etwas und kontert das Licht wunderbar aus.
Diese Probleme aber sind softwareseitig und nicht Issues in der Hardware. So können die Engineers bei Samsung an der AI feilen und diese via Update einspielen. Oder noch besser: Eine Option wie bei Huawei, mit der du die AI komplett ausschalten kannst. Das wäre perfekt.
Zum Schluss bleibt zu sagen, dass wir beide unsere Galaxies vermissen werden, wenn wir die Testgeräte wieder abgeben müssen. Sie sind im Alltag verlässlich, haben aber ihre Macken. Auch wenn die Revolution aus dem Hause Samsung dieses Jahr faltbar wird, so ist die S10-Serie definitv einen Blick wert.
So. Fertig. Die grüne Farbe des Phones ist übrigens wirklich spektakulär schimmernd. So als Tipp.


Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.