Bethesda Indiana Jones und der große Kreis
XBOX, DE
«Indiana Jones and the Great Circle» fängt das einzigartige Flair der Original-Filmtrilogie ein. Die «Wolfenstein»-Macher verzichten geschickt darauf, Indy zum ballernden Actionhelden zu machen und stellen den Archäologen in den Vordergrund.
Keine fünf Minuten dauert es, da wird mir das erste Mal wohlig warm ums Herz. Wer wie ich mit Filmkomponist John Williams aufgewachsen ist, dem passiert das schnell einmal, wenn dessen orchestraler Soundtrack erklingt. «Indiana Jones and the Great Circle» bedient sich aber nicht nur akustisch bei Steven Spielbergs und George Lucas’ Filmvorlage, sondern kopiert sogar fast den ganzen Beginn des ersten Teils – als Tutorial.
Das klingt plump, ist in Wahrheit aber der perfekte, nostalgische Einstieg, der mich als Fan abholt.
Kaum habe ich eine der bekanntesten Szenen der Filmgeschichte selber nachgespielt, bin ich wieder komplett im Indy-Fieber, wie ich es nach den zwei letzten Filmen nicht mehr für möglich gehalten hätte. Aber wer jetzt denkt, dass das schwedische «Wolfenstein»-Studio Machine Games nur gut kopieren kann, dem beweisen die nächsten 15 bis 20 Stunden zweifelsfrei, dass es deutlich mehr drauf hat.
Der Reiz der Filme besteht für mich aus drei Dingen: abenteuerlichen Schatzsuchen mit einer Prise Übernatürlichem. Wundersamen Schauplätzen im frühen 20. Jahrhundert, als die Welt noch geheimnisvoller war. Und einem charismatischen Helden, der trotz gelegentlichen Missgeschicken immer einen flotten Spruch auf den Lippen hat. Genau das bietet «Indiana Jones and the Great Circle».
Nachdem im Marshall College, an dem Dr. Jones unterrichtet, ein seltenes Artefakt gestohlen wird, begibt sich Indy auf Weltreise, um dem Diebstahl auf den Grund zu gehen. Die erste Station ist der Vatikan. Es ist eines von mehreren grösseren Arealen, in denen Indy viel Zeit verbringt. Wie lange hängt davon ab, wie sehr ich mich in Nebenmissionen verliere.
In seinem Tagebuch hält Indy alle wichtigen Informationen zu aktiven Aufträgen, Nebenaufgaben oder Gerüchten über potenzielle Schätze fest. Davon gibt es jede Menge. Mal sind es Artefakte, die sich hinter einer Geheimtüre verbergen. Mal sind es weitläufige Ruinen mit komplexen Mechanismen, die selbst Leonardo da Vinci ins Staunen gebracht hätten. Dank den vielen Zwischensequenzen wirken sogar Nebenmissionen, als seien sie Teil der Hauptstory. Im Vatikan kann ich etwa einer Nonne helfen, das verschollene Tagebuch eines längst verstorbenen Priesters aus den Katakomben zu bergen. Das sieht ein anderer, zwielichtiger Priester gar nicht gerne, der später eine wichtige Rolle spielen wird.
Dass diese Mission optional ist, wäre mir beinahe entgangen, so gut wirkt sie in der Hauptstory eingewoben. Abenteuerfans kommen voll auf ihre Kosten. Dabei bin ich völlig frei, ob ich mich den Sammelaufgaben widme, den Bewohnern unter die Arme greife oder mich lieber auf die Hauptquest fokussiere.
Die Geschichte ist Indiana-Jones-typisch herrlich aufgeblasen und bedeutungsschwanger erzählt. Im Kern geht es darum, dass die Nazis ein übernatürliches Artefakt suchen, das grosse Macht für ihre Kriegsbemühungen verspricht – den grossen Kreis. Indys Job ist es, ihnen zuvorzukommen. Dabei lernt er die draufgängerische Reporterin Gina Lombardi kennen. Mit ihrer Schlagfertigkeit erinnert sie mich stark an Karen Allens Figur Marion Ravenwood, mit der Indy in den Filmen die längste Beziehung hat.
Gina sucht ihre verschwundene Schwester, die rein zufällig die beste Wissenschafterin toter Sprachen ist. Ob es zwischen ihr und dem Unterfangen der Nazis vielleicht einen Zusammenhang gibt?
