Produkttest

«Assassin’s Creed Odyssey»-Review: Da geht noch mehr

«Assassins Creed» hat sich mit «Origins» neu erfunden. «Odyssey» ist nun die natürliche Fortsetzung davon. Alles ist ein bisschen polierter und grösser geworden. Mit dem verstärkten Fokus auf RPG scheint Ubisoft einen Nerv getroffen zu haben und doch ist nicht alles Gold, was glänzt.

Das allererste «Assassins Creed» beeindruckte mit seinen Parcours-Künsten. Die Ezio-Trilogie bestach mit Geschichts-Porn und einer komplexen Story. Dann folgte ein laues Scharmützel mit Rotröcken und Indianern in «Assassins Creed 3». Teil 4 riss das Ruder rum und stellte die Segel wieder in den Wind. Leider fuhr «Unity» das Schiff gleich wieder auf Grund mit sinnlosen Nebenaufgaben und Animationsfehlern, die uns noch heute Albträume bescheren. Dann folgten unspektakulär «Syndicate» und «Rogue». Erst nachdem sich die Serie ein Jahr Pause gönnte und ordentlich ausmistete, gelang mit «Origins» das kolossale Comeback.

«Assassin’s Creed Odyssey» versucht auf der Erfolgswelle weiterzureiten, steht den Ritt aber nicht vollständig.

Alles wie gehabt, einfach Meer

Auf den ersten Blick könnte «Odyssey» ein Addon von «Origins» sein. Es scheint offensichtlich, dass hier zahlreiche Design-Assets wiederverwertet wurden. Statt im alten Ägypten spielt die Geschichte nun in Griechenland rund 400 Jahre vor Christus. Die Griechen spielten bereits in «Origins» eine wichtige Rolle und da beide Spiele zeitlich relativ eng beieinander liegen, ist die Architektur relativ ähnlich – bis auf die Pyramiden und die Akropolis.

Auch spielerisch ist es eine Evolution und keine Revolution. Dir steht erneut eine gigantisch grosse Spielwelt zum freien Entdecken offen. Statt riesiger Wüsten bietet das griechische Reich aber mehr Meer und Inseln, die du mit deiner Triere erkunden darfst. Überall wirst du überhäuft mit Quests, die von einfachen Jagdaufträgen zu Detektivaufgaben bei Schlangenmorden bis zu manipulierten Einbürgerungsversuchen gehen. Probier gar nicht erst, alle Aufgaben zu erledigen oder du wirst nie vorwärtskommen – ich sag nur: Leave the Hinterlands.

Das Kampfsystem ist simpel, macht aber dennoch Laune.
Das Kampfsystem ist simpel, macht aber dennoch Laune.

Auch wenn du dich nicht durch das ständig wachsende Questlog kämpfst, gibt es viel zu tun. An jeder Ecke stolperst du über Camps, die es von Feinden zu säubern gilt, versunkene Schätze, die geborgen wollen werden und Kopfgeldjäger sorgen ebenfalls dafür, dass du nie zur Ruhe kommst. Alles wird mit Erfahrungspunkten belohnt und beim Levelup kannst du deinen Talentbaum ausbauen. Bei deinen Abenteuern findest du laufend bessere Ausrüstung, die du bei Bedarf beim Schmied verbessern kannst. So kannst du theoretisch von Anfang bis Ende mit dem gleichen Speer kämpfen. Neu kannst du die Waffen mit Gravuren versehen, die zusätzliche Boni verleihen.

Das Waffenarsenal wurde ordentlich aufgestockt und auch das Kampfsystem wurde verbessert. Weichst du im richtigen Moment einer Attacke aus, verlangsamt sich die Zeit und du kannst seelenruhig auf den Gegner eindreschen. Zwar bestehen deine Angriffe lediglich aus einem starken und einem schwachen Schlag, sowie Ausweichen und Parieren, aber weil sich alles so geschmeidig und dynamisch anfühlt, ist jeder Klingenkontakt ein kleines Highlight. Und es gibt ja auch noch Fähigkeiten, die du einsetzen kannst, wenn sich deine Adrenalin-Leiste aufgefüllt hat. Damit löst du Spezialattacken aus, wie den Spartan Kick, der ungemein befriedigend ist – funktioniert auch bei Ebern, Bären und Elchen. Ein treuer Vogel steht dir ebenfalls wieder zur Seite, mit dem du aus der Luft Gegner und Schätze markieren kannst.

Talk to the foot, 'cause the face ain't listening.
Talk to the foot, 'cause the face ain't listening.

Da grosse Bereiche der Karte aus Wasser und Inseln bestehen, steht der Seekampf in «Odyssey» wieder mehr im Vordergrund. Um beim Schiffeversenken möglichst effizient zu sein, kannst du deine Triere aufrüsten: mehr Feuerkraft, bessere Panzerung oder mehr Wendigkeit. Es gibt auch Lieutenants anzuheuern, die du auf deinen Reisen rekrutieren kannst und die eigene Boni mitbringen.

