Hintergrund

Samsung Galaxy S10+ Ceramic und die Frage, warum wir 12 GB RAM brauchen

Das Samsung Galaxy S10+ Ceramic ist der Spitzenreiter in Punkto Specs mit seinen 12 GB RAM und seinem Terabyte internen Speicher. Eine Frage aber stellt sich: Wer braucht sowas? Die Antwort: Die Welt. Rechnen wir nach.

Das Samsung Galaxy S10+ Ceramic ist ein Meisterstück der Technologie. Es hat 1000GB interner Speicher, 12 GB RAM und einen 6.4 Zoll diagonalen Bildschirm. Das sind 16.256 Zentimeter. Das sind aber schon all die Unterschiede, die die Keramik-Version von der kleinen Schwester, dem Samsung Galaxy S10+, unterscheiden.

Stellt sich die Frage:

Wofür benötigt man 12 GB RAM in einem Handy?
Eldasch

Kurze Antwort: Das ist eine plakative und etwas komplex zu beantwortende Frage. Dieser Frage, stellvertretend für viele Leser von Eldasch gestellt, möchte ich den ganzen Artikel widmen.

Dafür müssen wir aber den Rahmen dieses Artikels – völlig unschweizerisch – etwas grösser ziehen. Von der Hosentasche oder der Pendlerexistenz in der S12 an der Zürcher Hardbrücke müssen wir global denken. Also nix da mit #BünzliLife, wir sind jetzt mal kurz Global Player.

Der einfache Part: Das Terabyte interner Speicher

Einfach zu erklären ist der interne Speicher, auch wenn keiner danach gefragt hat. Denn das S10+ Ceramic hat nicht nur 1000GB intern, sondern kann zusätzlich noch um bis zu 512 GB mit einer Speicherkarte erweitert werden. In der Schweiz sind anderthalb Terabyte Speicher in einem Smartphone grösstenteils nutzlos, es sei denn du bist einer dieser Wirrköpfe, die sich gegen Cloud- und Streaming-Dienste wehrt. Und genau da muss unser internationales Denken einsetzen.

Samsung Galaxy S10+ (512 GB, Ceramic Black, 6.40", Hybrid Dual SIM, 16 Mpx, 4G)
Smartphone

Samsung Galaxy S10+

512 GB, Ceramic Black, 6.40", Hybrid Dual SIM, 16 Mpx, 4G

Es gibt Orte auf der Welt, an denen sowohl Idealisten wie auch Normalbürger im selben Boot sitzen und keine Wahl haben. London zum Beispiel. In der britischen Hauptstadt sind 402 Kilometer U-Bahnstrecke verlegt, zum Teil bis zu 58.5 Meter unter der Erde. Täglich benutzen 5 Millionen Menschen die sogenannte Tube. In diesen Tiefen macht sogar der stärkste 5G-Sendemast keinen Unterschied. Zum Vergleich: Wir Schweizer mötzeln seit Jahren über den schlechten Empfang an Orten wie dem Matterhorn oder der St. Galler Gemeinde Mörschwil.

Hampstead Tube Station liegt bis zu 58.5 Meter unter dem Boden
Hampstead Tube Station liegt bis zu 58.5 Meter unter dem Boden
Quelle: flickr.com/stewdean

Wenn du aber Tube-Passagier bist, dann willst du trotzdem Musik oder Podcasts hören, nur um mit dem Beispiel des wohl meistgenutzten Features in Schweizer Pendlerzügen weiterzufahren. Wo Schweizer pro Tag 61.2 Minuten pendeln, tun das die Londoner 74 Minuten lang. Stell dir mal vor, dass du deinen ganzen Pendlerweg lang keinen Handyempfang hast. Da wird lokaler Speicher auf einmal sehr, sehr wichtig. Du willst Musik hören? Spotify offline oder MP3-Dateien. Videos? NewPipe-Downloads oder MP4-Dateien. Das alles braucht Speicherplatz. Oder halt ein Buch oder eine Zeitung.

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London soll hier nur stellvertretend für «Orte, die nicht die Schweiz ausser Mörschwil sind und U-Bahnen oder sonstige Schwierigkeiten mit dem Handyempfang haben» stehen. Einfach, damit das Gärtlidenken komplett abgeschossen ist.