Die längeren Zwischenstopps wie der Vatikan oder Gizeh erinnern mich an den Auftragskiller-Simulator «Hitman». Nicht nur, weil ich die Level frei erkunden kann und mich dabei vor italienischen Faschisten und Nazis verstecken muss – das Game spielt 1937, also zwischen «Raiders of the Lost Ark» und «Indiana Jones and the Last Crusade». Auch viel Schleichen wird von mir gefordert. Sobald Konfrontationen in Schiessgefechten ausarten, endet der Spass meist schnell für Indy.
Besser ist, ich schnappe mir die grosszügig verteilten Prügelgegenstände wie Kerzenständer, Gitarren oder Werkzeugzangen und ziehe meinen Feinden aus dem Hinterhalt eins über. Einen flotten Spruch gibt es gratis dazu.
Geballert wird trotz Egoperspektive selten. Gut so. Denn auch das spiegelt die Vorlage perfekt wieder. Die Kameraperspektive, die im Vorfeld für Diskussionen sorgte, hat mich übrigens in keinster Weise gestört. Im Gegenteil: Anders als in 3rd-Person-Adventure-Spielen wie «Tomb Raider» oder «Uncharted» bin ich viel mehr im Geschehen drin. Denn: Nichts fühlt sich so authentisch an, wie als Indy aus der Ego-Perspektive uralte Ruinen zu erkunden, Moos von den Wänden zu wischen und Zahnräder einzusetzen, um komplexe Mechanismen auszulösen – nur um dabei selbst beinahe in eine tödliche Falle zu geraten.
Denke ich an die Horden stupider Gegner in «Uncharted», die ich aus distanzierter 3rd-Person-Perspektive abarbeiten muss, kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass etwas anderes als die Ego-Perspektive Sinn ergibt.
Auch, weil Indy lieber seine Fäuste sprechen lässt statt mit seinem Revolver die gesamte Umgebung zu alarmieren – obwohl die Schläge fast so laut wie Schüsse knallen. Herrlich. Klassische, cartoonische 1970er- und 1980er-Jahre Soundeffekte, wie es sie auch in den «Indy»-Filmen gibt.
Apropos: Die Schlägereien sind zum Glück deutlich schneller und dynamischer als es in den Trailern suggeriert wird. Links-rechts-Kombination, ausweichen, parieren – geht alles wunderbar flott, solange die Ausdauer reicht. Die kann Indy verbessern, indem er auf seinen Erkundungstouren das passende Buch oder Magazin findet und es mit Abenteuerpunkten freischaltet. Die gibt es wiederum für gelöste Rätsel, Nebenmissionen oder wenn ich mit meiner Kamera wichtige Objekte fotografiere. Dadurch schaue ich mir die Umgebung genauer an und bin motiviert, jedes Nazilager und jede Höhle ausgiebig zu erkunden.
Indys ikonische Peitsche kommt natürlich auch zum Einsatz. Entweder, um Feinde auf Distanz zu halten, um sich über Abgründe zu schwingen oder um entfernte Hebel zu aktivieren.
Was ebenfalls spielerisch an «Hitman» erinnert und auch Bestandteil der Filme ist, ist das Verkleiden. Will ich nicht ständig herumschleichen, kann ich mir ein passendes Outfit besorgen, um weniger Aufmerksamkeit zu erregen. Aber aufgepasst: Offiziere durchschauen die Verkleidung weiterhin und schlagen Alarm. Glücklicherweise dürfen meine Abenteuer auch mal im Chaos enden: Selbst wenn mir die halbe Garnison auf den Fersen ist, bedeutet das nicht zwingend «Game Over». Den Berg bewusstloser oder toter Gegner kann ich dann allerdings nicht mehr verbergen.
Das wichtigste Element für die tolle Stimmung in «Indiana Jones and the Great Circle» sind neben den geschichtsträchtigen Orten vor allem eines: die Rätsel. Mal muss ich die richtigen Bodenplatten aktivieren, um Fallen zu entschärfen, dann mit Spiegeln Licht umleiten, um ein Tor zu öffnen, oder riesige Holzzahnräder in Bewegung versetzen, um einen lottrigen Lift in Betrieb zu nehmen. Die Rätsel besitzen genau das richtige Mass an Komplexität, wobei ich für eine optionale Nazi-Truhe schon mal einen Tag verstreichen lassen musste, um den geheimen Wolken-basierten Code zu dechiffrieren.
