
Hintergrund
Der Horrorfilm, der so schrecklich ist, dass du eine Schreck-Verzichtserklärung unterschreiben musst
von Dominik Bärlocher
Der Science-Fiction-Film «Event Horizon» sollte den Weltraumhorror auf eine neue Stufe bringen. Der Film ist aber gefloppt, nachdem der Regisseur Szenen mit Amputierten und Pornodarstellern hat kürzen müssen.
«Event Horizon» sollte die Welt schockieren. Pornodarsteller und Amputierte. Blut und Szenen direkt aus der Hölle. «Event Horizon» sollte der Nachfolger des Science Fiction Hits «Alien» werden, einfach mit mehr Blut und der besten Filmtechnologie, die das Jahr 1997 zu bieten hat.
Und wenn dir Gemetzel, nackte Haut und irgendwelches Dämonengesocks nicht passt, dann drück jetzt bitte CTRL/⌘+W. Ab hier kannst du nicht mehr behaupten, dass du nicht vorgewarnt wurdest.
Stattdessen sahen Kinogänger im August 1997 einen recht verwirrenden Science-Fiction-Film, dem der Horror beinahe komplett fehlt. Blitzende Bilder von Gemetzel liessen aber mehr erahnen und der Film glich dem angekündigten Machwerk nicht. Filmfans haben Fragen gestellt und die Spurensuche hat sie in eine Salzmine Transsylvanien geführt.
Zu Beginn der Produktion des Films hatte Regisseur Paul W.S. Anderson gerade «Mortal Kombat» abgedreht. Der Film, basierend auf einem extrem gewalttätigen Videospiel, kommt ohne einen Tropfen Blut aus. Nun wollte Anderson einen Film drehen, der so richtig gewalttätig ist. In «Event Horizon» wollte er die Geschichte erzählen, wie eine Gruppe Astronauten in der nahen Zukunft in den weiten des Alls das Tor zur Hölle findet. Und die Überreste der Crew eines anderen Schiffs.
Beim Production Design scheute das Team um Anderson und Production Designer Joseph Bennett keine Mühen. Jedes Detail wurde beachtet. Ein Beispiel: Die Astronauten tragen Flaggen, die es so in der Welt noch nicht gibt. Die US-Flagge hat 55 Sterne, die der EU 22. Von der australischen Standarte ist der Union Jack verschwunden, die Flagge der Aboriginies hat ihren Platz eingenommen. So schufen die Filmemacher eine Welt, die lebendig und glaubwürdig wirken sollte und Hinweise auf Dinge ausserhalb des Raumschiffs gibt.
Natürlich wollten sie bei den Horrorszenen dann auch ordentlich Blut fliessen lassen. Da in der Hölle all das geschieht, was Menschen unangenehm ist, war klar: Das wird hässlich. Anderson hat Szenen gedreht, in denen Pornodarsteller blutverschmiert zur Sache gehen. Szenen, in denen Amputierte mit Make-Up am Boden rumkriechen und schreien. Dämonen, die den Hölleninsassen das Jenseits vermiesen.
Du kannst den Schock, den die ersten Zuschauer hatten, nicht unterschätzen. Die Leute waren sehr, sehr fassungslos. Sogar mit der Menge von unangenehmem Zeug, das wir jetzt im Film haben. Ich meine, stell dir mal die Reaktion auf die Hardcore-Version vor, die wir einst hatten.
Dann die Testvorführung: Die Entscheidungsträger von Paramount sitzen in einem Kinosaal. Sie schauen sich den fertigen Film an. 130 Minuten Horror, Weltraum, Gedärme, Blut und fehlende Gliedmassen. Sex und Verdorbenheit.
Die Studiobosse sind schockiert. Sie sind angewidert von der Gewalt, vom Sex, von der rohen Unverschämtheit, mit der Anderson das alles inszeniert hat. Ein Testpublikum bestätigt das. Auch sie finden, dass das alles massiv gegen ihre Moral geht.
Das Studio zieht die Notbremse: «Paul, kürze den Film um 30 Minuten und mach ihn weniger blutrünstig.»