Die Story dreht sich um eine Familiengeschichte, einen geheimnisvollen Kult und den Krieg zwischen den verschiedenen griechischen Reichen. Wirklich mitgerissen hat sie mich nicht. Das verhindern einerseits die unzähligen Ablenkungen und Nebenquests, die mich immer wieder vergessen liessen, was genau passiert ist. Andererseits ist sie auch nicht besonders spannend. Die Hauptfiguren, allen voran Alexios und Kassandra, werden dafür sehr lebendig und glaubhaft portraitiert, sodass mich ihr Schicksal dennoch interessiert hat. Anfangs hat mich der dickaufgetragene Akzent von Alexios (im Englischen von einem Griechen gesprochen) zwar etwas vor den Kopf gestossen, nach kurzer Zeit hab ich das ulkige Grossmaul aber lieben gelernt.

Neu kannst du selber die Antworten auswählen.
Neu kannst du selber die Antworten auswählen.

Ebenfalls gleich geblieben ist die Engine, die langsam etwas angestaubt wirkt. Besonders aus der Nähe sieht «Assassin’s Creed Odyssey» wirklich Antik aus. Die Gesamtpräsentation mit den wunderschönen Lichteffekten und Tag-Nachtwechseln sorgen aber dafür, dass «Odyssey» optisch immer noch gefällt.

Metamorphose zum Rollenspiel

Je mehr sich die Serie von Abstergo und den Assassinen löst, desto freier fühlt sie sich an. Das historische Grundgerüst bildet weiterhin das Herz der Serie, aber je weniger man sich auf die verworrenen Machenschaften der Templer und dem ganzen modernen Firlefanz rumschlagen muss, desto mehr kann man sich neuen Dingen öffnen. Zum Beispiel dem Übergang vom ernsten Mörder-Krimi zum historischen Fantasy-Rollenspiel. Das antike Ägypten und Griechenland wären prädestiniert dafür gewesen.

Es gibt wieder Schiffe zum Versenken.
Es gibt wieder Schiffe zum Versenken.

Schon mit «Assassin’s Creed IV» ist Ubisoft erstmals aus der vertrauten Formel ausgebrochen und für viele gehört es bis heute zu den besten Teilen. Mit «Origins» kam die vielleicht wichtigste Neuausrichtung hinzu – RPG. Ob mit oder ohne Fantasy-Zusatz, Ubisoft sollte bei den drei Buchstaben All In gehen.

Viel braucht es dafür gar nicht mehr. Die wählbaren Dialoge sind ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Zwar sind sie oft etwas oberflächlich, aber es hilft, dass man sich mehr als Protagonist denn als Zuschauer fühlt. Und dass gewisse Entscheidungen Auswirkungen auf den Spielverlauf haben, ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Das gilt auch für das Fraktionssystem. Du kannst nämlich selber bestimmen auf welche Seite im Krieg du dich schlägst. Wenn du eine bestimmte Seite mit Sabotageakten genug geschwächt hast, wird eine Massenschlacht ausgelöst. Gehst du siegreich hervor, verändert sich das Machtverhältnis in einem bestimmten Gebiet. Schade ist nur, dass du fast keine Anreize erhältst, für wen du kämpfen sollst. Niemand ist besonders gut oder besonders böse und wirklich betreffen, scheint Alexios den Konflikt auch nicht.

Der Skilltree hat deutlich an Attraktivität zugelegt.
Der Skilltree hat deutlich an Attraktivität zugelegt.

Die Quests erzählen meist eine interessante Geschichte. Regelmässig entwickelt sich aus einer vermeintlich geradlinigen Story ein mehrstufiges Abenteuer. Streng genommen laufen aber leider immer noch die meisten Quests nach dem gleichen Schema ab: Zu einem bestimmten Punkt auf der Karte gehen, alle abmurksen, optional etwas einsammeln, Quest abgeben, Lohn kassieren. Hier hätte Ubisoft lieber auf Qualität statt Quantität gesetzt.

Das Loot-System wurde ebenfalls verbessert. Wurdest du im letzten Teil noch regelrecht überhäuft mit legendären Gegenständen, so sind die hochwertigsten Items nun wieder etwas Besonderes. Mit den verschiedene Waffen kämpft es sich zudem extrem unterschiedlich und durch die verschiedenen Upgrades kannst du dir einen eigenen Spielstil zulegen.

Der Skilltree hat sich auch zum Besseren gewandelt. Er besteht aus passiven und aktiven Skills. Von letzteren kannst du nur eine bestimmte Anzahl ausgerüstet haben. Sie sind deutlich spassiger als noch in «Origins», wo ich ziemlich motivationslos Punkte verteilt habe. In «Odyssey» hätte ich am liebsten alles.