Bei vielen Interaktionen sind extra Handgriffe nötig, was das Spiel greifbarer macht. Türen öffnen sich nicht mit einem Tastendruck. Ich muss erst den Schlüssel herausholen, hineinstecken und dann umdrehen. Das gilt auch für die Rätsel, bei denen Indy auch mal die Lupe auspackt und Objekte untersucht. Grobmotorischer geht er beim Öffnen verschlossener Schatullen vor. Da reicht ein fester Schlag mit einem Hammer oder was sonst gerade herumliegt und noch nicht am Kopf eines Nazis zerbrochen ist.
Ebenfalls zu jedem guten «Indiana Jones»-Film gehören vermeintlich aussichtslose Situationen mit einstürzenden Ruinen, aus denen sich Indy im allerletzten Moment retten kann. Das Pacing kann zwar mediumbedingt nicht ganz mit den Filmen mithalten. Wilde Verfolgungsjagden und humorvollen Zwischensequenzen lockern das Spiel aber regelmässig auf.
So streiten sich in einer Szene Indys Antagonisten, der aalglatte Emmerich Voss und der aggressive Viktor Gantz, über das richtige Vorgehen. Am Ende sagt Voss zu Gantz: «Glaubst du, die Lösung fällt dir plötzlich auf den Kopf?», nur um im selben Moment von Indy, Gina und einer herunterfallenden Decke erschlagen zu werden, weil die beiden heimlich gelauscht haben. Was folgt, ist Slapstick-artiges Gerangel und ein Hechtsprung durchs Fenster, während aufgescheuchte Nazis Indy und Gina Kugeln hinterherjagen.
Zum authentischen Indiana-Jones-Gefühl trägt im Englischen Troy Baker bei. Er imitiert Harrison Ford äusserst treffend. Anfangs zwar noch etwas steif, aber mit der Zeit ist es mir gar nicht mehr aufgefallen, dass ich nicht dem echten Ford zuhöre. Die deutsche Synchronisation mit Florian Clyde trifft den jungen Wolfgang Pampel, Fords Original-Synchronstimme, übrigens auch nicht schlecht.
Und Fords digitales Abbild? Das wird ebenfalls gut eingefangen. Visuell wäre über das ganze Spiel hinweg aber sicher mehr dringelegen. Ganz an das visuelle Spektakel, wie es «Uncharted 4» zuletzt auf der Playstation 4 abgeliefert hat, kommt «Indiana Jones and the Great Circle» nie heran. Die Schauplätze sind dennoch stimmungsvoll umgesetzt und wissen zu beeindrucken. Und bei den zahlreichen Zwischensequenzen genoss ich es auch so, mich zurückzulehnen und für ein paar Minuten Ausschnitte des vermeintlich besten «Indiana Jones»-Film seit «The Last Crusade» zu sehen.
Ausführlich über das Game reden wir in der neusten Folge des Tech-telmechtel-Podcasts.
Update: Ich habe das Game mittlerweile durchgespielt und meine Meinung zur Wertung hat sich nicht geändert.
«Indiana Jones and the Great Circle» ist erhältlich ab dem 9. Dezember für PC und Xbox Series X/S. Mit der Premium Edition kannst du bereits am 6. Dezember spielen. Das Spiel wurde mit von Bethesda für den PC zur Verfügung gestellt
Seit 32 Jahren gilt Lucas Arts’ «Indiana Jones and the Fate of Atlantis» als die beste Spieladaption der legendären Filmreihe. Diese Ehrung gebührt nun «Indiana Jones and the Great Circle». Machine Games gelingt es, das Abenteuergefühl, den Charme und den Witz von Harrison Fords berühmten Charakter perfekt einzufangen.
Verschiedene Spiele wie «Tomb Raider» oder «Uncharted» haben als verkleidete Versionen von «Indiana Jones» die Vorlage erfolgreich in Spiele umgemünzt. Nun kann ich endlich als Indy höchstpersönlich ein gutes «Indiana Jones»-Game erleben.
Es führt mich an wundersame Orte rund um den Globus, die ich ausgiebig erkunden kann. Die Rätsel sind kreativ und abwechslungsreich und die Action ist gut dosiert und nimmt nie Überhand. «Indiana Jones and the Great Circle» ist ein packendes Action-Adventure, bei dem das Abenteuer im Vordergrund steht. Und es ist eines, das der Original-Filmtrilogie – die weiteren Fortsetzungen ignoriere ich einfach mal – endlich würdig wird.
Pro
Contra
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.