Die schwierige Frage: Die 12 GB RAM

Beim Blick auf den Arbeitsspeicher wird die Sache etwas komplexer. Es gibt keinen Grund wie «Kein Empfang» oder so, der 12 GB RAM erklärt. In erster Linie sind die 12 GB RAM ein Feature, mit dem Samsung wie auch die Nutzer des Keramik-S10 angeben können. Für Samsung ist es zudem etwas, mit dem sie noch ein paar Fränkli dazuverdienen. Das grosse Geld aber macht die Smartphone-Industrie aber nicht bei den grossen, teuren Flaggschiffen. Samsung schon gar nicht, denn Samsung macht so bitzli alles, was elektronisch ist, vor allem aber investiert der Konzern in Technologien, die andere Technologien ermöglichen. Bildschirme und Halbleiter, zum Beispiel.

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Gut, aber du als User, was hast du von den 12 GB RAM. Nichts. Echt. Du wirst ohne speziellen Use Case nie auf die 12 GB RAM angewiesen sein oder diese auch nur spüren. Denn schon die 8GB RAM im S10+ reichen aus und auch dort wird das Phone nie langsam. Das hat einen sehr guten Grund. Aber dazu müssen wir wieder Abschied von #BünzliLife nehmen und global denken.

Android hat – anders als die Konkurrenz von Apple – smarte Technologie demokratisiert. Das bedeutet, dass auf einmal jeder Zugang zur Welt der Smartphones haben kann und nicht nur die, die über 1000 Franken für ein Gerät liegen lassen. In der Schweiz ist es die Wahl der Bünzlis, ob sie jetzt einen Tausender oder mehr für einen Computer in der Hosentasche ausgeben wollen. Andernorts ist das aber nicht.

Wir können dazu den sogenannten iPhone Index hinzuziehen. Dieser wird von Analysten der Grossbank UBS errechnet, basierend auf globalen Durchschnittslöhnen. Beim Launch hat das Gerät, wenn ich mich recht entsinne, 1299 Franken gekostet. Erster Platz geht an Zürich, wo du 38.2 Stunden für ein Neues iPhone X arbeiten musst. Zweiter Platz geht an Genf mit 47.5 Stunden. Schlusslicht ist die ägyptische Hauptstadt Cairo, wo du 1066.2 Stunden für ein iPhone X arbeiten musst.

Cairo ist das statistisch erfasste Schlusslicht. Ein Bewohner der Stadt arbeitet im Schnitt 1066 Stunden für ein neues iPhone
Cairo ist das statistisch erfasste Schlusslicht. Ein Bewohner der Stadt arbeitet im Schnitt 1066 Stunden für ein neues iPhone
Quelle: flickr.com/rachidh

Eine Anmerkung: Cairo ist das statistisch erfasste Schlusslicht. Ich vermute, dass es auf der Welt andere Orte gibt, die noch schlimmer dran sind. Kambodscha wäre so ein Kandidat, oder die Republik Südsudan. Aber diese sind nicht in der UBS-Statistik gelistet, weswegen wir in diesem Artikel nicht mit ihnen rechnen können.

Da wir genug Zahlen für einen direkten Vergleich haben, können wir das auch für das Samsung Galaxy S10+ Ceramic machen.

  • In Zürich arbeitest du 47.9 Stunden für ein Samsung Galaxy S10+ Ceramic
  • In Genf arbeitest du 59.6 Stunden für ein Samsung Galaxy S10+ Ceramic
  • In Cairo arbeitest du 1337.1 Stunden für ein Samsung Galaxy S10+ Ceramic

Bei Durchschnittslöhnen, versteht sich.