Anderson gibt sich einverstanden. Der Film floppt.
Im fertigen Film sind die aufwändigen Sets der Hölle nur in kurzen, blitzenden Sequenzen zu sehen. Weg sind die Pornodarsteller und viele der Amputierten. Die Hölle ist mehr eine Idee als etwas, das du auf dem Bildschirm siehst. Horrorfans aber haben schon längst ihre VHS-Kassetten dort pausiert, wo ein Dämon Laurence Fishburne Visionen der Hölle zeigt und sehen die aufwändigen Sets, die Frames der Nacktheit und die praktischen Effekte, in denen Literweise Blut fliesst. Sie wissen: Da ist mehr.
Die Geschichte der Höllenszenen aber dringt an die Öffentlichkeit.
Im Laufe der Jahre wird der Flop zum Kulthit. Paul W.S. Anderson sieht in dem Film sein bestes Werk, seine Fans auch. Aber vor allem sehen sie einen Film, der nicht mehr existiert. Oder doch?
Es vergehen nach dem Flop 20 Jahre, bevor eine unglaubliche Geschichte ans Tageslicht kommt. Ein Jahr nach dem Flop des Films sei Anderson vom Paramount-Produktionschef angesprochen worden. «Event Horizon» sei falsch veröffentlicht worden. Das Studio wolle nun die lange Version des Films zeigen. Anderson und Produzent Jeremy Bolt setzen sich in ein Flugzeug, reisen um die Welt um verloren geglaubtes Filmmaterial wieder zu finden und in einen längeren Cut einzuarbeiten.
Sie finden in allen Ecken Schnipsel des Films. Darunter auch eine vollständige Version des Original Cut in einer verlassenen Salzmine in Transsylvanien.
Doch der Film ist nicht digital archiviert worden. Daher sind die Filmrollen und VHS-Kassetten, die Anderson und Bolt finden entweder nicht vollständig oder falsch gelagert worden. Im Zeitalter der DVDs wäre das kein Problem, denn Filmliebhaber schätzen Deleted Scenes als Extra. Der Markt kommt dem nach. Aber der Cut mit Pornodarstellern und Amputierten bleibt verloren.
Einige Szenen können rekonstruiert werden und finden ihren Weg an die Öffentlichkeit. Darunter eine Höllenszene, die der im fertigen Film zwar gleicht, aber weit brutaler daherkommt.
Ein Extended oder Original Cut aber gibt es nicht. Oder doch?
Das Filmportal Movie-Censorship.com berichtet im Jahre 2012, dass «Event Horizon»-Produzent Lloyd Levin Besitz einer Videokassette ist, auf der der Original Cut zu sehen ist. Die Herzen der Filmfans schlagen höher. Wird die Vision des Weltraumhorrors endlich so zu sehen sein, wie sie hätte sein sollen?
Es wird still um den Film.
Anno 2017 – 20 Jahre nach dem Kinostart Event Horizons – hat der Film Kultstatus erlangt. Immer wieder wird Paul W.S. Anderson nach dem Film gefragt. Ob die Originalversion komme, oder ein Director's Cut oder gar eine Fortsetzung. Das Filmmagazin Crave Online, neu Mandatory.com, hat den Regisseur in einem Facebook Live Interview danach gefragt.
Mit diesem Interview findet die Saga um den Film und den verlorenen Original Cut ein Ende: Die Originalfilmrollen sind nicht mehr gut genug erhalten oder zerstört um einen Director's Cut oder Original Cut zu veröffentlichen. Eine Fortsetzung schliesst Anderson ebenfalls aus.
Ich glaube, die Menschen reden immer noch darüber, weil [Event Horizon] ein Film ist, der zu Diskussionen einlädt, da wir dem Publikum nicht genau erklären, was eigentlich passiert ist und was sie darüber zu denken haben. Und ich denke, dass ist zu einer der Stärken des Films geworden, und ich glaube, dass die Gefahr gross ist, dass wir Dinge über-erklären, wenn wir in die Welt des Films zurückkehren.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.