Noch bremsen die Altlasten

Bereits im letzten Teil sind mir starke Parallelen zu «The Witcher 3» aufgefallen. Dort war es aber primär die Queststruktur und die offene Spielwelt. Nun klingt «Assassin’s Creed» sogar wie das Rollenspiel um den weisshaarigen Hexer. Dass ich mir das nicht nur einbilde, bestätigte mir meine Frau. Kurz bevor sie das Wohnzimmer betrat, hörte ich sie fragen, ob ich «The Witcher 3» spiele. Der Grund ist die Musik und gewisse Soundeffekte. Besonders beim Levelup klingt es fast genauso wie im polnischen Fantasy-Epos. Ich hab extra nachgeschaut, ob vielleicht der gleiche Komponist am Werk war: Fehlanzeige.

Aber die Anlehnung an «The Witcher 3» will ich Ubisoft gar nicht vorwerfen. Für mich ist es eines, wenn nicht das beste Openworld-Rollenspiel, das es aktuell gibt. Darum wünschte ich mir, dass «Assassin’s Creed» die kommende Auszeit (der nächste Teil erscheint erst 2020) nutzt, um sich vollständig zum waschechten Rollenspiel zu transformieren. Aktuell wird es nämlich noch von diversen Altlasten gebremst. Zum einen die Grafik, die wie eingangs erwähnt, langsam Alterserscheinungen zeigt. Die Gesichtsanimationen haben mich teilweise mit einem Schaudern an «Mass Effect Andromeda» erinnert.

Ubisoft sollte sich zudem endlich komplett von dem ganzen Neuzeit-Mist verabschieden. Abstergo, Animus, verschont mich damit. Jede Minute, die mich das Spiel aus meinem eigentlichen Abenteuer reisst, ist verschwendete Zeit.

Ab und zu triffst du auf historische Persönlichkeiten wie den geschwätzigen Sokrates.
Ab und zu triffst du auf historische Persönlichkeiten wie den geschwätzigen Sokrates.

Die wichtigste Entwicklung sehe ich allerdings im Questdesign. Hier spürt man immer noch am deutlichsten, wie «Assassin’s Creed» früher aufgebaut war. Die Welt ist zwar riesig, detailliert und voller Aufgaben – aber sie fühlt sich zu wenig zusammenhängend an. Es wirkt eher so, als hätte Ubisoft einen Sack voll Quests, Schätzen und Festungen zufällig über die Karte verstreut. Das antike Griechenland fühlt sich zu wenig als Ganzes an. Besonders die Quests haben selten einen gemeinsamen Nenner. Um wieder auf «The Witcher 3» zurückzukommen: Dort ist die Welt als lebendiges Konstrukt durch und durch spürbar. «Assassin’s Creed Odyssey» fühlt sich mehr wie ein grosser Spielplatz an. Ubisoft sollte versuchen, Quests noch abwechslungsreicher zu gestalten, so dass es nicht immer auf Laufen, Suchen, Töten, Einsammeln, hinausläuft. Wenn du mich nach der bisher spannendsten Quest fragen würdest, ich könnte dir keine einzige schildern.

«Assassin’s Creed Odyssey» ist bei weitem kein schlechtes Spiel, ganz im Gegenteil. Aber es bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück. Die lebendige Spielwelt, das motivierende Gameplay, die spektakulären Kämpfe und viele packende Geschichten sorgen für ein durch und durch unterhaltsames Spielerlebnis. Ich weiss einfach, dass Ubisoft das noch besser kann. Vielleicht klappt's beim nächsten Mal.

Ich hab die Xbox-One-Version getestet, die mir Ubisoft zur Verfügung gestellt hat. Das Spiel ist ausserdem für PS4 und PC erhältlich.

Ubisoft Assassin's Creed Odyssey (PC, Multilingual)
Game

Ubisoft Assassin's Creed Odyssey

PC, Multilingual

Ubisoft Assassin's Creed Odyssey (PS4, Multilingual)
Game
CHF28.70

Ubisoft Assassin's Creed Odyssey

PS4, Multilingual

Ubisoft Assassin's Creed Odyssey (Xbox Series X, Xbox One X, Multilingual)
Game

Ubisoft Assassin's Creed Odyssey

Xbox Series X, Xbox One X, Multilingual

Ubisoft Assassin's Creed Odyssey Gold Edition (PS4)
Game

Ubisoft Assassin's Creed Odyssey Gold Edition

PS4

Ubisoft Assassin's Creed Odyssey Gold Edition (Xbox Series X, Xbox One X, FR, DE, IT)
Game

Ubisoft Assassin's Creed Odyssey Gold Edition

Xbox Series X, Xbox One X, FR, DE, IT

16 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


Gaming
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Produkttest

    «Halo Infinite» im Test: Das macht sogar Nicht-«Halo»-Fans Spass

    von Philipp Rüegg

  • Produkttest

    «God of War Ragnarök» im Test: Die Geschichte geht unter die Haut, das Gameplay auf die Nerven

    von Philipp Rüegg

  • Produkttest

    «Octopath Traveler»: Wunderschönes JRPG, dem etwas die Würze fehlt

    von Philipp Rüegg

5 Kommentare

Avatar
later