Das #BünzliLife sieht sich bestätigt. Das ist alles viel zu teuer. Skandal. Am Stammtisch mal schnell mit der Faust auf den Tisch – aber nicht zu laut, könnte ja jemand hören – und der Satz «Da sollte man etwas machen». In Cairo aber ist die Frage eine andere. Denn das digitale Leben macht nicht vor Reichtum oder Armut halt. Jobs können online vergeben werden und Schnelligkeit ist oft überlebensnotwendig. Ein Beispiel. Auf der Internetplattform Fiverr kannst du allerlei Arbeiten am Computer auf einer Fall-zu-Fall-Basis outsourcen. Für mindestens fünf US-Dollar. Klingt jetzt nach nichts, wenn du ein neues Firmenlogo oder ein Coding Job für einen Fünfliber nach Ägypten oder Pakistan schicken kannst. Einige Stunden später liefern dir die Coder oder Grafiker deine Arbeit ab. Vielleicht nicht in Schweizer Qualität oder mit dem Kundenservice, den wir uns gewohnt sind, aber the job is done. Damit das möglich ist, muss ein Coder oder Grafiker in Cairo global denken, erreichbar sein. Sprich: Er oder sie braucht ein Smartphone. Ein Smartphone bedeutet dort nicht nur Kommunikation, sondern vielleicht den Lohn von fünf Tagen Durchschnittsarbeit in ein paar Stunden, denn ein Schweizer braucht vielleicht ein Logo für seinen veganen, glutenfreien Fitnessblog.

Hier kommt Android ins Spiel, denn die iPhone-Frage stellt sich gar nicht erst. Du bist bei Geräten wie denen von Wiko angelangt. Viel Phone, meist Dual-SIM und wenig Geld. Die Hersteller sparen aber bei der Herstellung. 12GB RAM klingen in einem Phone für unter 100 Franken utopisch. Da sind vielleicht drei oder vier Gigabyte verbaut. Wenn du heute ein Wiko Phone in die Hand nimmst, dann wirst du feststellen, dass das eigentlich ganz gut funktioniert. Die Bilder sind vielleicht nicht ganz so gut, der Bildschirm vielleicht auch nicht. Aber du wirst mit angenehmer Geschwindigkeit arbeiten und der Akku wird adäquat lange halten. Sprich: Passt schon.

Das ist aber nicht nur der Verdienst der Hardware-Hersteller, die tolle Maschinen bauen. Nein, das ist auch der Verdienst der Software-Schmieden, von Google bis zum App Developer in einem Schweizer Startup. Denn praktisch jede App auf einem Android-Gerät ist darauf ausgelegt, auch auf den Low-End-Geräten zu funktionieren und auch dort eine angenehme Experience zu ermöglichen. Sprich: Alle Apps im App Store sind derzeit auf plusminus 4 GB RAM optimiert, sei das WhatsApp oder Fortnite. Natürlich wird es da manchmal etwas knapp, aber es sollte gehen. Da können 12 GB noch lange 12 GB sein und eine grossartige Leistung versprechen, wenn du keine Apps hast, die das ausnutzen, dann nutzt dir das auch nichts.

Wofür dann also?

Bleibt also die Frage von Eldasch, wer sowas braucht. Eine Antwort, oder einen Ansatz dazu liefert User Lerkes:

Der Anwendungsfall dafür ist wohl eher das mit der DeX Docking Station als für den normalen Handygebrauch.
Lerkes

Stimmt. Samsung ist der Vorreiter wenn es darum geht, die Lücke zwischen Smartphone und PC zu schliessen, selbst wenn sich DeX noch nicht durchgesetzt hat und das wahrscheinlich in der aktuellen Form auch nie durchsetzen wird. Macht Samsung sowas also nur, um anzugeben? So «Schaut mal, was wir können»? Nicht ganz. Zum einen geht es klar darum, festzustellen, dass es technologisch möglich ist, 12 GB RAM in ein Smartphone zu verbauen und das dann auch noch marktreif in Massenherstellung zu produzieren. Zum anderen kann Samsung Daten sammeln, wenn sie das 12-GB-Phone verkaufen. Wie viele werden davon verkauft? Wo? Wozu werden die genutzt?

Dazu sendet Samsung ein starkes Signal an die Industrie. Geräte wie das Samsung Galaxy S10+ Ceramic haben den Vorteil, dass das alle, die ein bisschen tech-begeistert sind, cool finden. Dazu gehört die Konkurrenz des südkoreanischen Konzerns. Andere Hersteller werden nachziehen. Irgendwann kommen dann die Apps, die das System ausnutzen. Irgendwann sind dann Geräte mit 8 GB RAM so günstig, dass sich auch Coder in Cairo eines leisten können. Irgendwann passiert das auch mit den 12-GB-Phones.

So steht die Welt nicht still, anders als #BünzliLife mit seinem Ideal der imaginären 1950er-Jahre mit Papa-Moll-Charme. Die Welt entwickelt sich weiter, wird technologisch ausgereifter und fortschrittlicher. Denn Fortschritt in Punkto Smartphone muss global erfolgen. Sonst sind Orte wie Cairo dann irgendwann wieder in der Position, wo sie schlicht keine Chance mehr haben, mitzuhalten. Da Cairo das statistisch erfasste Schlusslicht macht, müssen Orte wie Zürich halt den Vorreiter machen. So können wir uns den Luxus leisten, zu sagen «Braucht ja keiner». Nein, du brauchst das vielleicht nicht. Ich auch nicht. Aber die Welt braucht es.

Denn hinter den Kulissen läuft jetzt viel ab. Fertigungsverfahren für 12-GB-Phones werden günstiger, da einfacher. Die Konkurrenz schläft nicht, zieht mit. Vielleicht findet ja Huawei einen Trick oder etwas, das die Herstellung noch einfacher macht. Die Preise werden fallen, da andere Hersteller mitziehen. Die Demokratisierung der 12-GB-Phones beginnt.

Trotzdem: Die Schere bleibt, sowohl wirtschaftlich, wie auch technologisch. Denn wenn in ein paar Jahren 12-GB-Phones die Norm sein werden und zu Wiko-Preisen verkauft, dann werden wir im #BünzliLife uns fragen, wozu wir 32-GB-Phones oder so brauchen können. Die Antwort wird dabei dieselbe sein. Doch in Cairo werden Coder mehr Technologie zu einem Preis zur Verfügung haben, den sie sich leisten können. Das hat Auswirkungen auf das andere Ende des Spektrums. In fünf Jahren wird Cairos Wirtschaft im weltweiten Vergleich kaum viel kompetitiver sein als heute, aber ihre Realität wird dank dem technologischen Fortschritt eine bessere sein.

Wiko View 3 (64 GB, Night blue, 6.25", Dual SIM, 12 Mpx, 4G)
Smartphone

Wiko View 3

64 GB, Night blue, 6.25", Dual SIM, 12 Mpx, 4G

Denn wenn du dir die Specs eines heutigen Wiko-Phones ansiehst, dann wirst du Specs sehen, über die wir vor ein paar Jahren noch gestaunt haben. Diese damaligen in Marketingsprech «Meilensteine der Technologie» genannten Phones sind heute für #BünzliLife schrottreif. Für jemanden in Cairo aber ist die Technologie die Möglichkeit, dem Westen da und dort einen Fünfliber abzuzwacken. Uns tut das nicht weh, aber in Cairo ist ein Fünfliber das, was du sonst in einer Arbeitswoche verdienst.

Ein kleines Wort hierzu: Was ich hier beschreibe, dürfte wahrscheinlich recht utopisch sein. Wenn wir in fünf oder zehn Jahren auf diesen Artikel zurückblicken, dann wird die Antwort wohl immer noch genauso richtig und utopisch sein wie im Jahre 2019. Schade. Aber ich darf von einem technologie-erbrachten Utopia träumen. Vielleicht, wenn genug viele mitträumen, wird das ja was.

Für die Hersteller ist das natürlich auch recht gut. Denn wenn die Technologie und deren Fertigung immer günstiger wird, dann fallen die Preise weiter nach unten. Ein Phone, das heute 90 Franken kostet, kostet dann vielleicht noch 10 Franken. Auf einmal können sich noch mehr Leute das leisten und mit etwas Geschick auf Fiverr auch zu den Fünfliber-Verdienenden gehören. Derweil verkaufen Samsung und Co. mehr Phones, sowohl im marketingtechnisch relevanten Flaggschiff-Segment wie auch ganz unten im Low-Price-Segment. Das spült dann mehr Geld in die Kassen der Konzerne, was sie sicher auch freut.

So. Fertig. Das S10+ Ceramic macht auch ganz tolle Selfies.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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